Am Ende ihrer Amtszeit spricht Navi Pillay noch einmal Klartext. Angesichts der brutalen Konflikte rund um die Welt wirft die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte dem Weltsicherheitsrat Versagen vor. "Ich glaube fest daran, dass Hunderttausende Leben hätten gerettet werden können, wenn der Sicherheitsrat mehr Handlungsbereitschaft gezeigt hätte", sagte die Südafrikanerin vor wenigen Tagen, als sie ihre letzte Rede vor dem UN-Gremium in New York hielt.
Das Zaudern und Zögern des Rates im Syrien-Konflikt erfüllt die Hüterin der Menschenrechte mit Zorn: "Die Mörder, Zerstörer und Folterer in Syrien wurden durch die internationale Untätigkeit gestärkt und ermutigt", kritisiert Pillay, kurz bevor sie Ende August mit 72 Jahren in den Ruhestand geht. Ihre letzten Tage im Amt werden von vielen Krisen überschattet: in der Ukraine, in Nahost, in Syrien, im Irak und in Afrika. "Ich habe niemals zuvor dieses Ausmaß an Menschenrechtsverletzungen in Konflikten gesehen wie heute", bilanziert Pillay.
"Die Angriffe auf Zivilisten sind schrecklich"
Ihr Gesicht zeigt Züge echter Anspannung. Sie fordert von den Konfliktparteien eine Waffenruhe. Sie mahnt den bedingungslosen Schutz der Zivilisten an. Und sie warnt: Wer Kriegsverbrechen verübt, muss juristisch dafür zahlen. Pillays stärkste Waffe ist das Wort, als Hochkommissarin hat sie keine formale Macht.
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Auf ihrem wuchtigen Schreibtisch in ihrem Genfer Amtssitz stapeln sich die Akten über den Krieg. Die Fenster ihres weitläufigen Büros stehen offen, vom Boulevard "Quai Wilson" direkt am Ufer des Genfer See dringt Verkehrslärm herein. "Ich arbeite gerade an einer Rede über den Gaza-Konflikt", sagt Pillay. "Die Angriffe auf Zivilisten sind schrecklich", sagt sie und schüttelt den Kopf mit den pechschwarzen Haaren. Die Juristin führt das Hochkommissariat mit 1.200 Mitarbeitern seit 2008.
Sie weiß: Die UN-Institutionen wie das Hochkommissariat, der Sicherheitsrat und der Menschenrechtsrat hinken den Entwicklungen auf den Schlachtfeldern meistens hinterher. "Die UN treten oft erst nach dem Ausbruch von Konflikten und Gewalt auf den Plan, das scheint das Muster zu sein", räumt sie ein. Doch viele Diplomaten loben sie. "Navi Pillay hat sich als unbeugsame Mahnerin auch in schwierigen Situationen für die Opfer stark gemacht", sagt der Botschafter eines EU-Landes bei den UN in Genf, der namentlich nicht genannt werden will.
"Man muss Gewalt und Hass bestrafen, nicht aber die Liebe"
Doch Pillay musste sich auch harsche Kritik gefallen lassen - in der Regel von Regierungen, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind. So etwa vom Leiter der Delegation Sri Lankas im UN-Menschenrechtsrat, Mahinda Samarasinghe, 2013. Er warf der aus Südafrika stammenden Juristin vor, sie habe gegen seine Regierung Stimmung gemacht. Pillay hat tamilische Wurzeln, und die Tamilen sind eine Minderheit in Sri Lanka. Die dortige Regierung war brutal gegen tamilische Rebellen und vermeintliche Sympathisanten vorgegangen. Der deutsche UN-Botschafter Hanns Schumacher nahm Pillay öffentlich gegen die Vorwürfe in Schutz.
Pillay erregt aber auch das Missfallen mächtiger Staaten. So prangerte sie wiederholt das Gefangenenlager Guantánamo an. Dort halten die USA noch immer mutmaßliche Terroristen fest - in der Regel ohne Gerichtsverfahren. Dabei hatte doch Präsident Barack Obama schon vor Beginn seiner Amtszeit 2009 versprochen, das Camp zu schließen. Russland geht Pillay wegen der Diskriminierung Homosexueller an. "Man muss Gewalt und Hass bestrafen, nicht aber die Liebe", argumentiert sie.
"Ich glaube ich habe mir meinen Ruhestand verdient"
Wenn die Mutter zweier Töchter Unterdrückung geißelt, weiß sie wovon sie spricht. Im Apartheidsystem Südafrikas wurde die Nichtweiße diskriminiert. Pillay kam am 23. September 1941 als Tochter eines Busfahrers in Durban zur Welt. Sie war 1967 die erste Frau, die in der Provinz Natal eine Anwaltskanzlei eröffnete und kämpfte gegen die Rassendiskriminierung im Apartheidsystem. Nach dem Ende der Apartheid wurde sie 1995 Richterin am obersten Gerichtshof Südafrikas. Sie diente als Präsidentin am Internationalen Straftribunal für Ruanda und wirkte entscheidend an der Klassifizierung sexueller Gewalt als Kriegsverbrechen mit. 2003 ging sie als Richterin an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.
Nach dem Ende ihrer Karriere wird Pillay in ihre Heimatstadt Durban zurückkehren - einen feste Funktion strebt sie nicht mehr an. "Ich habe mehr als 50 Jahre gearbeitet, ich glaube ich habe mir meinen Ruhestand verdient", sagt sie.