"Wenn Sie hier aussteigen möchten, müssen Sie dem Zugführer Bescheid geben", ertönt die Durchsage kurz vor einer Haltestelle der Regionalbahn im Landkreis Biedenkopf, Nordhessen. Der Zug hält nicht an jeder Station, Busse fahren in dieser Gegend allenfalls einmal in der Stunde. In den Dörfern reihen sich Fachwerkhäuser aneinander, die Vorgärten sind ordentlich gepflegt. Direkt daneben: verlassene Gebäude, "Leerstände beseitigen" steht auf einem Banner, gespannt über einen Gartenzaun. Idylle und Einöde gleichermaßen.
Erika Seipp, Mitglied im Kirchenvorstand der Gemeinde Laisa, hat gerade ihren Wocheneinkauf im Einkaufszentrum in Battenfeld erledigt. "Das Einkaufszentrum" bezeichnet ein Gewerbegebiet mit einer Tankstelle, ein paar Autohäusern, Discountern, einer Drogerie, einem Schuhgeschäft, einem Laden für Tiernahrung. Und dazwischen: Das gemeinsame Büro der evangelischen Gemeinden des Oberen Edertals Allendorf, Battenfeld, Laisa, Berghofen, Frohnhausen, Eifa und Dodenau. Neben Lidl und dm.
Mehr Menschen im Supermarkt als im Gottesdienst
Erika Seipp ist dort, um Unterlagen abzuholen. Sie erzählt von einem Pfarrer aus der Region, der meinte, dass er beim Einkaufen von mehr Menschen angesprochen würde als am Sonntag im Gottesdienst erscheinen. "Also liegt es doch nahe, dass die Kirche dorthin geht, wo eingekauft wird, oder?", fragt Erika Seipp.
###mehr-links###"Wir wollen eine zentrale Anlaufstelle haben, mittendrin sein. Dort, wo die Menschen sowieso hingehen", erklärt Stefan Peter, Pastor der Gemeinde Laisa. Er lebt seit zwanzig Jahren in Nordhessen und kennt diese Region. Sie hätten gezielt nach einem Standort im Battenfelder Einkaufszentrum gesucht, berichtet er. Im Oberen Edertal würde jeder durchschnittlich einmal in der Woche hier einkaufen. "Während des Einkaufs hier reinzuschauen ist daher für viele sehr praktisch", erklärt Stefan Peter. "Und: Die Lage soll so niedrigschwellig wie möglich sein." Für manche Menschen - je nach Anliegen - mag es eine gewisse Hemmschwelle sein, am Pfarrhaus zu klingeln.
Mit seiner Kollegin Eleonore Merkel war Peter eine treibende Kraft bei der Einrichtung des gemeinsamen Büros: "Schon in den Neunzigern kam die Idee auf, ein zentrales Gemeindebüro einzurichten. Jetzt haben wir am Modellprojekt 'Kirche in der Region' teilgenommen. Es ging darum, die Kirche für die Zukunft aufzustellen. Dabei konnten wir den Gedanken weiterentwickeln."
Kirche in ihrer Vielfalt an einem Ort
"Kirche vor Ort" - das große lilafarbene Schild weist an der Straße auf das Büro hin. Die Wände sind hell gestrichen, auf dem kleinen Tisch am Fenster liegen die Losungen für 2015 aus, die Büromöbel sind neu, in der Ecke steht ein großer Kopierer. Seit Sommer ist das Büro geöffnet, vor zwei Wochen haben sie es offiziell eingeweiht. Zunächst finanziert die Landeskirche das Büro anteilig für drei Jahre, die Kirchengemeinden steuern Bürostunden bei. Die Gemeindesekretärinnen sind Ansprechpartnerinnen für Kirchenmitarbeiter, für Gemeindeglieder, für Interessierte. Sie verkaufen Gesangbücher, geben Patenscheine oder Kleidersäcke aus, Material, um den Kindergottesdienst vorzubereiten oder vermitteln in seelsorgerische Angebote. Die Diakoniestation ist mit zwanzig Mitarbeitern direkt nebenan, die Gemeindepädagogin bietet Kindergottesdienst- und Frauenarbeit an - "hier kommt Kirche in ihrer Vielfalt an einem Ort zusammen", meint Stefan Peter.
Der Arbeitsschwerpunkt in der gemeinsamen Einrichtung liegt auf den Verwaltungsaufgaben, um die kleinen Pfarrämter zu entlasten: "In Laisa zum Beispiel ist das Büro in der Woche nur zweieinhalb Stunden geöffnet", erklärt Pastor Peter. In den anderen Gemeinden sei es ähnlich. Diese kurze Zeitspanne macht es den Sekretärinnen schwer, alles in dieser Zeit zu schaffen. Aufgaben des Rechnungswesens und der Personalverwaltung können nun über ein gemeinsames Intranet erledigt werden. "Diese Aufgaben zentral zu erledigen ist effizient und längerfristig eine enorme Kostenersparnis. Sie verlangen Fachkenntnisse und es ist teuer, jede Gemeindesekretärin in den Dörfern kontinuierlich fortzubilden", erklärt Stefan Peter. Hinzu kommt, dass es immer problematischer wird, die Stellen in den Gemeindebüros zu besetzen: "Wer möchte nur zweieinhalb Stunden in der Woche arbeiten? Wenn jemand Arbeit sucht, dann mindestens eine Halbtagsstelle." Dennoch: Die Pfarrbüros in den Dörfern bleiben weiterhin bestehen, nur wird die Arbeit eben anders verteilt.
###mehr-artikel###Die Gemeinden im Dekanat Biedenkopf haben zwischen 500 und 1200 Glieder. Im Hinblick auf sinkende Zahlen werde eine Zusammenarbeit und die intensive Vernetzung zwischen den einzelnen Gemeinden immer notwendiger, meint Pastor Stefan Peter. So überlegen derzeit einige Gemeinden, zusammen eine Kindergottesdienstfreizeit anzubieten. Außerdem arbeiten sie an einer gemeinsamen Homepage, "Evangelisch im Oberen Edertal", soll sie heißen. Hier im zentralen Büro wird alles gebündelt.
Ein solches Projekt ist in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) bisher einmalig. "Für andere, ähnlich ländliche Regionen kann unser Büro als Modell dienen", ist sich Stefan Peter sicher.