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100 Jahre Ausbruch des Ersten Weltkrieges, 75 Jahre Beginn des Zweiten Weltkriegs und 25 Jahre Mauerfall – in diesem Jahr gibt es viele Jahrestage. Merken Sie das im Deutschen Tagebucharchiv?
Friedrich Kupsch: Ja, vor allem zum Ersten Weltkrieg haben wir im Moment sehr viele Anfragen. Das sind zum einen Wissenschaftler, die ihre Arbeiten über einzelne Aspekte schreiben. Zum anderen auch Medienvertreter, die interessantes Material entdecken oder nachfragen.
Welche Dokumente gibt es im Archiv?
Kupsch: Die zeitliche Bandbreite unseres Bestandes geht vom 18. Jahrhundert bis in die aktuelle Zeit. Unser ältestes Tagebuch stammt aus dem Jahr 1760 von einem Feldgeistlichen aus dem Württembergischen. Er schrieb während des Siebenjährigen Krieges, als er mit seinem Regiment nach Leipzig und wieder zurück gezogen ist. Ein bekannter Pfarrer, Bohnenberger hieß er.
Durch die Dokumente ist vor allem das 20. Jahrhundert sehr gut belegt. Gerade in und über Kriegszeiten wurde viel geschrieben, nicht nur über den Ersten sondern natürlich auch über den Zweiten Weltkrieg. Da haben wir doch einiges zu bieten. Es wirkt, als ob viele, die sonst nicht Tagebuch schreiben zu Kriegszeiten dann doch geschrieben haben. Eine besondere Zeit oder Ereignis animiert dazu, festzuhalten, was sie erlebt und gedacht haben. Da gibt es sicherlich eine kleine Häufung. Dann haben wir aus dem 19. Jahrhundert eine ganze Reihe sehr interessanter Dokumente - gerade, wenn man sich mit dem Ersten Weltkrieg befasst, sollte man auch viel aus dem 19. Jahrhundert lesen.
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Im Archiv gibt es sehr ausführliche Aufzeichnungen von Siegfried Eggebrecht, der im Ersten Weltkrieg als Feldpfarrer in Frankreich und später an der Ostfront war. Wie lassen sich diese Dokumente einordnen?
Kupsch: Sie sind ein Glücksfall, allein schon wegen der Vollständigkeit - sechs Tagebücher über alle Kriegsjahre des Ersten Weltkrieges plus Briefwechsel mit seiner Frau, von dem beide Seiten vorhanden sind. In diesem Umfang sind die Dokumente etwas Besonderes.
Hinzu kommt die Funktion Eggebrechts als Feldgeistlicher: Vermutlich gibt es nicht so viele Dokumente dieser Art. Es ist sehr interessant, diese Rolle als Pfarrer im Ersten Weltkrieg zu sehen. Zu lesen, mit welcher Begeisterung auch Geistliche in den Krieg gezogen sind, Eggebrecht schrieb: "Da draußen, da ist die Welt, ist Leben, wird Geschichte gemacht!" Viele Intellektuelle sind mit dieser Haltung in den Krieg gegangen. Sie haben die Notwendigkeit des Krieges nicht bestritten, und sie fanden, es war ein Erlebnis, dem man sich nicht entziehen konnte und wollte.
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Lässt sich anhand der Aufzeichnungen eine Entwicklung Eggebrechts feststellen?
Kupsch: Das sollte eine gründliche wissenschaftliche Bearbeitung ergeben. Wir Mitarbeiter des Tagebucharchivs machen keine inhaltliche Wertung der Dokumente, die wir hier haben, das ist nicht unsere Aufgabe als Archiv.
Aber was man sagen kann, ist dass Eggebrecht eine privilegierte Stellung zukam. Er war der Gefahr nicht so unmittelbar ausgesetzt, wie der kämpfende Soldat. Nach kurzer Zeit muss er eine Beerdigung nach der anderen halten und denkt durchaus über den Sinn des Krieges nach. Das war keine leichte Rolle, die er übernommen hatte. Als Pfarrer musste er den Menschen Trost spenden, aber gleichzeitig den Opfertod positiv begründen.
Geben die Tagebücher von Eggebrecht Aufschluss darüber, ob ihm das gelingt?
Kupsch: Nicht direkt, nein. Aber in seinem letzten Tagebuch ist ein Schreiben des Generalkommandos eingeklebt vom 30. August 1918. Daran kann man gut sehen, welche Rolle den Geistlichen zugeordnet wurde. Der General weist darauf hin, es wäre ihm zur Kenntnis gekommen, dass Geistliche in ihren Ansprachen und Predigten durch zu häufige und starke Betonung der zu langen Dauer des Krieges sowie der Not und Schwere der Zeit die Mannschaften - insbesondere die Älteren - innerlich in eine zu sorgenvolle Stimmung versetzen: "Ich wünsche, dass die Herren Geistlichen ihren Predigten diesen Umständen künftig mehr Beachtung schenken und alles vermeiden, was auf die Mannschaft einen nieder drückenden Einfluss ausüben kann. Dagegen all das betonen, was aufmunternd und ermutigend wirken muss." Das war wohl die den Geistlichen zugedachte Funktion.
Hinzu kommt aber auch, dass nicht alle Aufzeichnungen von Eggebrecht transkribiert – also in Maschinenschrift übertragen - sind, so dass ich allein deshalb keine Entwicklung bei ihm aufzeigen kann, da die letzten Dokumente von ihm noch nicht gelesen wurden.
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Kommt das häufig vor bei Aufzeichnungen in Ihrem Bestand?
Kupsch: Wir sind sehr darum bemüht, möglichst zügig zu transkribieren. Aber es ist eine wahnsinnig mühselige Arbeit, die auch nur gelingt, weil wir Gott sei Dank viele ehrenamtlich Engagierte haben, die das können und gerne machen. Insofern haben wir doch einen großen Teil, der transkribiert ist. Transkribiert wird, was in Sütterlin oder Kurrent-Schrift vorhanden ist, also alte Dokumente. Aber hinzukommt, dass es auch Aufzeichnungen jüngeren Datums gibt, die per Hand geschrieben wurden und schlecht zu lesen sind. Da ist die Transkription manchmal viel schwieriger als bei den regelkonform geschriebenen älteren Dokumenten.
Warum arbeiten Sie im Tagebucharchiv, was reizt Sie an der Arbeit dort?
Kupsch: Seit 2006 arbeite ich im Tagebucharchiv, ich finde das ist eine interessante Tätigkeit. Zum einen wegen der Art der Dokumente, die es zu bearbeiten gibt. Zum anderen auch die organisatorische Arbeit - ein Archiv mit auf den Weg zu bringen ist hoch spannend und macht mir Spaß. Ich bin seit über neun Jahren im Ruhestand, ich habe als Geologe in Freiburg beim Landesamt für Geologie gearbeitet, am Ende hatte ich dort auch eine Archivtätigkeit inne. Die Gründerin des Tagebucharchivs, Frauke von Troschke, kenne ich, komme hier aus Emmendingen und so kam der Kontakt zustande.