Herr Nussbaumer, vielen Dank, dass Sie sich zu diesem sehr persönlichen Thema äußern. Was können Sie über Art, Schwere und Dauer Ihrer Depression sagen?
Felix Nussbaumer: Es ist schwierig, den Beginn der Depression festzustellen. Sie kam schleichend und schlug dann Anfang 2012 plötzlich zu. Bei mir handelte es sich zu Beginn um eine Erschöpfungs-Depression, also ein Burnout-Syndrom, das sich dann zu einer schweren Depression ausgewachsen hat. Ursächlich waren mehrere Faktoren: Arbeitsplatz, familiärer Hintergrund, erlittene Traumata.
Haben Sie die Depression inzwischen überwunden?
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Nussbaumer: Leider nicht. Auf bessere Phasen folgen regelmäßig Rückfälle, die schon durch relativ kleine Ereignisse ausgelöst und im schlimmsten Fall von suizidalen Zuständen begleitet werden können. Zum Glück kam es bisher zu keinem Selbstmordversuch, da haben wir entsprechend vorgesorgt.
Wie kann man sich das vorstellen?
Nussbaumer: Meine Frau hat mir zum Beispiel eine Art "Kompass" gebastelt, ein kleines Notfall-Faltbuch für die Hosentasche mit Fotos von unserer Familie, unserem Sohn, mit Ferienbildern und gemeinsamen Erinnerungen an glückliche Tage; aber auch mit ganz konkreten Telefonnummern und Anweisungen, wen ich anrufen soll und was zu tun ist, sollte ich in einen suizidalen Zustand geraten. Insgesamt bin ich sicherlich stabiler als noch vor einem Jahr. Allerdings ist diese Stabilität sehr fragil.
Wie kam es zu dem Fotoprojekt?
Nussbaumer: Es ist oft sehr schwierig, Außenstehenden die Sicht eines depressiven Menschen nahe zu bringen oder zu erklären. Mit Worten und Beschreibungen innerer Gefühlslagen kommt man da oft nicht weit und stößt schnell an Grenzen – denn die Erkrankung ist äußerlich nicht sichtbar. Ich kann zum Beispiel in Gesellschaft problemlos "funktionieren", lachen und ähnliches. Immer präsent ist aber auch das vollständige Fehlen erlebter Freude und ein starkes Gefühl der Schwere und der Leere. Für die Außenwelt aber ist genau das eben nicht präsent. Daher haben wir versucht, die Attribute einer Depression aus Betroffenen- und Angehörigensicht über die Bildsprache zu vermitteln. Ob das funktioniert, bleibt offen: Die bisherigen, positiven Reaktionen stammen meist von anderen Betroffenen.
Elge Kenneweg: Als Angehörige – und als Partnerin – ist man unmittelbar mit den Auswirkungen der Depression konfrontiert. Und auch für mich war und ist es in der Tat oft schwer, die beschriebenen "Zustände" von außen nachvollziehen zu können. Das hat etwas ungemein Trennendes. Durch viele und lange Gespräche haben wir versucht, diesen Graben so weit wie möglich zu überbrücken. Für uns als Fotografen war es dann auch naheliegend, das Thema fotografisch anzugehen.
Wann haben Sie das Projekt gestartet und wie lange haben Sie daran gearbeitet?
Nussbaumer: Wir haben Anfang dieses Jahres begonnen. Die gedankliche Auseinandersetzung – der weitaus schwierigere Teil des Prozesses als das Fotografieren selbst – hat schon vor knapp zwei Jahren begonnen. Die Umstände bei der Entstehung der Fotografien waren oft amüsant; das war schön und fruchtbar und - mit Ausnahme des Waterboarding-Bildes - von einer gewissen Leichtigkeit begleitet. Und das Projekt ist noch nicht abgeschlossen, wir möchten gerne weitermachen.
Kenneweg: Für mich war der wichtigste Teil des Projektes, in vielen intensiven Gesprächen die Ideen für die Bilder zu entwickeln. Die eigentliche Umsetzung ging dann zum Teil sehr schnell - manchmal auch gezwungenermaßen, da wir immer unseren kleinen Sohn dabei hatten. Meistens lagen zwischen den einzelnen Bildern jeweils längere Pausen. Außerdem wir haben kaum im Alltag fotografiert, dafür die Ferienzeiten aber umso intensiver genutzt.
Wie motiviert man sich in einer Depression zu so einem Projekt?
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Nussbaumer: Es ist eine Möglichkeit, die Depression mit einem Sinn zu versehen: Der Versuch, Nichtbetroffene über die Krankheit aufzuklären. Aber auch die Gespräche an sich und die Auseinandersetzung mit der Krankheit haben mir geholfen. Das übergeordnete Thema Fotografie hat eine gewisse Distanz zur Depression geschaffen, was auf jeden Fall hilfreich war.
Kenneweg: Wir hatten wie gesagt auch oft längere Pausen, in denen wir überhaupt nicht fotografiert haben. Die bereits gemachten Bilder hatten wir bei neuen Bildideen dann oft schon wieder vergessen. Man kann also nicht sagen, dass wir die Serie stringent durchgeplant hätten. Es war eher ein loses und etwas wahlloses Aneinanderfügen verschiedener Bilder. Als wir sie dann aber das erste Mal ausgedruckt und als Serie nebeneinander gelegt haben, haben wir beide sofort gesehen, dass es funktioniert. Spätestens ab dem Zeitpunkt war klar, dass wir nicht nur für die private Auseinandersetzung fotografieren, sondern dass wir raus wollen damit und die Bilder ausstellen möchten. Das hat natürlich enorm motiviert.
Kann Ihnen das Foto-Projekt helfen, die Depression zu überwinden?
Nussbaumer: Indirekt sicherlich. Und auch unsere Beziehung hat davon profitiert, da wir uns über das Projekt zwanglos unterhalten konnten. Gleichzeitig wuchs unser Verständnis füreinander. Also auch mein Verständnis dafür, wie es meiner Partnerin geht, wenn ihr Mann depressiv wird. Aber am Ende bleibt trotzdem ein Graben zwischen uns bestehen, ein Graben der Erkenntnis. Überwunden habe ich die Depression noch nicht. Aber es hat mein Selbstwertgefühl durchaus gestärkt, dass ich dazu in der Lage war, ein solches Projekt mit zu tragen.
Was genau zeigen die Bilder? Einzelne Gefühle, Zustände? Oder ist auch ein Prozess erkennbar, eine Entwicklung der Krankheit? Oder die Suche nach dem Ausweg?
Nussbaumer: Wir haben die Bildserie ganz bewusst "Eine Depression" genannt, weil sie unsere und meine ganz persönliche Sicht auf die Dinge zeigt. Die Serie hat keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, jeder Erkrankte empfindet Depressionen anders und individuell ganz verschieden. DIE Depression gibt es nicht. Wir haben ein paar beispielhafte Gefühle, innere Erlebniswelten oder Zustände herausgegriffen und versucht, sie abzubilden.
Ursprünglich war geplant, eine Art Prozess abzubilden, der dann hoffentlich ein Happy End haben sollte. Oder zumindest eine positive Tendenz. Im Laufe des Entstehungsprozesses sind wir dann aber immer mehr zu dem Schluss gekommen, dass es uns vor allem ein Anliegen ist, die zum Teil wirklich dramatischen, existentiellen und (lebens-)bedrohlichen Dimensionen der Krankheit abzubilden, weil eben dies so vielen nicht bewusst ist. Weil man es den Erkrankten ja nicht ansieht.