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Käßmann: Mein Bild von Kirche
"Reformation, Bild und Bibel" lautet das Motto des Themenjahrs 2015 der Reformationsdekade. Die Botschafterin des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für das Reformationsjubiläum, Margot Käßmann, blickt schon einmal voraus und gibt einige ganz persönliche Einblicke in ihr Bild von Kirche.

"Reformation, Bild und Bibel" – das Themenjahr 2015 der Reformationsdekade gibt vielerlei Gelegenheit, sich mit der Reformation als Medienereignis zu befassen und mit den zentralen Kommunikationsmedien Wort und Bild. Dabei sind die Bilder, welche die Reformation vielleicht am stärksten beeinflusst hat, die Bilder von Kirche.

Bilder für Kirche gibt es viele, die ältesten finden sich direkt in der Bibel – Kirche als Leib Christi (1. Kor 12), als Gottes Volk (Hebr 11f.; vgl. Röm 9,25), als Gemeinschaft von Freunden (Joh 15), als Bauwerk (1. Kor 3). Unzählig die Bilder von Kirche, in der Kunstgeschichte, in den Medien, in unseren Köpfen und Herzen.  Mein Bild von Kirche ist von verschiedenen Erinnerungen geprägt, die mich berühren:

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Da war die Kirche in La Paz, Bolivien. Es war einfach ein großer Raum, scheunenartig, schmucklos. Die Menschen waren früh morgens um vier los gelaufen, um dorthin zu kommen. Es war ein Sehnsuchtsort für sie. Heilsame Unterbrechung des Alltags wurde gefeiert mit Wiedersehensfreude, Gesang, Gebet. Mich hat am meisten fasziniert, wie nach dem Gottesdienst eine Plane ausgerollt wurde. Darauf wurden Schüsseln gesetzt und die Gemeindeglieder gossen, schaufelten oder schoben hinein, was sie mitgebracht hatten. Ein Abendmahl der besonderen Art, bevor sich alle gestärkt für ihr persönliches Leben auf den langen und mühseligen Rückweg machten. Gottesdienst als Kraftquelle für den Alltag der Welt – das habe ich vor Augen als Bild einer Kirche, die nahe bei den Menschen ist.

Eine so genannte Mega-Church in Südkorea - nein, das war nicht meine Art, Gottesdienst zu feiern! Ich kam mir vor wie bei einer Show, die ich anschauen darf. Manchmal konnten wir mitklatschen. Und beim Gebet wurde es dann extrem laut, weil alle fast schreiend durcheinander redeten. Ja, die Kirche war voll. Aber ist eine volle Kirche immer gleich die bessere Kirche? Ich habe mich gesehnt nach Liturgie und Beteiligung. Gerne hätte ich mitgesungen und nicht nur zugeschaut. Einen Gottesdienst, bei dem die Gemeinde involviert ist, sich beteiligen kann, das ist mein Bild von Kirche. Menschen sitzen nicht dabei, sondern sind Teil des Geschehens. Das ist reformatorisch, denke ich. Schließlich haben Gemeinden durch Mitsingen und Mitbeten bekundet, dass sie zum reformatorischen Glauben übergetreten sind.

Leid und Schmerz teilen, Hoffnung und Zuversicht gestalten

Eine offene Kirche mitten in der Stadt ist für mich immer wieder ein Rückzugsort. Da findet sich Stille im Tosen des Alltags, Besinnung auf das Wesentliche in einer Welt der Oberflächlichkeit. Glaube an Gott braucht natürlich keine Orte, es lässt sich auch in der Natur, Zuhause zu Gott beten. Aber ein solcher spiritueller Ort, an dem schon seit Jahrhunderten Menschen vor mir Glück und Leid vor Gott gebracht haben, ist unersetzbar. Durchbetete Räume sind solche Kirchen, in denen wir der Tiefe des Lebens nachspüren können.

