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Die tiefere Bedeutung des Apfels
Der Apfel ist biblisch gesehen ja nicht ganz unbelastet. Das hinderte die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau nicht daran, an einem Donnerstag Mitte September 15.000 Äpfel im Frankfurter Hauptbahnhof zu verteilen. Ziel war es, für Dankbarkeit und Achtsamkeit gegenüber der Schöpfung zu werben. Eine weitere Öffentlichkeits-Kampagne der hessischen Kirche, die auch kritisch kommentiert wird: Zu teuer, zu banal - oder schlicht: Apfelallergie.

Die Ernte war gut in diesem Jahr, so gut wie selten. Rund 12 Millionen Tonnen Äpfel kamen von deutschen Apfelbäumen. Die müssen erstmal gegessen werden. Dumm nur, dass Russland gerade jetzt ein Einfuhrverbot für europäisches Obst verhängt hat – wegen der Krise in der Ukraine. Und auch unsere Nachbarländer haben einen Apfelüberschuss. Man kann von einem europäischen Apfelproblem sprechen. Wohin also mit dem ganzen Kernobst? Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt hat bereits die Bürger dazu aufgerufen, mehr Äpfel zu essen.

Da passt es ganz gut, dass die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) am Frankfurter Hauptbahnhof kostenlos 15.000 Äpfel verteilte. Selbst Kirchenpräsident Volker Jung war gekommen, um die Äpfel eigenhändig unter das bahnfahrende Volk zu bringen. Aber natürlich hatte die Kirche nicht den europäischen Apfelüberschuss im Sinn. Das fröhliche Obstverteilen war der Auftakt der neuen Öffentlichkeitsaktion der EKHN, die unter dem Motto "Danksekunde" steht. Mit jedem Apfel wollte die Kirche dafür werben, Dankbarkeit zu zeigen.

"Es ist die angemessene Haltung des Glaubens, Danke zu sagen", erklärt Volker Jung. Mit Blick auf das bevorstehende Erntedankfest gehe es darum "dankbar zu sein. Für die Schöpfung und das Abendessen, das auf dem Tisch steht. Denn das ist alles keine Selbstverständlichkeit", fährt Jung fort. "Vielleicht regen wir ja sogar den ein oder anderen dazu an, mal wieder ein Tischgebet zu sprechen."

Freude und Freundlichkeit

Bereits zum fünften Mal wendete sich die EKHN mit einer solchen Werbeaktion an die Öffentlichkeit. Bisherige Themen waren "Toleranz-Üben üben" und "Zum Glück gibt’s Segen".

Kernstück ist dabei stets die sogenannte "Impulspost", die an mehr als eine Millionen evangelische Haushalte verschickt wird. Mit der Impulspost erreichte die Kirche aber nur ihre eigenen Mitglieder – was gerade bei einer so aufwendigen Unternehmung natürlich für viel Kritik sorgte. "Uns ging es darum, die Bindung zu unseren bisherigen Mitgliedern zu stärken, und nicht darum, neue zu gewinnen", sagt Birgit Arndt, die als Geschäftsführerin des evangelischen Medienhauses das Projekt verantwortet.

Werbeaktion der EKHN am Frankfurter Hauptbahnhof

Insofern war das Apfelverteilen am Bahnhof schon etwas besonderes, denn hier erreichte die Kirche nicht nur ihre Klientel. Einen Apfel bekam jeder, der vorbei kam. "Wir wollen auch weiterhin da sein, wo man uns nicht erwartet", sagt Jung. Ob sich allen Reisenden die tiefere Bedeutung der Äpfel – die im übrigen aus ökologischem Anbau stammen – im Trubel des Hauptbahnhofs gleich erschloss, darf bezweifelt werden. Auf jeden Fall aber waren Jung und seine Mitstreiter von der Freude und der Freundlichkeit, die ihnen entgegengebracht wurde, überrascht. Ablehnende Reaktionen gab es dennoch – meist wegen einer Apfelallergie.

Das Apfelverteilen ist aber nur der Startschuss für eine Vielzahl von Veranstaltungen zum Thema Nachhaltigkeit. In den Kirchen hängen Poster und über 600 Großbanner. Auf der Website gibt es Mitmachaktionen und einen Fotowettbewerb. Insgesamt beteiligen sich rund 500 Gemeinden. Schon jetzt bezeichnet die EKHN "Danksekunde" als die zweiterfolgreichste ihrer Öffentlichkeitsaktionen. Die erfolgreichste bleibt übrigens die vorhergehende: "Zum Glück gibt’s Segen".

