Ein Paar mit Kind kann ins Gästezimmer, dazu zwei Leute aufs Klappsofa im Wohnzimmer. Am Esstisch würde man zusammenrücken und im Bad morgens Schichtbetrieb einführen. Müsste gehen. Aber seien wir ehrlich: Bei dem Gedanken, Fremde in den eigenen Wohnräumen zu beherbergen, fallen uns schnell Ausreden ein. "Es ist zu eng, wir haben keine Privatsphäre mehr, das wird zu teuer, und überhaupt: Wer weiß, was das für Leute sind?"
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Patzelt aus Briesen (Landkreis Oder-Spree) ist da nicht so zimperlich. Auf dem Oranienplatz in Berlin sammelte er zwei Frauen mit drei Kindern auf, eins davon noch ein Säugling, die es in der Kälte und zwischen all den Männern nur schwer ausgehalten hatten. Doch auch bei Familie Patzelt im Dorf war es ihnen nicht geheuer – die Frauen wollten in der Nähe ihrer Landsleute sein und zogen nach zwei Tagen wieder aus. In einer Stadtwohnung hätte es funktionieren können. Und mit anderen Gästen hat es zuvor schon geklappt bei den Patzelts: Eine junge Frau aus Afrika blieb für ein Jahr. "Das ist alles nicht so kompliziert", sagt der Politiker.
Martin Patzelt ruft "die Menschen in unserem Lande auf, über eine zeitnahe Aufnahme von Flüchtlingen, insbesondere von Müttern mit Kleinkindern, in ihren eigenen Häusern oder Wohnungen nachzudenken". Seiner Erfahrung nach haben viele Bürger genug Platz und auch genug Geld, so dass "eine Aufnahme von Gästen organisatorisch wie finanziell keine wesentliche Last darstellen würde". Der Abgeordnete meint das ernst. Die jeweilige Ausländerbehörde müsse die Aufnahme organisieren, schlägt er vor – freie Plätze sammeln und sortieren, welche Flüchtlinge bei wem wohnen könnten. "Und dann guckt man sich an, beriecht sich und sagt: Ja, das könnte gut gehen." In einer Vereinbarung zwischen Behörde, Gastgeber und Flüchtling würde nach Patzelts Vorstellung festgehalten, dass die öffentlichen Kassen für Lebensunterhalt und Krankenversicherung aufkommen. Mietkosten entstehen nicht, Strom und Wasser zahlt der Gastgeber, und "wenn es aus persönlichen Gründen der Lebensentwicklung oder Konfliktsituationen nicht mehr geht, dann kann man diese Vereinbarung wieder auflösen". Eine WG auf Zeit – soweit die Idee.
Erst der Asylantrag, dann eine Wohnung
Günther Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, findet die Idee gut, "weil sie den Blick in eine andere Richtung lenkt". Bisher werde gefragt: "Wo gibt es ein Zelt?" Das aber sei "ein völlig falsches Signal", meint Burkhardt. "Bundeswehrkasernen, Krankenhäuser, Schulen – das alles läuft auf Provisorien hinaus, die schnell zu Dauerlösungen werden und wo Menschen dann in lagerähnlichen Unterkünften untergebracht werden. Das fördert nicht die Integration, es schottet ab und setzt das Signal: Es sind zu viele." Dass die Zahl der Flüchtlinge und die Zahl der Betten nicht übereinstimmen, ist aus Sicht von Pro Asyl auf Planungsfehler zurückzuführen: "Bund, Länder und Kommunen haben in den letzten Jahren in der Illusion gelebt, dass die Konflikte in Syrien, Irak, Libyen oder Afghanistan und anderen Ländern an uns vorbeigehen würden." Jetzt kommen viele Menschen auf einmal und das werde "als Überforderung erlebt", so Burkhardt.
In manchen Gegenden – besonders in den Ballungsräumen Ruhrgebiet, Rhein-Main, München – sind die Behörden momentan froh über jedes Gebäude, in dem sie Flüchtlinge unterbringen können. Bei leerstehenden Immobilien gibt es allerdings häufig baurechtliche Hindernisse wie nicht ausreichender Brandschutz, die dem im Wege stehen. Einige Kommunen haben gute Erfahrungen damit gemacht, Wohnungen für die Flüchtlinge anzumieten, zum Beispiel die Stadt Hildesheim und die Stadt Potsdam. Für die Flüchtlingsfamilien ist das angenehm: Sie haben, wenn sie in einer normalen Wohnung leben anstatt in einer Massenunterkunft, mehr Privatsphäre und Normalität im Alltag. Vielerorts bilden sich spontan Nachbarschaftsinitiativen, um die Fremden zu unterstützen. An Gästezimmer und WGs auf Zeit in den eigenen vier Wänden dachte allerdings bisher kaum jemand.