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Noch eine Erinnerung: Ein Gottesdienst in Südafrika. Die Fürbitte wird zum längsten Teil, Menschen bringen Kummer und Schuld vor Gott. Die Gemeinde weint mit. Sie lobt mit. Es ist ein tief emotionales Miteinander, in dem versucht wird, Täter und Opfer zusammen zu bringen, Schuld zu bekennen und Vergebung auszusprechen. Da gibt es nicht nur Tränen, sondern auch Umarmungen, Bitterkeit wird nicht verschwiegen, aber sie ist aufgehoben in das Singen. Und als der Prediger den Text des Sonntags liest, schlagen alle ihre Bibeln auf und lesen mit, seufzen mit, denken mit, kommentieren durchaus hörbar, was der Prediger sagt. Das ist eine Kirche, die mir imponiert: Leid und Schmerz werden geteilt, Hoffnung und Zuversicht auf die Zukunft hin werden gestaltet.

Die Kirche meiner Kindheit war die Herrenwaldkirche in Stadtallendorf. Sie wurde gebaut für all die Flüchtlinge aus Hinterpommern, Ostpreußen, Schlesien und dem Sudentenland. Erst gab es schlicht eine so genannte "Notkirche", vom Lutherischen Weltbund für die Evangelischen in der Diaspora entworfen und gespendet. Dann endlich die eigene Kirche. Sie war natürlich nicht klassisch, ein schlichter Backsteinbau. Aber wir haben uns beheimatet gefühlt. Dort war ich im Kindergottesdienst, dort wurde ich konfirmiert, dort habe ich den Kindergottesdienst mitgestaltet und im Posaunenchor gespielt. Nein, ein Bild von Schönheit war diese Kirche nicht. Aber sie war ein Ort von sozialem Miteinander und Zugehörigkeit. Das ist mein Bild von Kirche. Im letzten Jahr musste der Kirchenvorstand sie aufgeben, weil in dem kleinen Viertel kaum noch Christen wohnen. Ein Verein für Jugendliche will sie zum Ort machen, der nun Kindern und Jugendlichen aus Familien mit so genanntem Migrationshintergrund, die zugezogen sind, auf neue Weise Heimat gibt. Kirche als Beheimatung – ein starkes Bild, finde ich.

Reformatorisch zu sein heißt, Vielfalt zuzulassen

Meine Mutter hat immer hart gearbeitet. Für sie war die Kirche die entscheidende Quelle ihrer Kraft. Sie hat sich darauf gefreut, sonntags um 10 dort zu sein. Es war schlicht ein Ort, an dem sie loslassen konnte, was an Druck da war mit Blick auf das Unternehmen, die Töchter, die Familie insgesamt. Kirche als Kraftquelle, das wünsche ich mir, das wäre ein gewichtiges Bild für Menschen heute, die unter so viel Druck stehen.

In meiner Zeit als Bischöfin hatte ich das große Privileg, immer wieder Festgottesdienste zu erleben. Großartige Kirchenmusik, besonders bewusst gestaltete Liturgie – und natürlich auch von mir eine besonders intensiv vorbereitete Predigt. Ich denke an die Marktkirche in Hannover oder die St. Johanniskirche in Lüneburg, aber auch an die Kirche in Fallersleben oder die Kapelle auf der Expo in Hannover. Kirche, die Kultur prägt, die das Wort mit Anspruch erhebt und großartige klassische Musik Johann Sebastian Bachs zum Hören bringt, das ist auch mein Bild von Kirche.

Und schließlich: So ein Kirchentagsgottesdienst mit Posaunen und Gospel, mit Mitschwingen und Jubel, ja lautstarker Begeisterung – mein Bild von Kirche zeigt sich auch in diesem Stadiongefühl beim Schlussgottesdienst des Kirchentages! Mögen wir vor Ort wenige sein, wir tanken auf, wo wir viele sind und Gottesdienst zum Erlebnis wird, Spiritualität nicht nur ein abstrakter Begriff bleibt.

Viele Bilder, eine Kirche. Das ist mir wichtig: Lasst uns die Bilder nicht eng malen, sondern Vielfalt zulassen. Das ist gut reformatorisch, denke ich.