Das Abendessen in der diakonischen Basisgemeinschaft Brot & Rosen in Hamburg beginnt mit einem gemeinsamen Gebet.
Foto: Kirsten Eggers
Das Abendessen in der Hamburger WG beginnt mit einem gemeinsamen Gebet.
Zimmer frei: Hamburger WG nimmt Flüchtlinge auf
Spannendes Wohnprojekt in Hamburg: In der diakonischen Basisgemeinschaft Brot & Rosen teilen Erwachsene und Kinder ihr Leben mit obdachlosen Flüchtlingen, die in der reichen Hansestadt gestrandet sind und keine Hilfe fanden.

Im Stadtteil Bramfeld, dort, wo Hamburg sich auszufransen beginnt, liegt ein sachlich gebautes Wohnhaus: zwei Stockwerke, ein kleiner Vorgarten, drumherum Mietshäuser, die Ausfallstraße ist laut zum Feierabendverkehr. Nicht etwa ein altes Haus mit verwunschenem Garten, sondern dieses praktische Gemeindehaus ist Heimat der diakonischen Basisgemeinschaft Brot & Rosen. Hier also wohnen die sechs Erwachsenen und fünf Kinder, die Gastfreundschaft zu ihrem Lebensprinzip gemacht haben. Sie teilen Wohnung, Geld und Alltag mit obdachlosen Flüchtlingen.

Abends wird gemeinsam gekocht.

In der Wohnküche steht die elfjährige Lea an der Küchenzeile und schneidet Tomaten. Das Mädchen macht zum ersten Mal den Abendbrotdienst und das will was heißen: Nudeln mit Tomatensoße sollen zwanzig Personen und dazu diverse Nachbarn satt machen, die zum Essen kommen werden. Allein ist sie allerdings nicht. Roda*, eine türkische Kurdin, Mustafa* aus Somalia, Maria, eine Freiwillige aus den USA, packen mit an. Es wird gescherzt, die Stimmung ist locker wie in einer echt netten Groß-WG.

Als Leas Mutter Birke Kleinwächter zum allerersten Mal das Haus betrat, war sie überrascht. "Ich dachte, es müsste wie in einer Jugendherberge sein, nicht so familiär-wohnlich", sagt sie. Kurz darauf, im Jahr 2001, zog sie mit ihrem nun 18-jährigen Sohn Jonas ein. Der liebste Ort aller Bewohner ist die Küche mit den drei Esstischen und dem Regal voller Gesellschaftsspiele, in der es fast immer nach Kuchen duftet. Mitunter wird es voller als in einer normalen WG. "Es kommt vor, dass hier diskutiert wird oder alle haben ihre Laptops dabei, dann ist es mehr ein Internetcafé", erzählt die 52-jährige Kleinwächter schmunzelnd, "doch wir gehen sehr wohlgesonnen miteinander um. Diese liebevolle Atmosphäre hat ganz klar mit unseren Gästen zu tun. Sie bringen viel ein, vielleicht, weil sie viel Not erlebt haben."

"Wir hatten einen Beruf und Freunde. Doch es fehlte etwas"

Fünf Flüchtlinge, darunter ein Kind, leben gerade in der Gemeinschaft, dazu ein Notfall: Eine Familie, Mutter, Vater, Kind, aus dem Libanon ist am Vorabend eingetroffen. Eigentlich nimmt Brot & Rosen keine Kurzzeit-Gäste auf, die Menschen bleiben zwischen einem halben und drei Jahren. Doch ein Zimmer steht leer und man wollte sie nicht wegschicken. Bis auf den 26-jährigen Somalier Mustafa wollen die Gäste nicht in die Öffentlichkeit - aus Sorge, laufende Verfahren zu gefährden, wenn sie etwas von sich preisgeben.

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Oft werde sie gefragt, wie es für ihre Kinder sei, mit so vielen Menschen, dazu noch fremden, gar problembeladenen, aufzuwachsen, erzählt Kleinwächter. "Ich frage dann zurück: Wie ist es für eure Kinder in einer Kleinfamilie? Ich finde es gut, dass meine Kinder so viele Spielkameraden haben. Sie erfahren sicher mehr von anderen Menschen und Kulturen als ihre Schulfreunde, aber ich bin davon überzeugt, dass es eine Bereicherung für sie ist", sagt sie. Als sie laut überlegt, dass sie vielleicht nicht so viel Geld haben wie andere Familien, ruft Lea vom Herd herüber: "Mama, wir sind doch reich!"  

Karriere und Eigentum - wer bei Brot & Rosen lebt, verzichtet bewusst auf diese Dinge. Die Bewohner arbeiten zumeist in Teilzeitjobs, geben ihren Verdienst in den Haushalt mit ein. Sie engagieren sich in der Flüchtlingsarbeit, machen Workshops für Kirchengemeinden. Die Zimmer, absolute Privatsphäre eines jeden, sind klein. Die Psychologin Anne Beyer-Rogers wohnt dennoch mit wachsender Begeisterung seit zwei Jahren mit ihrem Mann bei Brot & Rosen, noch sind sie Probemitglieder. "Uns ging es gut, wir hatten jeder einen Beruf, eine schöne Wohnung, Freunde. Doch es fehlte etwas", erinnert sie sich.

