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Damit alle satt werden
Rund zwei von mehr als sieben Milliarden Menschen haben zu wenig oder zu schlechtes Essen. Wie müsste die Landwirtschaft sich verändern, damit alle satt werden? Überlegungen zum Welternährungstag am 16. Oktober.

Das Menschenrecht auf angemessene Nahrung ist schon seit 1945 in Artikel 25 der Charta der Vereinten Nationen verankert. Zur Jahrtausendwende verkündeten die Vereinten Nationen ihr Milleniumsziel: Bis 2015 sollte die Zahl der Hungernden um die Hälfte reduziert werden. Doch bereits jetzt ist klar, dass dieses Ziel verfehlt wird. Denn weltweit hungern laut Welthungerhilfe noch immer rund 805 Millionen Menschen. Gut eine weitere Milliarde ist mangelernährt – mit schlimmen negativen gesundheitlichen Folgen besonders für Kinder und Schwangere.

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Für rund zwei von schätzungsweise 7,2 Milliarden Menschen der heutigen Erdbevölkerung ist es also nach wie vor ein unerfüllter Traum, gesund satt zu werden. Dabei, so Claudia Warning, Vorstandsmitglied des evangelischen Hilfswerkes Brot für die Welt, gibt es "die merkwürdige Diskrepanz, dass 80 Prozent aller Hungernden auf dem Land leben. Davon sind 50 Prozent Kleinbauern. Die Menschen, die Lebensmittel produzieren, hungern".

Weltweit gesehen werden gegenwärtig noch ausreichend Nahrungsmittel produziert. "Der Hunger ist auch ein Verteilungsproblem", ist sich Claudia Warning mit anderen Experten für Welternährung einig. Ein beträchtlicher Teil der weltweit erzeugten Nahrungsmittel dient der Überernährung von Menschen in den reichen Industrieländern und zunehmend auch der wohlhabenden Schichten in Entwicklungs- und Schwellenländern. "Bezieht man Übergewicht mit in die Betrachtung ein, ist weit mehr als die Hälfte der Menschheit entweder unzureichend, mangelhaft oder falsch ernährt", so das Fazit des Berliner Instituts für Welternährung (IWE) in seinem Ende August veröffentlichten Positionspapier zur Zukunft der Welternährung.

Landwirtschaft auf dem Holzweg

IWE-Vorstandssprecher Wilfried Bommert und Agrarwissenschaftler Wilbert Himmighofen, die Autoren des Papiers, sind überzeugt, dass die gesamte Welternährung auf eine neue Grundlage gestellt werden muss. Die gesunde Ernährung der Weltbevölkerung könne jetzt und künftig nur sichergestellt werden, wenn weltweit eine Abkehr vom System der industriellen globalen Landwirtschaft zugunsten einer nachhaltigen, ökologischen, bäuerlichen Landwirtschaft gefördert werde. Erforderlich seien zudem eine neue Wertschätzung von Lebensmitteln und eine Änderung der Ernährungsgewohnheiten in den reichen Ländern der Erde.

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Denn, so zeigt Wilfried Bommert in seinem Buch "Kein Brot für die Welt" auf: Die bisherige Produktion von Lebensmitteln in der industriellen Landwirtschaft gefährdet langfristig Boden, Wasser und Klima, die Grundlage der Welternährung. Monokulturen und massenhafter Einsatz von Dünger und Pestiziden zerstören durch Erosion und Versalzung weltweit in erschreckendem Ausmaß fruchtbaren Ackerboden. Die nötige intensive Bewässerung verbraucht die Grundwasservorräte.

Auch die dringend benötigte Vielfalt von lokal angepasstem Saatgut und Nutztierrassen verringert sich dramatisch, weil Saatgut weltweit von Konzernen vermarktet wird. Nicht zuletzt droht die industrielle globale Landwirtschaft die Existenz von kleinbäuerlichen Familienbetrieben zu vernichten, die weltweit 90 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe ausmachen und 60 Prozent der Lebensmittel erzeugen. Denn sie können sich weder teure Landmaschinentechnik noch Treibstoff, Dünger und Pestizide leisten. Auch mit der Konkurrenz von importiertem Billigfleisch aus den Industriestaaten können sie nicht mithalten.

