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TV-Tipp des Tages: "Der Verdingbub" (Arte)
TV-Tipp des Tages: "Der Verdingbub", 5. September, 20.15 Uhr auf Arte
Verdingkinder gab es in der Schweiz bis in die frühen Fünfzigerjahre hinein. Imbodens Film spielt im Jahr 1950 irgendwo im Emmental. Dunkelmatt heißt die Gegend, weil die Schatten hier länger sind als anderswo; in jeder Hinsicht.

Gäbe es nicht den motorisierten Pflug und würde nicht ein Postbus durchs Bild tuckern, man könnte schwören, dass sich die Geschichte im 19. Jahrhundert zuträgt. Kein Wunder, dass eine fortschrittlich denkende junge Lehrerin in diesem Umfeld geradezu progressiv wirkt. Alle anderen Figuren passen dagegen perfekt in den Hinterwald, in dem sie leben. Und wie so viele Filme, die in vermeintlich grauer Vorzeit auf dem Land spielen, so vermittelt auch Markus Imbodens Geschichte vom "Verdingbub" eine beinahe körperlich spürbare Freudlosigkeit.

Knechte und Mägde auf Bauernhöfe

Verdingkinder gab es in der Schweiz bis in die frühen Fünfzigerjahre hinein. Meist waren es Waisen, die als Knechte und Mägde auf Bauernhöfe vermittelt wurden, oft aber auch vaterlose Kinder, die ihren Müttern weggenommen wurden. Den Bauern war der Zuwachs mehr als willkommen, denn sie bekamen nicht nur zusätzlichen Arbeitskräfte, sondern auch noch Kostgeld. Imbodens Film (nach einem Drehbuch von Plinio Bachmann) spielt im Jahr 1950 irgendwo im Emmental. Dunkelmatt heißt die Gegend, weil die Schatten hier länger sind als anderswo; in jeder Hinsicht. Diese Erfahrung muss auch der junge Max (Max Hubacher) machen, als er auf den Bösiger-Hof vermittelt wird. Sein Vorgänger ist gestorben, und bald ahnt Max, warum.

Der Schweizer Imboden, hierzulande vor allem als mehrfach ausgezeichneter Regisseur herausragender TV-Krimis bekannt ("Mörder auf Amrum"), nimmt die Bösigers (Katja Riemann, Stefan Kurt) zwar in Schutz, aber den Verdingkindern muss ihr neues Zuhause wie der Vorhof zur Hölle erscheinen: Kleinste Fehler werden mit Ohrfeigen bestraft. Als sich Max über das miserable Essen beschwert, muss er fortan im Schweinestall schlafen. Besonders übel spielt ihm der Sohn des Hauses mit: Jakob (Max Simonischek) lässt keine Gelegenheit aus, ihn zu quälen, und schiebt ihm auch den Tod eines Kalbs in die Schuhe; fortan gönnt sich der trunksüchtige Vater Bösiger allabendlich das Ritual, Max auszupeitschen. Jakob wiederum schleicht sich jede Nacht in die Kammer des Verdingmädchens Berteli (Lisa Brand), um die 15jährige zu vergewaltigen.

Außer Lehrerin Esther (Miriam Stein), die mit ihrer Fürsprache für Max die Dinge allerdings nur noch verschlimmert, gibt es im Leben des Jungen nur einen Lichtblick: Er ist ein begnadeter Akkordeonspieler. Einzig die Liebe zur Musik hilft ihm, die Düsternis seines Alltags vorübergehend zu vertreiben. Seit er im Radio Bandoneon-Musik gehört hat, träumt er davon, nach Argentinien auszuwandern; gemeinsam mit Berteli. Aber selbstredend ist diese Schwachstelle geradezu eine Einladung für Jakob, um an Max Rache zu nehmen, als dieser Esther gegen den zudringlichen Bauernsohn verteidigt. Für Berteli nimmt die Geschichte kein gutes Ende, aber immerhin ist Max die Hoffnung auf ein besseres Leben vergönnt.

Die große Stärke des Films spricht auch gegen ihn: Imboden und seinem Kameramann Peter von Haller ist die äußerst bedrückende Rekonstruktion einer Zeit gelungen, in der sich das Alte noch erfolgreich gegen das Neue zur Wehr setzen konnte. Mit Ausnahme der Kinder ist keine der Figuren positiv besetzt. Die einen sind berechnend und hinterhältig, die anderen gemein und sadistisch; selbst wenn gerade Stefan Kurt mit seiner vielschichtigen Verkörperung vermittelt, dass die Bösartigkeit der Bösigers vor allem Ausdruck einer tiefen Unzufriedenheit mit ihrem Dasein ist. Gespielt ist das großartig, gerade auch vom jungen Max Hubacher. In der Schweiz war "Der Verdingbub", zudem als "Bester Kinofilm" ausgezeichnet, einer der erfolgreichsten Filme seit vielen Jahren.