Für Gotteslob braucht man Muße
Foto: greenpapillon/photocase
Für Gotteslob braucht man Muße
Du sollst Urlaub machen!
Das steht so fast wörtlich in der Bibel. Mit gutem Grund. Zur Arbeit muss man die Menschen nicht antreiben, zur sinnvollen Erholung schon. Auch sonst bietet die Bibel einige tiefe Einsichten über den Urlaub und seine Gestaltung.
11.07.2020
Magazin "Andere Zeiten"

"Du sollst den Feiertag heiligen", übersetzte Martin Luther das nach seiner Zählung dritte Gebot. Wörtlich steht dort: "Gedenke des Ruhetags, um ihn zu heiligen!" Ein seltsame Vorschrift, die Gott auf dem Sinai seinem Propheten Mose auf die Steintafel schrieb! Sie steht in einer Reihe mit den sofort einleuchtenden Geboten, nicht zu töten, zu stehlen, zu lügen, über die wir uns mit allen Religionen der Welt und wahrscheinlich auch mit allen nicht religiösen Menschen einigen könnten. Das Gebot, einen Ruhetag einzuhalten und zu heiligen, ist jedoch eine jüdisch-christliche Besonderheit.

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Offenbar hat Gott gewusst, wie sehr den Menschen sein Tagwerk gefangen nehmen kann. So sehr, dass er über seine Geschäftigkeit alles andere vergisst und seine Arbeit zur Religion macht. Ein gesondertes Arbeitsgebot war deshalb gar nicht nötig – wohl aber die Mahnung, regelmäßig eine Pause einzulegen. Gott selbst macht es uns vor. Nach sechs Tagen Schöpfungswerk gönnt sich Gott einen Urlaubstag. "Er ruhte und erquickte sich", heißt es in einer für die Bibel und erst recht für Gottes Tun ungewöhnlichen Wortwahl (Exodus 31,17).

War das nun nur ein Sonntag oder schon ein Urlaub? Den Zeitraum von einem Tag darf man bei Gott nicht so genau nehmen, bekanntlich sind für ihn selbst 1000 Jahre wie ein Tag. Halten wir uns aber an die Siebtel-Regel, wonach alle sieben Tage ein Ruhetag und alle sieben Jahre ein Sabbatjahr einzulegen sind (Exodus 23,10f.), kommen wir neben den Sonntagen auf eine biblische Urlaubsempfehlung von siebeneinhalb Wochen pro Jahr. Liebe Gewerkschafter, da ist noch Handlungsbedarf!

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Unseren Urlaubsanspruch müssen wir uns aber aus biblischer Sicht keineswegs verdienen. Der Mensch wurde am sechsten Tag erschaffen – und schon gleich sein erster voller Tag auf der Erde war ein Ruhetag. In diesem Bild lag für Dietrich Bonhoeffer eine tiefe Einsicht über unsere Rechtfertigung vor Gott: "Die Feiertagsruhe ist das sichtbare Zeichen dafür, dass der Mensch aus der Gnade Gottes und nicht aus seinen Werken lebt." Schon bevor wir unser Tagwerk aufnehmen, haben wir Anteil an Gottes Heiligkeit. Uns wird Sinn geschenkt, bevor wir unser Leben selbst in die Hand nehmen.

Das regelmäßige Pausieren von unserer Arbeit an Sonntagen und im Urlaub hilft uns zum einen, körperlich und geistig zu regenerieren. Zum anderen gibt es uns Raum, mit Abstand über unser Leben nachzudenken und es immer wieder neu aus höherer Perspektive zu bewerten. Gott betrachtet nach der Arbeit sein Werk und sagt "gut". Nehmen wir uns auch genügend Zeit zum Loben, zum Freuen, zum Danken? Klagen kann man auch in der Hektik der Alltags, aber für ein so tiefes Gotteslob wie beispielsweise in Psalm 139 braucht man Muße: "Herr, ich danke dir, dass ich so wunderbar gemacht bin."

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Urlaub unterbricht den Alltag. Unterbrechung ist die kürzeste Definition von Religion, hat Johann Baptist Metz einmal gesagt. Jedes Unterbrechen kann auch ein Aufbrechen sein. Plötzlich stellen sich existenzielle Fragen, die in der Mühle des Alltags kein Gehör finden. So widersetzt sich der Urlaub – wo auch immer wir ihn verbringen – der Logik des Funktionierens. Ein Urlaubstag ist weniger planbar als ein Arbeitstag. Er ist eine Insel im Strom der Vergänglichkeit.

Die Zeit steht dadurch nicht still. Aber wir gewinnen für einen Moment Abstand davon. Wir zählen unser Leben in Jahren und unseren Urlaub in Wochen oder Tagen. Aber was unser Leben erfüllt, ereignet sich im Hier und Jetzt – im "Kairos", wie die Griechen sagen. Das Wort begegnet uns im wichtigsten Satz des Markusevangeliums, der Zusammenfassung von Jesu Botschaft (Markus 1,15): "Der Kairos ist da und das Reich Gottes ist herbeigekommen."

Dieser Text ist zuerst erschienen im Magazin "Andere Zeiten", Ausgabe 02/2014.