Modelle, die Leib und Seele satt machen

Um die Welternährung zu sichern, fordert das Institut für Welternährung eine Agrar-, Ernährungs- und Forschungswende. Dringend nötig ist es aus Wilfried Bommerts Sicht, staatliche Gelder für die wissenschaftliche Erforschung der Chancen und Möglichkeiten der bäuerlichen, ökologischen Landwirtschaft zur Verfügung zu stellen. Dringend erforscht werden müsse auch, was für eine Änderung des Ernährungsverhaltens in Richtung Nachhaltigkeit und Gesundheit nötig ist.

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Mut machende Bespiele für nachhaltige regional angepasste Landbaumethoden, die die Ernährung der Dörfer und Städte der Zukunft sichern, gibt es in Deutschland und weltweit inzwischen reichlich. Claudia Warning etwa macht bei Projekten von Brot für die Welt die Erfahrung, dass es sinnvoll ist, Kleinbäuerinnen zu unterstützen, die etwa in Ruanda oft nicht mehr als einen Hektar bewirtschaften. "Wo sie in organischem Landbau und in Fragen von Hygiene und ausgewogener Ernährung geschult werden, zeigt sich, dass die Erträge steigen", beschreibt sie messbare Erfolge im Kampf gegen den Hunger. "Die Qualität der Nahrungsmittel wird besser und es werden sogar Überschüsse erwirtschaftet, die die Bäuerinnen dann zur Gesundheitsvorsorge, zur Ausbildung der Kinder und zur Verbesserung der Lebensbedingungen einsetzen können."

Der Filmemacher Nils Aguilar zeigt in seinem mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilm "Voices of Transition" Beispiele einer funktionierenden alternativen Landwirtschaft, die auf Selbstversorgung und sorgsamen Umgang mit Menschen, Boden, Pflanzen und Tieren setzt. Aguilars Beispiele aus aller Welt reichen von der Permakultur, einem überschaubaren landwirtschaftlichen produktiven Lebensraum, der seine Fruchtbarkeit ohne Mineraldünger und Pestizide ständig selbst erneuert, über die Anlage und Bewirtschaftung von Waldgärten, bis hin zu Gemeinschaftsgärten in "Transition Initiativen" – Städten, die sich dem Wandel verschrieben haben – bis hin zur urbanen Landwirtschaft in Kuba.

Der Wandel wächst von unten

Allen Projekten ist gemeinsam, dass sie auf kleinteilige, dezentrale Erzeugung von Lebensmitteln in der Region setzen und gemeinschaftliches Arbeiten fördern. Die Menschen, die sich darauf einlassen, bringen eine konsum- und wachstumskritische Haltung mit und sind überzeugt: "Weniger ist mehr." Kennzeichnend ist auch eine neue Wertschätzung für Lebensmittel: Auf den Tisch kommt weniger Fleisch und mehr jahreszeitliches, ökologisch angebautes Obst und Gemüse aus der Region.

Auch Wilfried Bommert vom Institut für Welternährung ist es ein Anliegen, die Produktion regionaler Lebensmittel zu fördern, die eine gesunde und preiswerte Ernährung der Bevölkerung sicherstellen – nicht nur in Entwicklungsländern, sondern auch in den reichen westlichen Ländern. Dabei ist er überzeugt, dass der Anstoß zum notwendigen Wandel nicht von den Regierungen, sondern von der Zivilgesellschaft und einzelnen Vorreitern ausgehen wird. Sie, so ist er überzeugt, werden sich zu Bündnissen zusammenschließen und für ihre Überzeugungen auch politisch eintreten. Das Institut für Welternährung hat sich deshalb ein auf den ersten Blick ehrgeizig erscheinenden Ziel gesetzt: die Gründung einer privaten Universität, an der wissenschaftlich erforscht wird, welche Landwirtschaft nötig und möglich ist, damit alle satt werden.