Foto: dpa/Hendrik Schmidt
Lichterfest am 9. Oktober 2014 in Leipzig
Kerzen und Gebete können zu Veränderungen führen
Eine Stadt erinnert sich an einen historischen Tag: Mit Festakt, Friedensgebet und Lichtfest hat Leipzig die friedliche Revolution von 1989 gefeiert. Politiker mahnten, Demokratie lebe auch heute nur vom Einsatz der Bürger.
10.10.2014
epd
Corinna Buschow und Luise Poschmann

Leipzig trägt Stolz an diesem Tag: Schon am Hauptbahnhof werden Besucher mit Hinweisen auf den 9. Oktober 1989 begrüßt. 70.000 Demonstranten in der Stadt begehrten vor 25 Jahren an dieser Stelle friedlich gegen das SED-Regime auf. Dicht gedrängt versammelten sich auch an diesem Donnerstagabend Zehntausende Menschen auf dem Augustusplatz im Zentrum der Stadt und entzündeten gemeinsam mit Bundespräsident Joachim Gauck Kerzen im Andenken an die friedliche Revolution.

Die Erinnerung gehört nicht nur der Politik, das haben die Leipziger Bürger an diesem Donnerstag bewiesen. Die sächsische Messestadt hat lange dafür gekämpft, als ein Hauptort der historischen Ereignisse im Herbst 1989 wahrgenommen zu werden. Meist war der Schatten Berlins zu groß. Die bewegenden Bilder des Mauerfalls vom 9. November 1989 prägen die Erinnerung bis heute mehr als die vom 9. Oktober in Leipzig. Als 2007 der Bundestag die Errichtung eines Freiheits- und Einheitsdenkmals beschloss, sollte Berlin der Standort sein. Leipzig kam erst später ins Gespräch.

"Wir werden bleiben und werden, was wir 1989 waren"

Doch in diesem Jahr, in dem sich die DDR-weiten Montagsdemonstrationen zum 25. Mal jähren, ist es anders. Schon früh erklärte Bundespräsident Joachim Gauck, er wolle in Leipzig an die friedliche Revolution erinnern. "Vor der Einheit kam die Freiheit" - als er diesen Satz in seiner Rede beim Festakt im Leipziger Gewandhaus wiederholt, erntet er den größten Applaus. Doch wer vom Bundespräsidenten eine Rede zu seinem Lebensthema "Freiheit" erwartet, irrt an diesem Tag. Für etwas anderes wirbt er flammend: Demokratie. "Wir würden den alten Ruf 'Wir sind das Volk' nur halb verstehen, vielleicht gar entwerten, wären wir der Meinung, er hätte nur Gültigkeit für die Zeit der friedlichen Revolution", sagt das Staatsoberhaupt.

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Gauck ruft dazu auf, sich zu engagieren, mitzugestalten, zumindest wählen zu gehen. "Wer nur abseits steht und sich heraushält, wird zum beherrschten Objekt", betont er. Seine Mahnung kommt wenige Wochen nach verschiedenen Landtagswahlen in ostdeutschen Bundesländern, bei denen zum Teil nicht einmal jeder Zweite sein Kreuz machte.

Wieder fordert Gauck beim Festakt, auch vor dem Hintergrund von Gewalt, Terrorismus und Krieg, mehr Engagement Deutschlands in der Welt. Die globale Dimension in die eigene Verantwortung einzubeziehen, sei zwar nicht einfach, sagt er. Aber der Herbst 1989 lehre, dass es möglich sei, unterstreicht das Staatsoberhaupt. Mit einem nachdenklichen Satz, vielleicht auch in Richtung ehemaliger Weggefährten, die ihn für sein Gutheißen militärischer Einsätze im Notfall scharf kritisierten, schließt Gauck seine Rede: "Wir werden bleiben und werden, was wir 1989 waren."

Ein Satz, "der mir lange nachgehen wird", sagte der sächsische Landesbischof Jochen Bohl sichtlich bewegt nach seiner Teilnahme am Festakt dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Impulse des 9. Oktober müssten in die heutigen Herausforderungen hineingetragen werden, stimmt er Gauck zu. Auch Bohl freut sich, dass Leipzig zum zentralen Ort des Gedenkens wurde: "Die Oktobertage in Plauen, Dresden und Leipzig waren der Kernpunkt des Geschehens, das die deutsche Geschichte in dieser beglückenden Weise verändert hat."

"Frieden und Freiheit gehören untrennbar zusammen"

An den Festakt im Gewandhaus schloss sich am frühen Abend das Friedensgebet in der Nikolaikirche an. Vor den Montagsdemonstrationen im Wendeherbst '89 hatten sich die Menschen stets in der Kirche zu Friedensgebeten versammelt. Leipzigs Superintendent Martin Henker blickte mit den Worten zurück: "'Keine Gewalt', Kerzen und Gebete können zu Veränderungen führen." Um 18.35 Uhr läuteten die Glocken an der evangelischen Leipziger Nikolaikirche und an zahlreichen anderen Kirchen, so auch in Berlin. Zu diesem Zeitpunkt war vor 25 Jahren der Einsatzbefehl gegen die Demonstranten zurückgenommen worden.

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Nach dem Entzünden der Kerzen auf dem Augustusplatz startete das traditionelle Lichtfest. Dafür verwandelte sich der gesamte Innenstadtring - also die historische Demonstrationsroute - in einen Kunstraum mit Licht-, Ton- und Tanzinstallationen auf insgesamt 3,6 Kilometern Länge. Auf dem Augustusplatz bildete sich aus den Kerzen der Schriftzug "Leipzig 1989". Als emotionaler Höhepunkt grüßte der ungarische Pater Imre Kozma die Besucher. Er hatte im Sommer 1989 über Monate hinweg Flüchtlinge aus der DDR in Budapest versorgt.

Besonders gerührt von den rund 70.000 Menschen auf dem Augustusplatz zeigte sich Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD). Er rief die Besucher auf, sich immer wieder von ihren Erinnerungen zu erzählen und den Ruf nach Gewaltlosigkeit zu verbreiten. "Frieden und Freiheit gehören untrennbar zusammen", betonte Jung und fügte hinzu: "Das ist die Botschaft von Leipzig."