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Ökumenisch, katholisch und zugleich gut evangelisch
Können Protestanten und Katholiken zusammen das große Reformationsjubiläum 2017 feiern? Der evangelische Grundlagentext "Rechtfertigung und Freiheit" heizt die Diskussion über die Ökumene neu an. Professor Ulrich Körtner sieht keine theologischen Gründe für die Aufregung.

Das 500. Jubiläum der Reformation rückt näher. Die protestantischen Kirchen bereiten sich weltweit auf das große Ereignis vor und laden auch die anderen Kirchen dazu ein, das Jubiläum ökumenisch zu begehen. Tatsächlich handelt es sich um das erste Reformationsjubiläum nach dem zurückliegenden Jahrhundert der Ökumene. Ob es jedoch tatsächlich zu gemeinsamen Gedenkfeiern der getrennten Kirchen kommt, ist keineswegs gesagt, trotz verschiedener Initiativen auf internationaler Ebene.

Autor:in
Ulrich Körtner
Ulrich Körtner

Ulrich Körtner, geb. 1957, lehrt als Professor für Systematische Theologie an der Universität Wien. Er ist Direktor des Instituts für öffentliche Theologie und Ethik der Diakonie sowie des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien.

Nach wie vor besteht nämlich keine Einigkeit, ob es 2017 überhaupt etwas gemeinsam zu feiern gibt, oder ob nur ein gemeinsames Gedenken möglich ist. Soll die reformatorische Neuentdeckung des Evangeliums von der Rechtfertigung des Menschen allein durch den Glauben und die darin enthaltende Botschaft der Freiheit im Vordergrund stehen – oder die Geschichte der Spaltung der abendländischen Christenheit? Soll die Freude dominieren oder die Klage und das wechselseitige Eingeständnis von Schuld und Versagen?

In jüngster Zeit haben die Spannungen zwischen den Kirchen in dieser Frage deutlich zugenommen. Stein des Anstoßes ist ein theologischer Grundlagentext, den die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) im Mai veröffentlicht hat. Kaum war das Dokument mit dem Titel "Rechtfertigung und Freiheit" der Öffentlichkeit vorgestellt worden, hagelte es auch schon Kritik, und zwar aus ganz unterschiedlichen Richtungen.

Differenzen sind kein Hindernis für gemeinsames Feiern

Der evangelische Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann von der Universität Göttingen und sein Historikerkollege Heinz Schilling aus Berlin werfen den Autoren vor, nicht auf der Höhe der Reformationsforschung zu stehen, Geschichtsklitterei zu betreiben und den historischen Abstand zwischen dem 16. Jahrhundert und unserer Gegenwart nicht genügend ernstzunehmen. Die Kritiker scheinen offenbar zu übersehen, dass es sich bei dem EKD-Text nicht um ein Handbuch zur Reformationsgeschichte, sondern um den – durchaus respektablen – Versuch handelt, Grundaussagen reformatorischer Theologie Menschen von heute so zu vermitteln, dass sie mit Begriffen wie Rechtfertigung, Sünde, Glaube und Gnade etwas Sinnvolles anfangen können. Vielleicht spielt auch gekränkte Eitelkeit eine Rolle, weil Kaufmann und Schilling nicht der Ad-hoc-Kommission angehört haben, die von der EKD für diese Aufgabe eingesetzt worden ist.

Scharfe Kritik kommt aber auch von römisch-katholischer Seite, allen voran von Kardinal Kasper, dem ehemaligen Präsidenten des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen. Ihn stört, dass das Reformationspapier der EKD die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre von 1999 mit keiner Silbe erwähnt. Das Dokument sei daher ein ökumenischer Rückschritt. Der Tübinger Kirchenhistoriker Volker Leppin, Mitverfasser des EKD-Textes, hat diese Kritik als unbegründet zurückgewiesen.

Tatsächlich sagt das Dokument ganz im Sinne der Gemeinsamen Erklärung, die evangelischen Kirchen und die römisch-katholische hätten inzwischen zu einer gemeinsamen Formulierung der Rechtfertigungslehre gefunden. Trotzdem bestehen weiterhin kirchentrennende Differenzen über das Verständnis des Amtes und der Sakramente. Dieser Umstand sollte aber doch kein unüberwindliches Hindernis für gemeinsame Reformationsfeierlichkeiten sein.

Theologisch profiliert und zugleich ökumenisch gesinnt

Doch die katholische Kritik ebbt nicht ab. Wolfgang Thönissen, Leiter des Johann-Adam-Möhler-Instituts in Paderborn, wittert in dem Reformationstext der EKD "antikatholische Grundsätze" und versucht das Papier gegen das gemeinsame Dokument zum Reformationsgedenken ausspielen, das die lutherisch/römisch-katholische Kommission für die Einheit im vergangenen Jahr veröffentlicht hat. Auf Basis des EKD-Papiers seien gemeinsame Feierlichkeiten 2017 undenkbar. Dieses interpretiere, so lautet Thönissens Vorwurf in einem Beitrag für den KNA-Fachdienst "Ökumenische Information", die reformatorischen Exklusivpartikel – "allein der Glaube", "allein aus Gnade", "Christus allein", "allein die Schrift" – in einem antikatholischen Sinn aus. Thönissen wörtlich: "Theologischer Grundgedanke ist hierbei gerade nicht, zentrale Einsichten der Reformation historisch angemessen zu rekonstruieren und dann für heute zu rezipieren, sondern sie für eine protestantische Orientierung unhistorisch zu instrumentalisieren. Und protestantisch heißt, sie so zuzuspitzen, dass eine ökumenische Verständigung von vornherein ausgeschlossen ist." Ökumenisch interpretiert müsste das reformatorische Programm dagegen lauten: "Das solus Christus ist nicht ohne die Kirche, die Gnade nicht ohne die vom Heiligen Geist inspirierten Werke, die Heilige Schrift nicht ohne die Überlieferungsgemeinschaft der Kirche, sprich Tradition, der Glaube nicht ohne Liebe und Hoffnung."

