Für das ZDF ist "Die Frau aus dem Moor" ein Krimidrama, aber von Krimi kann streng genommen keine Rede sein. Die Geschichte bezieht zwar eine gewisse Spannung aus der Frage, wer die Frau, die der junge oberbayerische Architekt Matthias Staudacher (Florian Stetter) eines Tages im Wasser findet, erschlagen hat, aber die Tat liegt 150 Jahre zurück. Im Vordergrund des Drehbuchs von Grimme-Preisträgerin Ariella Bogenberger ("Marias letzte Reise") steht die Ehe zwischen Matthias und seiner Frau Nelli (Marlene Morreis). Über ihrer Beziehung liegt ein Schatten, der das Paar mehr und mehr entzweit, je länger es versucht, ihn zu ignorieren. Ausgerechnet der Leichenfund hat entscheidenden Anteil daran, dass dieses Problem ähnlich wie die Frau aus dem Moor endlich an die Oberfläche kommt: Matthias beginnt, sowohl seine Ehe wie auch seine Arbeit zu vernachlässigen und beginnt, beinahe obsessiv in alten Unterlagen zu recherchieren. Schließlich findet er heraus, dass die Frau eine Urahnin von ihm ist; und viel deutet darauf hin, dass ein Vorfahr seiner Frau sie auf dem Gewissen hat.
Ein über die Zeitebenen verwobener Film
Das Drehbuch basiert auf Motiven des Chiemgau-Kriminalromans "Blut und Wasser". Von diesem Erstlingswerk Roland Voggenauers hat Bogenberger aber vor allem den historischen Teil übernommen. In der Gegenwart distanziert sich Staudacher immer mehr von seiner Frau, die die lange Tradition ihrer Familie fortsetzen und Bürgermeisterin werden will. Ihr Mann soll ein Luxushotel am See entwerfen, hat aber eigentlich gar keine Lust, für wohlhabende Touristen die Natur zu zerstören, und verbringt seine freie Zeit lieber mit der hübschen jungen Sarah (Anja Antonowicz), der Leiterin eines Jugendhauses. Seinen Reiz bezieht der Film nicht zuletzt aus den Parallelen zwischen dem Architekten und der von Rosalie Thomass gespielten Vorfahrin, die mit ihrem Ehemann nichts anfangen kann und sich statt dessen zum schmucken Bürgermeister Tanner hingezogen fühlt; Tanner ist auch der Mädchenname von Staudachers Frau.
Das Krimi-Etikett des ZDF ist schon deshalb nicht angebracht, weil Regisseur Christoph Stark so etwas wie herkömmliche Krimispannung ganz offensichtlich nicht im Sinn hatte. Sehenswert ist sein Film dennoch, oder womöglich gerade deshalb, weil sich Buch und Regie viel stärker auf die Entwicklung der Figuren konzentrieren. Ganz wunderbar ist auch die Rolle des von Thomas Schmauser mit großer Hingabe verkörperten Lokaljournalisten, der in dem Leichenfund eine Story von überregionalem Interesse wittert.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Auffallend hörenswert ist auch die melancholische und daher ungemein passende Musik von Thomas Osterhoff, die eine großartige Ergänzung für die sorgfältige Bildgestaltung von Kameramann Frank Blau darstellt. Trotzdem hat das Drama ein akustisches Manko: Die Schauspieler reden einen derart g’scherten Dialekt, dass man nördlich von Oberbayern mitunter Verständnisprobleme hat.