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Filmkritik: "Gone Girl"
Neuer Fincher, alte Finesse: Was ist Wahrheit, was Lüge? Wer ist Täter, wer Opfer? Der raffinierte Thriller "Gone Girl" setzt ein morbides Ehedrama in Szene. Regisseur David Fincher bedient sich dabei einer komplexen Erzählstrategie.
01.10.2014
epd
Frank Schnelle

Mit "Gone Girl" knüpft David Fincher an die raffiniert-vertrackten Strategien seiner frühen Filme an. "Sieben", "Fight Club" und "The Game" zelebrierten das unzuverlässige Erzählen und das Spiel mit diabolischen Wendungen. Es geht um machtvolle Demonstrationen eines manipulativen Strippenziehers, der das notwendige Maß an Information und Desorientierung genau zu dosieren weiß.

Mit der Schlusspointe in "Fight Club" endet diese Linie in Finchers Gesamtwerk; er ist viel zu sehr Innovator, als dass ihn die Fortsetzung dieser Technik auf Dauer hätte interessieren können. Seither neigen seine Thriller und Dramen eher zu epischer Ernsthaftigkeit. Sie leben von brillanten Dialogen, großen Schauspielerleistungen und einer ausgeklügelten Inszenierung - alles Hinweise auf einen sehr organischen künstlerischen Reifeprozess.

Der Romanbestseller "Gone Girl" von Gillian Flynn, die auch selbst das Drehbuch schrieb, liefert Fincher nun die perfekte Vorlage, um gewissermaßen das Frühe mit dem Späten zu verbinden - das "Böse" mit dem "Seriösen". Der Film bezieht seine Faszination aus einer überaus komplexen und vielschichtigen Konstruktion, seine Spannung generiert sich aus den geschickt offengehaltenen Fragen nach den wahren Motiven, Identitäten und Zielen der Protagonisten. Auf jede vermeintliche Klärung folgt eine neue Wendung, auf jede Offenbarung ein weiterer perfider Hakenschlag. Der Film ist ein klassisches Rätsel um den Mörder und zugleich eine sehr moderne Abhandlung über die Grenzen des objektiven Erzählens.

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Die Geschichte beginnt am fünften Hochzeitstag der Ehe von Nick (Ben Affleck) und Amy (Rosamund Pike), die noch am selben Tag auf unerklärliche Weise verschwindet. Der Film übernimmt zunächst Nicks Blickwinkel, etabliert ihn als frustrierten Exjournalisten, der vor der Wirtschaftskrise ins heimische Missouri geflohen ist und jetzt gemeinsam mit seiner Schwester Margo (Carrie Coon) eine Bar betreibt. Ein zertrümmerter Glastisch und Blutspuren in der Küche weisen darauf hin, dass Amy entführt wurde, aber Nicks ambivalentes Verhalten - er ist keineswegs erschüttert, lächelt in Kameras, hält Informationen zurück - macht ihn für Detektive Rhonda Boney (Kim Dickens) zum Verdächtigen. Sagt Nick die Wahrheit? Hat er seine Frau selbst auf dem Gewissen?

Daneben lässt der Film in Rückblenden Amy zu Wort kommen, deren Tagebuch die Historie des Paars referiert: die romantischen Anfänge in New York City, wo Amy als Kinderbuchautorin Erfolg hat, die ersten Risse in der Beziehung nach dem Umzug in die Provinz, schließlich die Entfremdung. Es sind sehr gegensätzliche Bilder, die da in Parallelmontage aufeinandertreffen: vergangene und gegenwärtige, weibliche und männliche, nüchterne und verklärte; Bilder, die nie so ganz zusammenpassen wollen und nie ein schlüssiges, plausibles Gesamtbild ergeben. Ist Amy wirklich das Opfer? Könnte sie gar selbst hinter der Entführung stecken?

Pures, dynamisches Kino

Fincher inszeniert flüssig und elegant, hingebungsvoll und akribisch. Wo er früher gern offensichtlich sein inszenatorisches Können zeigte, beschränkt er sich heute auf ökonomisches Understatement. Jede Szene in diesem Film ist pures, dynamisches Kino, obwohl die Handlung verhältnismäßig wenig physische Aktion parat hält. Auf konventionelle Thrillerreize kann Fincher getrost verzichten, er baut lieber eine psychologische Spannung auf, die sich komplett aus den Szenen einer ziemlich morbiden Ehe ergibt.

Seine überraschenden Wendungen setzt er dabei mit chirurgischer Präzision. Und seine Story bleibt - zumindest für jene, die den Roman nicht gelesen haben - bis zum eiskalten Ende komplett unvorhersehbar und voller Überraschungen.

USA 2014. Regie: David Fincher. Buch: Gillian Flynn. Mit: Rosamunde Pike, Ben Affleck, Boyd Holbrook, Missi Pyle, Neil Patrick Harris, Patrick Fugit, Carrie Coon. Länge: 145 Minuten. FSK: ab 16 Jahren.