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Der aus Syrien stammende kleine Christian Marma läuft im Rathaus in Ingelheim am Rhein an einer Deutschland-Fahne vorbei.
Flut und Dammbruch: Wie Medien über Flüchtlinge berichten
Wie selbstverständlich benutzten Medien vor rund 20 Jahren Begriffe wie "Flüchtlingsschwemme" und "Asylantenflut". Heute ist der Ton moderater. Doch manche berichten immer noch über Flüchtlinge, als kämen Naturkatastrophen über uns.
18.09.2014
epd
Johannes Süßmann

Brennende Flüchtlingsunterkünfte in Rostock und Hoyerswerda, Anschläge auf Ausländer in Solingen und Mölln: Nach Recherchen des Freiburger Historikers Ulrich Herbert wurden in Deutschland Anfang der 90er Jahre mehr als 100 Ausländer von Rechtsextremisten ermordet - Folge einer völlig aus dem Ruder gelaufenen Debatte über Zuwanderung. Und für manchen Beobachter stand schon damals fest: "Die Pressesprache trägt zum Rassismus bei." Diese Schlagzeile der "tageszeitung" aus dem Jahr 1992 gründete auf einer Studie von Margarete Jäger vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung. Ihr Ergebnis damals: Die Medien sind "mitverantwortlich für die Ausländerfeindlichkeit in Deutschland" - unter anderem durch die Verwendung bildhafter Begriffe wie Flut, Schwemme und Dammbruch.

Heute ist Jäger Leiterin des Forschungsinstituts. "Begriffe wie 'Flüchtlingsstrom' findet man nach wie vor allenthalben", sagt sie. Damals zeigte ihre Studie, dass die Formulierungen der Massenmedien von vielen Lesern direkt übernommen werden. Heute sei die Berichterstattung gebremster, der Gebrauch verallgemeinernder Sprachbilder nicht mehr so dicht wie in der aufgeheizten Stimmung der 90er, als "ständig und überall von der 'Asylantenflut' die Rede war", sagt Jäger.

1991 titelt "Der Spiegel": "Flüchtlinge, Aussiedler, Asylanten - Ansturm der Armen"

In der Tat kam damals einiges zusammen, wie Historiker Herbert berichtet: Türken, die nach einem Militärputsch nicht mehr als Gastarbeiter, sondern als politische Flüchtlinge nach Deutschland kamen; Asylbewerber aus dem sich auflösenden Ostblock; Hunderttausende Aussiedler aus Polen, Rumänien und der Sowjetunion. Lag die Zahl der Asylbewerber 1985 bei rund 35.000, stieg sie bis 1992 um mehr als das Zehnfache, auf knapp 440.000.

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Im wiedervereinigten Deutschland wurden Flüchtlinge auch auf die neuen Bundesländer verteilt - und so zu Nachbarn "von Leuten", wie Herbert sagt, "die in ihrem ganzen Leben womöglich noch nie einen Ausländer gesehen hatten". Es folgten die Gewaltausbrüche - begleitet von den Medien. "Es kam zu einem in dieser Form nicht gekannten kooperativen Vorgehen der Boulevardpresse und der konservativen Parteien", erklärt Herbert: "CDU und CSU wollten die SPD zwingen, das Asylrecht aus dem Grundgesetz zu streichen oder doch zu entkernen", was letztlich auch Erfolg hatte.

Vor allem die "Bild"-Zeitung nahm die Kampagne auf. Doch auch "Der Spiegel" titelte im September 1991: "Flüchtlinge, Aussiedler, Asylanten - Ansturm der Armen". Die "Welt" schrieb im August desselben Jahres zur weit verbreiteten Metapher des "vollen Bootes", einem Symbol für das angeblich längst übervolle Deutschland: Rechnerisch sei das Boot natürlich noch lange nicht voll. "Aber Chaos und Panik können auch ein halbvolles Boot zum Kentern bringen." Der Duden indes weist schon seit 1980 darauf hin, dass die Bezeichnung "Asylant" "gelegentlich als diskriminierend empfunden" wird.

Die Würde des Menschen in den Mittelpunkt stellen

Für Jäger haben auch die Entgleisungen von damals dazu geführt, dass Medien heute oft moderater formulieren. Nach wie vor stört die Sprachforscherin aber, "dass im Mediendiskurs immer wieder - und aus meiner Sicht in kürzer werdenden Abständen - Ereignisse skandalisiert werden, mit denen ein latent rassistisches Klima in Deutschland aufrechterhalten wird". Das gelte etwa für die Debatten über die Thesen Thilo Sarrazins wie auch die Klage über die sogenannte Armutszuwanderung aus Rumänien und Bulgarien. "Journalisten sollten sich bewusst sein, dass sie mit der Art und Weise, wie sie Themen aufbereiten, das gesellschaftliche Klima mit anheizen können", sagt Jäger.

Oscar Tiefenthal, Leiter der Evangelischen Journalistenschule in Berlin, sieht es ähnlich. "Ein Journalist sollte eine Haltung haben, die die Würde des Menschen in den Mittelpunkt stellt", sagt er. Natürlich gehörten Vereinfachen und eine verständliche Sprache zum journalistischen Handwerk. "Verantwortlich arbeiten in den Medien heißt aber eben auch, sich ständig selbst infrage zu stellen und den Blick in den Spiegel zu riskieren." Zudem gebe es wenige Migranten, die in deutschen Medien arbeiteten und die Chance hätten, etwas an den negativ besetzten Bildern und Begriffen zu ändern.

Der "taz"-Artikel von 1992 endet mit dem Zitat Jägers, die Medien müssten "ihre Sprache ganz besonders überprüfen, weil Schlagzeilen und 'Brandsätze' in den Medien schnell zu realen Brandsätzen werden können". Und das, sagt sie, gelte auch heute noch.