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Viele Gäste im vollbesetzten Kaisersaal des Frankfurter Römer werden sich an Abenteuer ihrer eigene Kindheit erinnert haben. Weniger an eigentliche Episoden, vielleicht mehr an die Gefühle, die sie in ihnen wachriefen. Mit dem Australier Shaun Tan ist jemand mit dem Illustrationspreis für Kinder- und Jugendliche ausgezeichnet worden, der diese Erinnerungen künstlerisch umgesetzt hat.
So lautet auch die Begründung der Jury: "Mit Shaun Tan wird einer der bedeutendsten Illustratoren unserer Gegenwart ausgezeichnet. In seinem aktuellen Werk 'Die Regeln des Sommers', dessen Sujet das Gesetz der Geschwisterfolge ist, erweist er sich als bildmächtiger Erzähler. Tan entwirft eine Brudergeschichte von alttestamentarischer Wucht, die er jedoch im Interieur unserer Gegenwart ansiedelt. Eine moderne Parabel über Macht und Ohnmacht, die er im Stil seiner eigens entwickelten surrealen Bildkompositionen erzählt. Tan entwirft Bilder von opulenter Farbigkeit, die mit dem differenzierten Spiel ihrer Symbole und ihrem sensiblen Gestenvokabular zu überzeugen wissen".
Shaun Tan wurde 1974 in Perth, Australien, geboren. Sein Buch "Ein neues Land" wurde vielfach ausgezeichnet. Für "The Lost Thing" gewann er 2011 den Oscar für den besten animierten Kurzfilm. Darüber hinaus erhielt er den Astrid Lindgren Gedächtnispreis. Die Laudatio auf den Preisträger, der selbst nicht nach Frankfurt gereist war, hält Tomaso Carnetto, Direktor der Frankfurter Akademie für Kommunikation und Design.
Carnetto macht klar, wie wichtig es sei, nicht nur nach dem Inhalt eines Buches zu fragen, also nach dem "Was wir sehen?", sondern auch nach dem "Wie Shaun Tan das gemacht hat?" zu fragen, wie er übergreifend das Spektrum Liebe und Tod künstlerisch umgesetzt habe. Carnetto lobt die Grammatik der ständigen Bewegung von Tans Illustrationen, die eine emotionale Berührung mit dem Leser voraussetze, um mit ihrer Detailgenauigkeit Gefühle hervorrufen zu können, etwa durch das Symbol einer Rabenkrähe das der Melancholie. Verbunden mit eigenen Erfahrungen ließe sich im Buch so immer wieder Neues entdecken.
Aus seinem Melbourner Studio sendet Shaun Tan ein Grußwort in den Kaisersaal des Frankfurter Römer. Für ihn sei es eine besondere Ehre, den Preis durch das GEP verliehen bekommen zu haben, das sich sowohl Vorgaben wie hoher journalistischer Standards als auch menschlicher Werte, wie Mitgefühl und Neugier verpflichtet sehe. Tan, der nach seinem Selbstverständnis für Leser aller Altersgruppen schreibt und zeichnet, versteht gerade seine Kunstform als für den interkulturellen Dialog besonders geeignet.
"Die Regeln des Sommers" baue auf eigenen Kindheitserinnerungen und -gefühlen des Illustrators als kleiner Bruder auf, die er in seinen Bildern künstlerisch überhöht und verdichtet, ohne dass die dargestellten Episoden zwangsläufig biografisch sein müssten. Die stark fantastischen Bilder sollten reale Empfindungen hervorrufen. Sie zeigten Freude, Neid, aber auch Vergebung, ebenso wie die Unsicherheit im Leben, der sich auch die meisten Erwachsenen nicht entziehen könnten.
Arnd Brummer, Chefredakteur von chrismon und Mitglied im Publizistischen Vorstand des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik, verdeutlicht in seiner Rede den Zusammenhang zwischen Bildung und Bilder im eigenen Kopf und in der Welt, die widerum Realität erzeugen. Wer könnte aber besser ein Kinderbuch rezensieren als Kinder selbst? Junge Leserinnen und Leser des Literarischen Kinderquartetts der Buchhandlung "Sternschnuppe" in Hannover erzählen im Video "So finden Kinder 'Die Regeln des Sommers'", das bei der Verleihung gezeigt wird, welche Bilder über Macht und Ohnmacht ihnen gut gefallen, was sie berührt, zum Beispiel die Szenen: "Nie auf eine Schnecke fallen" oder "Nie eine rote Socke auf der Wäscheleine hängen lassen". Auch verraten sie, wem sie das Buch schenken würden.
Die Preisverleihung bildet zugleich den Auftakt zu der am 26. September 2014 um 19 Uhr eröffnenden Ausstellung "Kindheitsräume. Kindheitsträume" im Museum Angewandte Kunst, Frankfurt. Die Werke des aktuellen Preisträgers Shaun Tan und des norwegischen Illustrators Øyvind Torseter, Gewinner des Illustrationspreises 2012, werden dort gemeinsam mit Arbeiten des französischen Künstlerpaares Anouk Boisrobert und Louis Rigaud in einer einzigartigen Werkschau nicht nur für Kinder erlebbar gemacht.
Der Illustrationspreis für Kinder- und Jugendbücher wurde zum zwölften Mal vom Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) vergeben. Es werden Buchillustrationen prämiert, die ausdrucksstark sind, innere Bilder wachrufen und die Fantasie anregen, die der sichtbaren und unsichtbaren Wirklichkeit Gestalt verleihen und ein christliches Selbstverständnis im Sinne von Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung anschaulich unterstützen. In diesem Jahr hatten sich 72 Verlage mit 199 Büchern um den Preis beworben. Das GEP ist die zentrale Medieneinrichtung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), ihrer Landeskirchen und Werke sowie der evangelischen Freikirchen.