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Entsprechend stolz und zufrieden zeigten sich die Verantwortlichen auf der anschließenden Pressekonferenz. "Dass unsere letzten zwei Aktionen auch die erfolgreichsten sind, zeugt von einer zunehmenden Akzeptanz", sagt Jung. Und Heidi Förster von der Propstei Rhein-Main ergänzt, eine kürzlich von Emnid durchgeführte Evaluation habe ergeben, dass die Briefe, die in die Haushalte flattern, länger und von mehr Leuten gelesen werden als angenommen. Und zwar durch alle Altersklassen hindurch. Da ist es kein Wunder, dass die Synode, das Kirchenparlament, bereits im Frühjahr beschloss, die Impulspost fortzuführen.

Dennoch: Längst nicht bei allen stoßen die Aktionen auf Zustimmung. Davon zeugen die 500 bis 1.000 meist kritischen Direktreaktionen, die jedes Mal bei der Kirche ankommen. "Vielen ist die Vorstellung, dass Kirche Werbung macht, zuwider", sagt Jung. Sie finden, dass ihre Kirchensteuer für etwas anderes verwendet werden sollte, etwa für karitative Zwecke. Gleichzeitig, sagt Volker Rahn, Pressesprecher der EKHN, gebe es immer dann besonders viel Protest, wenn die Kirche sich politisch äußere.

Danke sagen - aber schnell!

Ein weiter Vorwurf, den Volker Jung in Bezug auf die Impulspost häufig zu hören bekommt, ist der der Banalität. "Wir können aber nicht jeden jederzeit und mit allem erreichen. Manche fühlen sich eben von dieser Art der Ansprache intellektuell unterfordert."

Was diese Woche in den evangelischen Briefkästen lag, sah ein wenig so aus, als hätte man das Ergebnis eines Brainstormings ungefiltert auf die Faltblätter und in die Kuverts gepackt. Auf den Flyern, Stickern und Postkarten findet man neben der "Danksekunde" auch die "Danksekundede", womit auf die begleitende Website danksekunde.de hingewiesen werden soll. Dann ist da noch der markige Spruch "Wer dankt, denkt" zu lesen. Gemeint ist, dass aus dem Danken ein Nachdenken folgt, nämlich über das, wofür man sich bedankt. Zum Beispiel über das Essen auf dem Teller und darüber, wie es dort hinkommt.

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Dann heißt es weiter in der Impulspost, dass Danken ganz viel mit Innehalten zu tun habe: "Das Danken hilft uns, nicht dem Druck unserer Gegenwart zu erliegen, ständig nur von Einem zum Nächsten zu jagen, statt erst einmal dankbar zu innezuhalten." Innehalten – da möchte man unbedingt zustimmen, nur stellt sich sofort die Frage, warum die Kirche dann gerade zu einer Dank"sekunde" aufruft? Ist man da nicht gerade dem Zeitdruck der Gegenwart erlegen? Nur eine Sekunde innehalten – im Ernst jetzt?

Der Begriff "Danksekunde" bleibe in seiner Sperrigkeit eben eher hängen als ein einfaches "Danke", und in der Werbung dürfe man so etwas schon einmal machen. Außerdem sei das nur als ein Anstoß gemeint, auf die eine Danksekunde könnten noch viele folgen, schließlich bestehe der Tag ja aus 86.400 Sekunden – so erklärt es Birgit Arndt vom Medienhaus. Und Volker Jung verweist auf das Herzensgebet, das nicht aus vielen Worten, sondern nur aus einem einzigen besteht ("Jesus"). Das könne, ebenso wie das Wort "Danke" in nur einer Sekunde gesprochen werden. Diese Erklärungen kann man überzeugend finden oder nicht. Eines ist dagegen sicher: Banalität muss sich die EKHN diesmal angesichts dieser gedanklichen Kapriolen nicht vorwerfen lassen. Die der Impulspost beiligenden Sticker sind aber wirklich sehr, sehr hübsch geworden.

Und ein letztes noch zu den Äpfeln: Wohl selten kaute der Frankfurter Hauptbahnhof in einer solchen Einigkeit. Und bei der Gruppe, die sich täglich vor dem Bahnhof, am Eingang der Kaiserstraße, versammelt, kreisten neben den üblichen Bierflaschen und Crackpfeifen auch ein paar Äpfel. Das ist auch etwas, für das man mal dankbar sein kann.