Der Junge sitzt allein in einem leeren Raum und singt ein Lied, erst auf ungarisch, dann auf deutsch. Mehrmals geht er die Melodie durch, mal lauter, dann leiser, verändert die Betonung. Vor der Scheibe, an einem langen Tisch mit zahlreichen Reglern und Monitoren: Ulrich Gerhardt, Hörspiel-Regisseur, Schauspielerin Meike Droste, eine Tontechnikerin, eine Toningenieurin. "Schaffst du es, mit der Stimme etwas höher zu kommen?", fragt Ulrich Gerhardt über das Mikrofon. Emil, 10 Jahre alt, nickt und probiert es noch einmal.
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Ein Hörfunkstudio des Hessischen Rundfunks: An diesem Nachmittag nehmen sie Szenen aus "Nebukadnezar - Der König findet keinen Schlaf" von Terézia Mora auf. Das Stück ist eines von insgesamt 21 Hörspielen des "Bibel-Projektes", das der Hessische Rundfunk in Kooperation mit dem DLF, DRadio Kultur, NDR, rbb, SWR und ORF produziert. Verschiedene Stoffe aus der Bibel - die Schöpfungsgeschichte, die Paulusbriefe, der Turmbau zu Babel oder das Buch Esther sind die Grundlage.
"Zingele zangele dus!“ Meike Droste sitzt inzwischen auf der anderen Seite der Scheibe und spricht gemeinsam mit Emil Szenen des Stückes: An einer Stelle Phantasiereime, später machen sie Tiergeräusche, eine Katze, eine Ziege, ein Pferd, ein Schwein. Es ist das erste Mal, dass Emil in einem Tonstudio ist und vor allem: selbst eine Rolle spricht. Sein Vater ist mit dabei, er erzählt: "Über Bekannte erfuhren wir, dass der Hessische Rundfunk ein Kind sucht, das Ungarisch kann. Emils Mutter ist Ungarin, er wächst zweisprachig auf. Deshalb haben wir uns gemeldet." In dem Stück zitiert Terézia Mora ein Gedicht des Ungarn Attila József, gesungen von Emil. "Er macht das sehr gut", meint Regisseur Ulrich Gerhardt.
Neben Terézia Mora sind Navid Kermani, Feridun Zaimoglu, Doron Rabinovici oder Michael Farin weitere Autoren. Manche halten sich eng an den Originaltext und verändern nur wenig, andere übertragen den Stoff in die Gegenwart. Auch Essays sind Teil der Bibel-Reihe, sie werden im Anschluss an die Hörspiele gesendet, um sie einzuordnen. Jan Assmann, Melanie Köhlmoos oder Ria Endres steuern Texte bei. So soll der jeweilige Stoff in einen größeren Zusammenhang gesetzt werden.
"Unsere Kultur ist im Christentum sozialisiert"
Schauspielerin Meike Droste spricht die Rolle der Mara in "Nebukadnezar - Der König findet keinen Schlaf". Etwa einen halben Tag benötigt sie, um den Text zu lernen. "Natürlich bereite ich mich auch thematisch vor. Ich habe die Geschichte von Nebukadnezar gelesen und den Namen meiner Rolle - Mara - nachgeschlagen. 'Mara' bedeutet 'Die Bittere'. Das passt zu der Geschichte." An dem Stoff findet sie die Aktualität spannend: "Viele politische Konflikte lassen sich in Geschichten aus der Bibel wiederfinden. Und: Unsere ganze westliche Kultur ist im Christentum sozialisiert."
Ursula Ruppel, Dramaturgin und Hörspielredakteurin, habe schon länger die Idee gehabt, die Bibel zu vertonen. "Jetzt war es an der Zeit. Im Moment fällt auf: Die Stoffe aus der Bibel liegen in der Luft. Theater, Filme, Romane - überall tauchen biblische Geschichten auf." Es habe sie gereizt, die Vielfalt - die Geschichten und Erzählformen - in das Hörspiel zu übertragen. Vor zwei Jahren fing sie an, mögliche Autoren zu kontaktieren, hat sie gefragt, welche Geschichten sie interessieren. "Sibylle Lewitscharoff hat beispielsweise gleich das Pfingstwunder vorgeschlagen. Fast ist ein Krimi daraus geworden." 2013 konnten sie mit der Produktion starten. Für ein Stück benötigen sie etwa zwei Wochen: die Szenen werden aufgenommen, geschnitten, gemischt.
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Derzeit ist etwa die Hälfte der Hörspielreihe fertig. Eine Chronologie gibt es nicht. "Die Stücke der Reihe funktionieren unabhängig voneinander, sie stehen für sich", erklärt Ursula Ruppel. Im Moment produzieren sie Hörspiele für Ende 2015. Bis 2016 strahlt hr2-Kultur weitere Sendungen aus, 14 Geschichten aus dem Alten Testament, 7 aus dem Neuen. Am 19. Oktober beginnt das Bibel-Projekt mit dem Stück "Herr Hagenbeck hirtet" von Brigitte Kronauer, direkt im Anschluss läuft der Essay "Wie Gott die Menschen und die Tiere schuf" von Matthias Köckert.