Foto: epd-bild/Katharina Eglau
Kleine Schritte für die Christen in Ägypten
Das niedersächsische Pastorenehepaar Nadia und Stefan El Karsheh leitet seit letztem Jahr die deutschsprachige evangelische Gemeinde in Ägypten. Im Sommer 2013 gab es erneut Unruhen im Land, die Regierung der Muslimbruderschaft wurde abgesetzt. Trotzdem kehrte das Ehepaar mit seinen zwei Kindern nach ihrem Urlaub zurück nach Kairo - ohne zu wissen, wie sich die Lage vor Ort entwickeln würde. Pfarrer Stefan El Karsheh erzählt vom Gemeindeleben in Kairo.
12.09.2014
evangelisch.de
Franziska Fink

Herr El Karsheh, vor einem Jahr haben Sie und Ihre Familie nicht gewusst, was Sie genau nach Ihrem Aufenthalt in Deutschland bei Ihrer Rückkehr in Ihre Gemeinde in Kairo erwartet. Der damalige Präsident Mohammed Mursi war gerade vom Militär entmachtet, es gab Unruhen in Ägypten. Wie war es denn dann tatsächlich, als sie zurückkehrten?

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Stefan El Karsheh: Der erste Eindruck bei unserer Rückkehr war, dass im Ausland nicht ausgewogen berichtet wurde über die tatsächliche Situation in Ägypten und dass auch in Deutschland nicht ausreichend gewürdigt wurde, wie sehr die Menschen in Ägypten unter Mursi gelitten hatten. Das wurde uns hier widergespiegelt von vielen Menschen, auch von koptischen Christen.

Die Ägypter konnten nicht verstehen, warum wir in Deutschland nicht genauso mit ihnen feiern und genauso glücklich darüber sind, dass die Zeit unter den Muslimbrüdern vorbei ist, einem Regime in dem es so viel Ungerechtigkeit und so wenig Demokratie gab, obwohl es demokratisch gewählt war.

Vor einem Jahr war ich zunächst allein nach Kairo geflogen, um die Situation vor Ort einschätzen zu können. Meine Frau kam mit unseren beiden Kindern zwei Wochen später, weil sich unsere Kirche Sorgen gemacht hatte. Wir haben zunächst mit Ausgangssperren gelebt, erst bis abends um sieben Uhr, dann wurde die Ausgangssperre ausgedehnt auf acht, neun, zehn Uhr. Durch all diese Umstände kamen wir natürlich auch mit unseren Planungen in Verzug: Wir haben einige Gemeinde-Aktivitäten nur verzögert anfangen können.

Wie haben Sie und Ihre Gemeinde dann das vergangene Jahr mit der Übergangsregierung bis zu den diesjährigen Wahlen erlebt?

Stefan El Karsheh: Wir als ausländische Gemeinde haben die politischen Spannungen gar nicht so zu spüren bekommen, weder unter dem Regime von Mursi noch jetzt unter der Präsidentschaft von as-Sisi. Natürlich stehen ausländische Institutionen auch unter Beobachtung und alle, die sich kritisch äußern - und da haben wir natürlich auch Dozenten und Politikwissenschaftler in unserer Gemeinde, die sind sowohl bei dem einen wie dem anderen Regime vorsichtig, manchmal auch besorgt. Unsere Gemeinde wie auch meine Frau und ich als Geistliche stehen aber eigentlich gar nicht im Fokus der ägyptischen Regierung, jetzt noch weniger als unter Mursi.

"Man muss sich mit seinen religiösen Wurzeln auseinandersetzen"

Was bedeutet eigentlich "Gemeinde sein" in Kairo beziehungsweise Ägypten? Wo liegen die Herausforderungen für Ihre deutschsprachige evangelische Gemeinde?

Stefan El Karsheh: Wir sind etwa 100 Gemeindemitglieder mit einem großen Freundeskreis. Die Herausforderung hier im Land besteht augenblicklich nicht so sehr in der Sicherheitslage. Die ist unter der restriktiven Vorgehensweise der Regierung relativ ruhig.

Die Herausforderung für uns als Deutsche besteht darin, dass wir hier in einem sehr religiösen Umfeld leben.  Sowohl Kopten als auch Muslime sind fromm. Das ist, wenn man aus einer säkularen Umgebung kommt, vielleicht erst einmal ungewöhnlich, aber auch etwas Besonderes und führt dazu, dass man sich mit seinen eigenen Wurzeln auseinandersetzen muss, auch mit seinen religiösen Wurzeln.

Wie erleben Sie den Alltag in Kairo?

Stefan El Karsheh: Wir leben in einer riesigen Stadt, die zum Teil sehr unorganisiert ist, die Verkehrsverhältnisse sind chaotisch. Man wird also schon vom ganz alltäglichen Leben sehr beansprucht. Auch wenn man vielleicht tagsüber gar nicht so viel gemacht hat, hat man doch so viel gesehen, gehört, gerochen, so viel durch seinen eigenen Körper erlebt, dass man davon am Ende des Tages geschafft ist.