Die Bewohner schreiben Postkarten als Dankeschön an Spender.

Nach einem Kennenlernen und einer Woche Testwohnen gaben beide ihre Arbeit in Mannheim auf und zogen nach Hamburg. "Ich bin jetzt mit Menschen in Kontakt, mit denen ich sonst nie in Berührung gekommen wäre. Einer unserer Gäste ist Hindu, er hat vor kurzem für zehn Tage gefastet und wir haben gemeinsam das Fasten gebrochen. So etwas würde doch an mir vorbeigehen, wenn ich nicht hier wohnen würde", erzählt die 32-Jährige, die bald ein Kind bekommt.

Die Gemeinschaft bestimmt selbst, wer mit ihr wohnt. Um unabhängig zu bleiben, wurde der Status eines eingetragenen Vereins gewählt. Der Unterhalt für die Gäste wird aus Spenden und Kollekten finanziert. Vorbilder sind christliche Bewegungen in den USA wie der Catholic Worker Movement, deren Mitglieder mit Obdachlosen wohnen. Von Beginn an stand fest: Bei Brot & Rosen sollten Flüchtlinge in Not ein Zuhause auf Zeit bekommen. "Die Menschen sollen einen Ort haben, wo sie zur Ruhe kommen können", erklärt Beyer-Rogers.

Mustafa möchte in die Altenpflege

Die Tomatensoße köchelt, als die Familie aus dem Libanon in die Küche kommt. Während Mariam* gleich beim Kochen hilft, sind ihrem Mann Remzi* die Strapazen der Odyssee durchs Hamburger Hilfesystem anzusehen. Mit durchwachtem Gesicht setzt er sich an den Tisch. Ob ihm das lebendige Kochen zu viel ist? Er lässt es sich zumindest nicht anmerken. Als der 50-Jährige von der Gewalt in der Heimat erzählt, hören der Somalier Mustafa und Birke Kleinwächter zu. Remzi umklammert den Teebecher, im Hintergrund klappern die Köche mit Geschirr und Mustafa nickt, denn er kann alles nachempfinden. Diese unaufgeregte Situation am Küchentisch scheint dem Mann die Schwere zu nehmen, er entspannt sich. Mustafa erzählt später: "Ich bin acht Jahre von einem Land zum anderen in Europa geschickt worden, bis ich vor sechs Monaten hierher kam. Es ist wie eine Familie und ich lerne von allen, den Bewohnern und den Gästen aus aller Welt. Jahrelang hatte ich Kopfschmerzen, die sind fast weg."

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Vermutlich geben auch die Regeln der Gemeinschaft Halt im Leben. Das gemeinsame Abendessen ist verbindlich, der morgendliche Hausgottesdienst im Andachtsraum im Keller dagegen freiwillig. Jeder soll mit anfassen beim Putzen und Kochen. "Wir machen keine Sozialarbeit", betont Beyer-Rogers. "Wenn die Flüchtlinge Beratung brauchen, begleiten wir sie zu Einrichtungen. Doch wir brauchen unseren Feierabend, wo wir nicht mehr über Probleme reden." Sich abgrenzen ist daher oft Thema, auch, wenn wieder ein Pastor anfragt, ob es Platz gebe. Nicht für jeden Flüchtling mag diese Lebensform stimmen, doch wer sich wohlfühlt, hat Chancen.

Die Landkarte zeigt die Herkunftsländer der Bewohner.

Rund 250 Flüchtlinge haben seit der Gründung vor 18 Jahren in der Gemeinschaft gelebt und die meisten haben Perspektiven für ihr Leben entwickelt. Oft ist die Zeit entscheidend, damit Fälle neu aufgerollt werden können. Mustafa möchte in die Altenpflege, wenn er endlich eine Aufenthaltsgenehmigung bekommt. Mit der Sprache zumindest hat er keine Probleme mehr, die hat er wie nebenbei gelernt. "In meiner zweiten Woche haben sie gesagt: 'Wir sprechen jetzt kein Englisch mehr mit dir, wir sprechen Deutsch.' Das kann ich jetzt."

Als die dampfenden Nudeln auf dem Tisch stehen, gibt es Applaus für Lea von mehr als zwanzig Essensgästen. Sie strahlt. Mehr Anerkennung kann sich ein Kind wohl nicht wünschen. Am nächsten Tag wird sich herausstellen, dass die libanesische Familie schon am Abend abreist. Der Flüchtlingsanwalt hat ihnen geraten, besser in Frankreich einen Asylantrag zu stellen. Auch solche Abschiede ins Ungewisse gehören zum Alltag. Mariam, die Libanesin, tröstet ihre Gastgeber an der Tür: "Macht euch keine Sorgen, Gott ist mit uns."

*Die Namen aller Flüchtlinge sind geändert.