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Genau das sagt doch aber das Reformationspapier der EKD. Christus allein: "Der Glaube an diese Person muss vermittelt werden. Man kann an Christus nur glauben, wenn man von ihm gehört hat. Man hört von ihm aber konkret nur [!] in der christlichen Kirche". – Allein die Schrift: Einem Biblizismus wird eine klare Absage erteilt, und die Bedeutung der Tradition wird auch gar nicht Abrede gestellt. Allerdings erklären die Verfasser zutreffend, das reformatorische sola scriptura richte sich gegen einen mit der Schrift in Konkurrenz stehenden Autoritätsanspruch der Kirche. – Allein der Glaube: "Glaube ist aber zugleich immer auch tätiger Glaube". – Allein aus Gnade: Auch nach evangelischem Verständnis ist also die Gnade nicht ohne die vom Heiligen Geist inspirierten Werke, jedoch stellt das EKD-Papier richtig fest, dass Gottes Gnade nach reformatorischem Verständnis zwischen Person und Werk unterscheidet und uns lehrt, "ebenso zu unterscheiden und auf diese Weise gnädig zu sein". Dass der EKD-Text eine ökumenische Verständigung über das Verständnis von Rechtfertigung und Gnade von vornherein ausschließt, wie Thönissen meint, vermag ich nicht zu erkennen.

Man muss vielmehr der EKD für ihren Versuch, die reformatorische Botschaft von der Rechtfertigung und der von Gott geschenkten Freiheit theologisch profiliert und zugleich ökumenisch gesinnt in die Gegenwart zu übertragen, dankbar sein. Dagegen werden die entscheidenden Grundaussagen reformatorischer Theologie in dem von Thönissen gelobten lutherisch/römisch-katholischen Dokument von 2013 verwässert. Das ist nun nach meinem Dafürhalten ein eher verunglückter Text. In ihm ist zwar ein wenig von der gemeinsamen Freude am Evangelium die Rede, doch überwiegt die Klage über die Spaltung der abendländischen Christenheit. Statt dass die Trauergeister vertrieben werden, mündet der Text in katholische und lutherische Bekenntnisse von Sünden gegen die sichtbare Einheit der Kirche. Dabei hätte man schon gern etwas genauer erfahren, was die römische Kirche ihrer Meinung nach alles falsch gemacht hat.

Sucht man nur nach Vorwänden?

Das EKD-Dokument betrachtet die Reformation als eine "offene Lerngeschichte" und Gestaltungsaufgabe, der sich jede Generation neu zu stellen hat. Historisch wird die Reformation in eine Reihe spätmittelalterlicher Reformbewegungen eingeordnet und also keineswegs vorschnell für gegenwärtige Interessen instrumentalisiert. Die Reformation sei "weder im Sinne einer klassischen protestantischen Interpretation als Durchbruch der Wahrheit des Evangeliums nach Jahrhunderten eines 'finsteren Mittelalters' angemessen verstanden noch im Sinne der traditionellen römisch-katholischen Gegenposition als bloßer Höhepunkt mittelalterlicher Reformanstrengungen". Daraus aber eine antikatholische Grundhaltung ableiten zu wollen, geht am Text und seinem Inhalt vorbei.

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Gedenken oder feiern, ist das tatsächlich die Frage? Wird hier nicht eine falsche Alternative aufgestellt? Es hat den Anschein, als ob manche Vertreter der katholischen Theologie und der Amtskirche nach Vorwänden suchen, um sich der Herausforderung eines ökumenischen Reformationsjubiläums nicht länger stellen zu müssen. Sie besteht in der Frage, was die katholische Kirche möglicherweise der Reformation zu verdanken hat und was daher auch für sie 2017 ein Grund zum Feiern sein könnte. Gleichzeit sollten sich  die evangelischen Kirchen fragen, was sie in Geschichte und Gegenwart der katholisch gebliebenen römischen Kirche für das eigene Evangelischsein verdanken. Was bedeutet es für das eigene Verständnis des Evangeliums, des Christseins und der Kirche, dass sich eben nicht die ganze abendländische Christenheit der Reformation angeschlossen hat? Und welche Impulse gehen vom Erbe der Reformation für den gemeinsamen ökumenischen Weg in die Zukunft aus? Stellt man sich gemeinsam diesen Fragen, dann lässt sich vielleicht ein ökumenisches Verständnis von Katholizität entwickeln, das zugleich gut evangelisch ist.

Das bevorstehende Jubiläum wird für die Ökumene zusehends zur Bewährungsprobe – übrigens auch für Papst Franziskus, auf den doch die Katholiken auch in ökumenischen Fragen so große Hoffnungen setzen. Als Protestant darf man gespannt sein, ob er diese Bewährungsprobe besteht.