###mehr-links###Dennoch versuchen wir hier verlässliche Ebenen zu schaffen. Die Gemeinde ist der Treffpunkt für die deutsche Community in Kairo, nicht nur um Gottesdienste zu feiern. Wir machen Seminare für Neuankömmlinge und für Leute, die wieder in die alte Heimat zurückkehren, um die Menschen auf diese Schwellensituation vorzubereiten. Wir veranstalten Willkommensfeste und Themenabende zu moralischen und religiösen Fragen, wir machen Seniorenarbeit und haben eine Krabbelgruppe.

Wir bilden also vieles ab, was eine normale Gemeinde auch macht. Aber das eben unter besonderen Bedingungen. Dabei sind wir auch sehr eng vernetzt mit vielen Institutionen wie dem Goethe-Institut, der Botschaft und anderen Einrichtungen.

Wie beeinflusst denn die politische Lage Ihren Alltag?

Stefan El Karsheh: Man gewöhnt sich daran, dass es an bestimmten Punkten in der Stadt Militärpräsenz gibt. So gibt es auch Absperrungen um Polizeigebäude, weil hier die Polizei immer wieder mit Anschlägen rechnet. Wir bekommen natürlich mit, wenn irgendwo etwas passiert ist, das ist dann aber meistens in der Nähe von Sicherheitseinrichtungen und beeinflusst nicht wirklich unseren Alltag. Darüber, dass man gelegentlich bestimmte Plätze meidet, weil man an diesem Tag eine Warnung von der Botschaft erhalten hat, gehen die Sicherheitsvorkehrungen im Augenblick eigentlich nicht hinaus.

"As-Sisi ahnt, dass er die Erwartungen nicht erfüllen kann"

Seit dem 8. Juni ist Abd al-Fattah as-Sisi der neue Präsident. Hat sich seit seiner Wahl etwas geändert? Ist die Stimmung eine andere?

Stefan El Karsheh: Die Stimmung bei breiten Teilen der Bevölkerung war große Erleichterung. Kopten wie Moslems haben gesagt, das Mursis Regime kein muslimisches Regime war, sondern ein islamistisches. Die Präsidentschaft von as-Sisi wurde also schon als eine Art Befreiung gesehen.

Aber as-Sisi ahnt auch, dass er die Erwartungen nicht erfüllen kann, die die Leute an ihn haben. Man erhofft sich viel von ihm, aber es gibt jetzt schon Kritik, weil er die Wirtschaft nicht so voranbringt wie erwünscht, er das Steuersystem nicht verändert und so auf Geld aus dem Ausland angewiesen ist. Die großen Themen sind also noch lange nicht geklärt. Im Augenblick ist bei der Bevölkerung immer noch eine gewisse abwartende Haltung, man traut as-Sisi einiges zu, aber ich glaube, die Geduld ist nicht unendlich.

Sie unterrichten auch an einer Schule zusammen mit einem muslimischen Kollegen im kooperativen Religionsunterricht. Wie ist die Zusammenarbeit, wie ist Ihre Erfahrung mit den Schülern?

Stefan El Karsheh: Dieses Projekt läuft seit über zehn Jahren und bedeutet, dass der gesamte Religionsunterricht in der Oberstufe aus einer doppelten Perspektive unterrichtet wird. Wir betrachten also zum Beispiel Jesus Christus aber auch Themen wie Toleranz aus muslimischer und christlicher Sicht, mit dem Fokus was sich unterscheidet und was verbindet. Dadurch kommen die Schüler in einen Dialog.

###mehr-artikel###Besonders interessant ist, dass die muslimischen Schüler, anders als in Deutschland, nicht säkular sind und durchaus vom Islam überzeugt - egal wie frei oder eng sie ihre Religion verstehen. Die koptischen Schüler sind in ihrer Kirche ebenfalls sehr zu Hause. Und dann haben wir auch immer noch eine kleine Schar von Europäern, die können evangelisch, katholisch oder sogar konfessionslos sein.

Sobald geklärt ist, dass der eine dem anderen nichts beweisen muss, dass es nicht um Mehrheit und Minderheit geht, wird diskutiert und gefragt und dann wird klar, warum jemand denkt, wie er denkt und warum jemand glaubt, wie er glaubt. Diese unterschiedlichen Schülergruppen zusammenzubringen ist oft interessant und lebhaft.

"Mehr Freiheit, weniger Armut"

Sie werden noch knapp fünf Jahre in Kairo sein. Mit welchen Gefühlen sehen Sie dieser Zeit entgegen? Haben Sie Ziele und Hoffnungen?

Stefan El Karsheh: Was die Entwicklung des Landes angeht, wird es sicherlich nur kleine Schritte geben und keine großen. Ich wünsche Ägypten, dass sich der Tourismus erholt, denn das Land ist sehenswert und seine Bewohner noch viel mehr.

Ich wünsche mir sehr, dass die restriktive Form des gegenwärtigen Regimes zurückgefahren werden kann, dass die Menschen hier ein bisschen mehr Freiheit erleben und dass Lösungen für die Armut, die es hier direkt vor der Haustür gibt, gefunden werden.

Ich hoffe auch, dass unsere Gemeinde wieder ein bisschen größer wird und dass wir unsere gute Arbeit fortführen können. Diese Gemeinde hat eine lange Tradition, wir haben gerade das 150-jährige Jubiläum gefeiert und möchten gerne noch 150 Jahre dranhängen. Das wäre schön.