Foto: dpa/Oliver Berg
Die selbsternannte "Scharia-Polizei" steht unter Beobachtung. Ob rechtliche Schritte gegen die Provozierer möglich sind, wird in Wuppertal gerade geprüft.
Wuppertaler Warnwesten-Salafisten sorgen für Ärger
Eine selbsternannte "Scharia-Polizei" provoziert Bürger und Behörden
Eine "Scharia-Polizei" patrouilliert durch Wuppertal und verkündet islamisches Recht, per Internet wird eine "scharia-kontrollierte Zone" ausgerufen. Es ist eine öffentliche, extremistische Auslegung der Scharia durch salafistische selbsternannte Sittenwächter - und eine Provokation. Aber Wuppertal will sich wehren.
05.09.2014
mit Material von dpa, epd
Hanno Terbuyken, Frank Christiansen

Ganz ohne Musik, die radikale Islamisten eigentlich missbilligen, geht es auch in ihren eigenen Propaganda-Videos nicht. Zu ihren religiösen Gesängen zeigen sich dort vollbärtige Gestalten, die in der Innenstadt von Wuppertal für ihre Auffassung von Recht und Ordnung auf Streife gehen. Auf ihren orangen Warnwesten steht "Shariah Police", "Scharia-Polizei".

Mit ihrem jüngsten Auftritt sorgen die radikalen Islamisten für berechtigte Empörung. "Diese Personen wollen bewusst provozieren und einschüchtern und uns ihre Ideologie aufzwingen", kritisierte der Wuppertaler Oberbürgermeister Peter Jung (CDU) am Freitag. Auch der Wuppertaler Integrationsbeauftragte Hans-Jürgen Lemmer sieht in dem Auftritt der selbsternannten Sittenwächter eine "gezielte Provokation". "Das ist eine höchst gefährliche Truppe, die für den Heiligen Krieg rekrutiert", sagte er der "Westdeutschen Zeitung". Die Aktion hat ihr Vorbild in London, wo Islamisten bereits vor einem Jahr nachts durch die Straßen patroullierten.

Mit einem gelben Flyer zeigen die Salafisten den Menschen auf der Straße, was aus ihrer Sicht durch islamisches Recht - die Scharia - so alles verboten ist: Alkohol, Glücksspiel, Musik und Konzerte, Pornografie und Prostitution, Drogen. "Shariah Controlled Zone" steht auf den Verbots-Hinweisen. Das erinnert an die Propaganda von Neonazis mit ihren "national befreiten Zonen".

Zwischen Meinungsfreiheit, Provokation und Anmaßung

Wuppertal gilt als Salafisten-Hochburg. Bei der Vorstellung des jüngsten Verfassungsschutz-Berichtes hieß es, die Islamisten hätten bereits 1.800 Anhänger in Nordrhein-Westfalen. Im Mai hatten sie ein Zentrum in Wuppertal eröffnet, der radikale Prediger Pierre Vogel trat als Redner auf. Zwar wurde der Mietvertrag inzwischen gekündigt, die Salafisten müssen im Dezember ausziehen. Aber "die hatten ziemlichen Zulauf", sagt eine Polizeisprecherin.

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Die CDU-Opposition im NRW-Landtag regt bereits Gesetzesverschärfungen gegen die Scharia-Straßenkämpfer an: "Das darf sich ein wehrhafter Rechtsstaat nicht bieten lassen." Doch der Sprecher der Wuppertaler Staatsanwaltschaft zeigt auf, in welchem Dilemma die Strafverfolger stecken. "Das bloße Empfehlen religiöser Regeln ist nicht strafbar", sagt Wolf-Tilmann Baumert. Erst wenn jemand tatsächlich daran gehindert werde, eine Diskothek oder Spielhalle zu betreten, könnte dies als Nötigung verfolgt werden.

"Die Verkündung der eigenen Glaubens- und Weltanschauung steht natürlich jedem in diesem Land frei, sofern das ohne Anwendung von Zwang und Gewalt geschieht", bestätigt auch Detlef Görrig, Referent für Interreligiösen Dialog im Kirchenamt der EKD. Aber er bekräftigt die Kritik an dem Auftreten der Salafisten: "Die Verbindung von religiöser Überzeugung mit polizeiähnlicher Autorität halte ich für eine Anmaßung, die der bei uns aus gutem Grunde vorhandenen Trennung von Religion und Staat widerspricht und zudem in polizeiliche Hoheitsrechte eingreift."

Bisher müssen sich die elf Warnwesten-Salafisten nur auf Ermittlungen wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsrecht einrichten. Die Polizei wertet den einheitlichen Auftritt der Gruppe mit ihren Westen allerdings als unerlaubte Uniformierung, so dass noch weitere Ermittlungen hinzukommen könnten.

Radikales Schreckgespenst statt religiöse Praxis

Görrig kritisiert die Aggressivität, mit der die Gruppe ihre Überzeugungen unter die Leute bringen will. "Das religiöse Bekenntnis braucht keinen Druck, um sich Gehör zu verschaffen, im Gegenteil: falsch verstandener Eifer entleert die Botschaft, die transportiert werden soll", sagt der Oberkirchenrat. Ob die Salafisten allerdings wirklich Glaubensinhalte vermitteln wollen, bezweifelt er: "Vielleicht handelt es sich aber auch um eine bewusste Provokation, um die Aufmerksamkeit der Medien und Öffentlichkeit zu erreichen. Denn das Wort 'Scharia' ist ja für viele zum Schreckgespinst geworden."

Dabei wird die radikale und restriktive Auslegung, die Pierre Vogel und andere deutsche Salafisten propagieren, von vielen islamischen Rechtssschulen nicht geteilt. Trotzdem weckt "Scharia" bei vielen Deutschen direkt Ängste vor einem islamischen Gottesstaat. "Dass das so ist, liegt nicht zuletzt auch an der radikalen Auslegung durch Fundamentalisten, die keineswegs allen islamischen Rechtsschulen gerecht wird", erläutert Görrig: "Dabei wird oft übersehen, dass die Scharia nicht nur strafrechtliche Fragen zu regeln versucht, sondern auch die religiöse Praxis im Alltag, die sich etwa bei Musliminnen und Muslimen in der Einhaltung der fünf Säulen zeigt."

Görrig plädiert grundsätzlich für eine differenzierte Sichtweise, "doch ich bezweifle, dass die mit dieser Aktion in Wuppertal beabsichtigt ist." So sieht es auch Wuppertals Polizeipräsidentin Birgitta Radermacher. Sie forderte die Bevölkerung auf, nicht wegzuschauen: "Wählen Sie 110, wenn Sie diesen Leuten begegnen." Inzwischen hat die Polizei auch ein Bürgertelefon eingerichtet (0202 / 284-7111), bei dem die Wuppertaler ihre Fragen und Hinweise zu den Salafisten direkt abgeben können.

"Wuppertal ist eine weltoffene und tolerante Stadt, die stolz darauf ist, dass hier Menschen unterschiedlichen Glaubens und unterschiedlicher Überzeugungen friedlich miteinander leben", sagte Oberbürgermeister Jung. Das lasse man sich nicht durch einige militant auftretende Personen kaputtmachen - auch wenn die es eindeutig darauf anlegen.