Foto: Jens Schulze
"Tacheles"-Moderator Jan Dieckmann (2. von rechts) im Gespräch mit seinen Gästen, darunter Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm (Mitte).
Tacheles zu Sterbehilfe: "Die Kultur des Lebens in Gefahr"
Viele Menschen fürchten Schmerzen und Leid am Ende ihres Lebens. In Deutschland ist die Beihilfe zum Suizid legal – eine rechtliche Situation, die Gesundheitsminister Hermann Gröhe ändern möchte. Ist das der richtige Weg? Darüber diskutierte Jan Dieckmann mit seinen Gästen in der evangelischen Talkshow "Tacheles" aus der Marktkirche in Hannover.

Uwe-Christian Arnold ist Urologe. Die Boulevardpresse findet Beinamen wie "Doktor Selbstmord" für ihn, denn in den letzten 20 Jahren hat der Arzt mehr als 200 Menschen unterstützt, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Arnold hat ihnen geholfen, an die richtigen Tabletten zu kommen und sie auf Wunsch in ihren letzten Stunden begleitet. Deutlich mehr haben Kontakt zu ihm aufgenommen, weil er einer von wenigen Medizinern in Deutschland ist, der Beihilfe zum Selbstmord leistet.

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Mit jedem, so erzählt er in der evangelischen Talkshow "Tacheles" zum Thema "Sterbehilfe: Dürfen Ärzte töten?", diskutiere er den Wunsch. Er prüfe die Urteilsfähigkeit des Menschen und diskutiere Alternativen. "Hier herrscht oft ein großes Defizit und ich kann viel aufklären – etwa über die Möglichkeit der Palliativmedizin." Die Mehrheit gehe nach dem Gespräch einen anderen Weg. "Aber wenn ich merke, dass der Wunsch wohl überlegt ist, reden wir darüber, welche legalen Wege es gibt", sagt Arnold.

Die Beihilfe zur Selbsttötung ist in Deutschland bislang straffrei. "Ich bin deshalb auch nicht für eine Legalisierung der Sterbehilfe sondern für eine Beibehaltung des Status quo", erklärt die Juristin Ingrid Matthäus-Maier, die im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung sitzt. Anders sieht das Gesundheitsminister Hermann Gröhe. Er macht sich für ein Verbot der organisierten Sterbehilfe – auch der nichtkommerziellen – stark und will im Bundestag ein neues Gesetz beschließen. Damit würden Beihilfehandlungen von Ärzten wie Arnold illegal werden.

Die Kirche auf der Position der Pharisäer?

Das wäre ein Schritt in die falsche Richtung, davon ist Matthäus-Maier überzeugt. "Unser Grundgesetz schützt die Würde des Menschen und sein Selbstbestimmungsrecht." Beides beinhalte das Recht, seinem Leben ein Ende zu setzen – auch mit Hilfe einer anderen Person. "Es ist nicht barmherzig und mitmenschlich, Menschen alleine zu lassen." Sterbehelfer seien für sie wie der barmherzige Samariter. "Wenn die Kirche ein grundsätzliches Verbot fordert, spielt sie die Rolle der Pharisäer."

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Für Heinrich Bedford-Strohm, evangelischer Landesbischof in Bayern, ist das ein Argument "unter der Gürtellinie": "Das tut allen Menschen Unrecht, die gegen diese Position sind und sich aufopfernd um Menschen kümmern, die schwer krank sind", entgegnet er. Auch sei es falsch davon zu sprechen, dass die Menschen alleine gelassen werden, wenn man ihnen nicht zum Tod verhilft. "Das Leben ist für uns Christen ein Geschenk Gottes. Es ist uns anvertraut, es ist nicht in unserer Verfügung", ergänzt er. Deshalb sei es der falsche Weg, eine gesetzliche Lizenz zum Töten zu geben. Der richtige Weg sei es, Menschen liebevoll zu begleiten, das Leiden zu erleichtern und sie in Würde sterben zu lassen.

Ähnlicher Ansicht ist auch Mediziner Klaus Reinhardt, Vorsitzender des Hartmannbundes. "Viele Menschen sehen keinen Ausweg, weil sie nicht wissen, welche Möglichkeiten sie haben", ist der Allgemeinarzt überzeugt und verweist die gute Versorgung palliativer Einrichtungen in Deutschland. Als Hausarzt habe er die Möglichkeit – etwa bei Krebs im Endstadium – Morphin in einer Dosierung zu verabreichen, die dem Patienten Angst und Schmerzen nimmt und als Nebenwirkung das Leben verkürzt. "Das ist ein Weg, der gangbar, zulässig und selbstverständlich ist", sagt der Arzt. Eine direkte Hilfe zum Suizid würde er als behandelnder Arzt selbst dann ablehnen, wenn sie zur Norm werde. "Das hat mit Glaube und Respekt vorm Leben zu tun."

"Mehr Demut täte uns gut"

Bedford-Strohm warnt vor der Situation, dass Beihilfe zum Suizid zur Normalität wird. "Wenn eine Kultur der organisierten Sterbehilfe entsteht, wenn es normal ist, sich töten zu lassen, fragen sich Menschen, ob es richtig ist, anderen mit Leid und Krankheit zur Last zu fallen", warnt er in der Diskussion und verweist auf die Situation in Belgien. Innerhalb eines Jahres hätten sich dort 27 Prozent mehr Menschen für die aktive Sterbehilfe entschieden. "Wir leben in einer technisch, materialistischen Gesellschaft. Ein wenig mehr Annahme des Schicksals und Demut täte uns gut", glaubt Reinhardt. 

Die Debatte bei "Tacheles" überzeugt mehr als andere Sendungen zum Thema Sterbehilfe. Die Gäste diskutieren heftig, sind aber um Sachlichkeit bemüht; sie differenzieren zwischen aktiver, passiver und indirekter Sterbehilfe und stellen die gesetzliche Situation verständlich dar. Gleichzeitig machen sie – auf Nachfrage von Moderator Dieckmann – deutlich, welche persönlichen Erlebnisse zu ihren Überzeugungen geführt haben. Große Zustimmung bekommt Bedford-Strom, wenn er feststellt: "Es ist eine unheimlich schwierige Frage, man kann keine einfache Lösung verkünden."

Keine ganz einfache Lösung hat übrigens auch die Sendung "Tacheles" vor sich: Nach 15 Jahren ist dies die letzte Sendung (Ausstrahlung: Sonntag, 28. September, 24 Uhr auf Phoenix). Redaktionsleiter Thomas Hestermann sagte dem epd, der Sender "Phoenix" und die Evangelische Kirche in Deutschland suchten nach einem neuen Format. Als öffentliches Streitgespräch vor Publikum aus einer der größten Kirchen Norddeutschlands werde es "Tacheles" nicht mehr geben.