Sicherlich würde es "überall dankbar aufgenommen werden, wenn Privatpersonen signalisieren: Hier gibt es Wohnraum", so die Einschätzung von Pfarrer Andreas Lipsch, Interkultureller Beauftragter der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). "Wenn jemand auch noch auf Mieteinnahmen verzichtet, umso besser." Allerdings ist Lipsch – wie Martin Patzelt – der Ansicht, dass die Verteilung organisatorisch über die Behörden laufen sollte. Ankommende Flüchtlinge müssten zunächst in eine der Erstaufnahmeeinrichtungen kommen, die von den Bundesländern betrieben werden, sagt er. Von dort aus können sie ihren Asylantrag stellen, werden registriert und dann an die Kommunen weiterverteilt. Ab hier dürfte rechtlich nichts gegen eine Unterbringung bei Privatleuten sprechen, meint Lipsch, aber "problematisch fände ich es, wenn staatliche Aufgaben durch privates Engagement ersetzt werden sollten". Schließlich ist es der Staat, der das Recht auf Asyl garantiert. "Wir brauchen verlässliche Planungsstrukturen für eine nachhaltige Politik der Flüchtlingsaufnahme", sagt Pfarrer Andreas Lipsch.
"Ich will face to face Beziehung anbieten"
Angenommen, Martin Patzelts Vision von Flüchtlingen in privaten Gästezimmern ließe sich rechtlich und organisatorisch umsetzen: Sie könnte die Gesellschaft verändern, davon ist der Bundestagsabgeordnete überzeugt. "Es macht schon Sinn, wenn gerade in Gegenden, wo wenige Ausländer leben, Erfahrungen mit ausländischen Mitbürgern gemacht werden können", sagt er und berichtet von ausländerfeindlichen Äußerungen und Ängsten, ja von regelrechter Xenophobie als Reaktion auf seinen Vorschlag. "Ich habe viele schlimme Mails bekommen, die Menschen beschimpfen mich. Der Begriff 'Psychiatrie' ist dabei immer noch das wenigste, auch 'Teufel' und 'Tier' werde ich genannt, und dann denke ich: Mein Gott, wie gefangen müssen die Menschen sein, dass ihnen ein Vorschlag, der nicht einmal moralisch Druck machen will, schon so viel Angst macht?"
Patzelt möchte die einen mit den anderen in Kontakt bringen, "damit die Leute erfahren: Das sind ja Menschen, die nicht das Wohlstandsland suchten, sondern ihr Leben retten wollten. Und wir bieten ihnen an, für eine Zeit mit uns zu leben." Direkter, persönlicher Umgang mit Flüchtlingen im eigenen Gästezimmer könne das Verständnis fördern, sagt Patzelt, der katholischer Christ und selbst sehr kontaktfreudig ist. "Ich will auch mit den Menschen kommunizieren, kein Abhängigkeitsverhältnis schaffen, sondern face to face Beziehung anbieten" – damit tue man sich doch selbst etwas Gutes, ist der Politiker überzeugt. Günther Burkhardt von Pro Asyl kann die Idee in dieser Hinsicht nur unterstützen: "Es würden mehr Kontakte entstehen. Man begegnet sich. Es wächst das Verständnis, warum Menschen nach Deutschland gekommen sind. Es wäre von daher auch ein Präventionsprogramm gegen ablehnende Stimmungen."
Wenn Sie wissen wollen, was Sie beim Vermieten einer Wohnung oder eines Zimmers an Flüchtlinge beachten müssen, lesen Sie am besten diesen Leitfaden von Pro Asyl. WG-Zimmer-Vermittlungen organisiert die Seite fluechtlinge-willkommen.de. Es gibt mittlerweile auch einen aktuelleren Artikel von evangelisch.de über das Thema "Wohnungen an Flüchtlinge vermieten". Alle Artikel zum Thema "Wie kann ich Flüchtlingen helfen?" haben wir außerdem hier zusammengefasst. Was Kirchengemeinden für Flüchtlinge tun, lesen Sie in diesen Artikeln.