Als die Tropenkrankheit Ebola Anfang des Jahres in Guinea auftauchte, schien die Gefahr im benachbarten Sierra Leone weit weg zu sein. Doch dann überschritt das Virus die Grenze. "Als der Ausbruch kam, waren wir nicht darauf vorbereitet", schreibt Ebun James-DeKam, Generalsekretärin des Kirchenrats von Sierra Leone. Masken, Handschuhe, Schutzbrillen waren knapp. Das medizinische Personal, die Krankenwagenfahrer und die Bestatter waren nicht geschult, Testlabors nicht eingerichtet. Inzwischen zählt man in Sierra Leone 374 Ebola-Tote (Stand vom 20. August).
Die Angst vor Ansteckung ist in dem westafrikanischen Land nun ein ständiger Begleiter. "Die Bevölkerung begann heftig zu protestieren, dass reguläre Patienten und Ebola-Patienten dieselben medizinischen Einrichtungen aufsuchen mussten", berichtet James-DeKam in einer langen E-Mail an "Brot für die Welt". Bei dem evangelischen Hilfswerk in Berlin kennt man die Endvierzigerin als Powerfrau.
Misstrauen zwischen Helfern und Hilfesuchenden
Sie beklagt, dass die Menschen nur wenig über die Krankheit wussten. Das war ein Nährboden für Gerüchte, sogar über politische Machenschaften, denn die Epidemie brach in Sierra Leone in der Hochburg der Opposition aus. Das tiefe Misstrauen zwischen denen, die helfen wollten, und denen dringend Hilfe brauchten, behinderte laut James-DeKam zusätzlich wirksame Schritte. Unter dem nationalen Gesundheitsnotstand gibt es Reiseverbote für ganze Gemeinden und Quarantäne-Auflagen, Militär und Polizei haben Sonderrechte.
James DeKam verfällt bei Ebola nicht in Verzweiflung: "Die Zahl der bestätigten Fälle und der Toten steigt ständig, dankenswerterweise nimmt auch die Zahl der Überlebenden zu." Doch sie zieht Parallelen zum Bürgerkrieg, der Sierra Leone von 1991 bis 2002 erschütterte. 120.000 Menschen wurden in dem blutigen Konflikt getötet: "Obwohl unser Krieg als der brutalste in jener Zeit galt, ist meine Furcht in der jetzigen Situation größer, als sie während des Krieges war", bekennt die Generalsekretärin. "Einfach, weil man den Feind nicht sehen kann, man kann sich nicht angemessen vor ihm schützen. Ein Händedruck von einem Freund oder Verwandten - und du berührst womöglich eine infizierte Person, und deine Überlebenschance ist ziemlich niedrig."
Patienten sind allein
Besonders schlimm für die Menschen in Sierra Leone ist, dass Ebola-Infizierte meistens ganz auf sich gestellt sind. Und auch wenn ein Patient gestorben ist, verhindert die Infektionsgefahr einen würdevollen Abschied, wie James-DeKam berichtet: "Gewöhnlich ist die ganze Gemeinde in die Trauerzeit und Beerdigung involviert." Früher wurden die Toten von Gemeindemitgliedern gewaschen und dann nach der Einbalsamierung in der Kirche oder zu Hause aufgebahrt. Familie, Freunde und Nachbarn kamen vorbei und nahmen Abschied. Dabei sangen und tanzten sie und natürlich gab es auch viel zu essen.
###mehr-artikel###In der Nacht vor der Beerdigung kamen alle noch einmal für einen kurzen Gottesdienst zusammen und Freunde spendeten der Familie Trost. Zwischen Ableben und Beerdigung liegen normalerweise zwei Wochen, damit die Familie in dieser Zeit Trost und Unterstützung erfahren und in Ruhe Abschied nehmen kann. Zu Beerdigungen in Sierra Leone kommen oft 300-400 Menschen, um den Toten das letzte Geleit zu geben.
In Zeiten von Ebola ist alles anders: Pfarrer dürfen nicht zu den Patienten auf die Isolierstation. "Wenn der Patient stirbt, präpariert das medizinische Personal den Toten", so die Generalsekretärin. "Ein Beerdigungs-Team bringt dann den Körper in einem geschlossenen Sack unverzüglich zu einem anonymen Massengrab in der Nähe der medizinischen Einrichtung." Keine Verwandten, Nachbarn und Freunde nehmen mehr Abschied aus Angst vor Ansteckung. "Der Gedanke, dass Ebola-Patienten allein sterben, ohne den Trost von Familienangehörigen und den Beistand von einem Geistlichen zu erfahren, ist für die Hinterbliebenen traumatisch", erklärt James-DeKam.
Chloriertes Wasser am Kircheneingang
Trotzdem bleibt die Kirche nicht tatenlos: Die 18 protestantischen Kirchen, die dem Kirchenrat in Sierra Leone angehören, beteiligen sich an der Ebola-Aufklärung, wenden sich an muslimische Gemeinden, Marktfrauen, Lehrer und Transportgewerkschaften. Sie verbreiten Informationsspots im Radio, verteilen Flugblätter mit Zeichnungen für Analphabeten und fahren mit Lautsprecherwagen durch die Straßen. Doch sind jetzt in der Regenzeit viele Wege gefährlich. Der Kirchenrat gehört zur Nationalen Ebola-Taskforce.
Hygiene ist eine der wichtigsten Schutzmaßnahmen. "Behälter mit chloriertem Wasser finden sich nun am Eingang vieler Kirchen und Moscheen", schreibt James DeKam. Und beim Abendmahl wird darauf geachtet, dass jeder ein eigenes, kleines Glas bekommt oder das Brot nur in den Wein eintaucht.
Ebola verändert den Alltag von Grund auf, nimmt vielen Menschen ihren Lebensunterhalt. Weil der Verkehr beschränkt ist, leidet der Handel. Und um Vorsorge für schlechte Zeiten zu treffen, reichte es meist nicht. "Die Menschen hier leben von der Hand in den Mund", schreibt James DeKam: Sie verkaufen etwas auf dem Markt und kaufen sich dann, was sie an dem Tag brauchen. Oder sie gehen fischen, schlagen Feuerholz, stellen Holzkohle her. Das wird nun immer schwieriger.