Foto: photocase/thomasfuer
Bordseelsorger: Entertainer – aber mit Tiefgang
Wer als Passagier auf einem Kreuzfahrtdampfer unterwegs ist, der macht Urlaub. Und trotzdem hat manch einer einen Seelsorger wie Kurt Triebel nötig. Denn wer an Bord eines Schiffes ist, kann nicht fortlaufen. Und die Weite des Meeres tut ihr Übriges.

Es hört sich an, als wäre es gar kein Job, sondern eher permanenter Urlaub. "Die Sonne, das Wasser, die Atmosphäre, die atemberaubenden Landschaften – ja, das ruft schon Urlaubsgefühle hervor", sagt Kurt Triebel. Um Urlaub geht es trotzdem nicht, jedenfalls nicht für ihn – "denn Menschen mit Problemen gibt es auch auf Kreuzfahrtschiffen", sagt er. Probleme auf einem Kreuzfahrtdampfer? Zwischen all dem Luxus? Wo es um Entspannung und Abschalten geht? Braucht man dort tatsächlich einen Seelsorger? "Gerade hier", sagt er. "Denn auf einem Schiff kann man nicht weglaufen – nicht vor sich, nicht vor seinen Sorgen und Ängsten." Da kommt Kurt Triebel in Spiel.

Triebel ist Leiter der evangelischen Bordseelsorge und Pastor. Eigentlich ist der 67-Jährige im Ruhestand, aber die See, das Reisen und vor allem die Menschen haben ihn gepackt. Und so ist er regelmäßig mit seiner Frau auf Kreuzfahrten über die Weltmeere dabei – als Seelsorger. Sein Job an Bord: Ökumenische Gottesdienst halten, Gespräche führen, Vorträge halten und Menschen, die Hilfe brauchen, ein Gesprächspartner sein.

Bis Ende 2013 organisierte die Evangelische Auslandsberatung die Bordseelsorge. Inzwischen hat das Kirchenamt der EKD diese Aufgabe übernommen. Etwa 100 Bewerber gibt es pro Jahr, die auf rund 75 Kreuzfahrten verteilt werden. Die Reisedauer ist unterschiedlich – je nach Strecke mehrere Tage oder auch Wochen. Viereinhalb Wochen war Triebel das längste Mal auf einem Kreuzfahrtschiff unterwegs – von Lima nach Oakland – eine lange Zeit mit vielen Menschen auf engem Raum. "Da bildet sich schnell so etwas wie eine Gemeinde", sagt er.

So etwas wie das Unglück der "Concordia" hat Triebel noch nicht erlebt

Pastoren der Bordseelsorge betreuen zwischen 500 und 1.200 Passagiere auf Kreuzfahrtdampfern wie die MS Europa oder TS Albatros. "Aida"-Kreuzfahrtschiffe und auch Schiffe der Betreibergesellschaft der "Concordia" sind nicht dabei. So etwas wie das Unglück der "Concordia" hat Triebel noch nicht erlebt – zum Glück. Aber schlimme Erlebnisse gehörten auch auf seinen Urlaubsfahrten dazu.

Foto: Archiv Nordelbische Stimmen / Pressestelle der NEK

Zum Bespiel der plötzliche Tod. Auf einer Fahrt kippte der erste Offizier von einer Minute auf die andere tot um – ein Schock für Besatzung und Gäste an Bord. Und auch wenn er als Bordseelsorger eigentlich für die Passagiere zuständig ist, betreute er natürlich auch die Mitarbeiter auf dem Schiff.

Das Wasser, die Ruhe, die ewig schaukelnde Bewegung und gleichzeitig das Gefühl des Unbekannten und der Freiheit – Kurt Triebel kennt diese Gefühle, die hochkommen, wenn man auf See ist. Was die Weite des Meeres mit einem machen kann. Und dass es einen dazu bringt, das zu tun, was man schon immer mal ausprobieren wollte – zum Beispiel einen Gottesdienst besuchen. Sonst gebe es dafür genug Ausreden wie Ausschlafen, Einladungen oder ein Ausflug. Auf dem Schiff aber zählten diese Einwände alle nicht, "denn hier haben die Menschen Zeit und sind gelassener". Ein Grund, weshalb Kurt Triebel glaubt, dass an Bord die Andachten gut besucht sind – zwischen 80 und 120 Menschen kommen immer, sagt er. Ein weiterer Grund: "Die Schwelle, zu einem Gottesdienst zu gehen, ist an Bord einfach niedriger."

Ein Pastor an Bord eines Kreuzfahrtschiffes zählt zu den Künstlern

Wer als Pastor an Bord eines Kreuzfahrtschiffes geht, der ist und bleibt zwar Geistlicher, aber auf dem Dampfer zählt er zu den Künstlern. Der Grund: Auch ein Pfarrer ist Teil der Unterhaltung, der Show – der dafür sorgt, dass es den Passagieren gut geht, der sich um die Menschen und ihr Wohlbefinden kümmert – wenn auch in einem anderen Sinne als beispielsweise die Tänzer. Entertainment also? "Ja", sagt Triebel. "Entertainment – aber mit Tiefgang, mit Blick für das Wesentliche".

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Das Wesentliche sind die Sorgen der Menschen, die sie auch im Urlaub nicht loslassen, "die Sorgen, die die Menschen überall haben", sagt Triebel. Beziehungsprobleme, Krankheit, der Verlust eines geliebten Menschen. Und trotzdem gibt es Besonderheiten. Da gibt es die Rentnerin, die sich einen Lebenstraum erfüllt und wenigstens einmal im Leben diese Fahrt mitmacht, für die sie lange gespart hat. Den Mann, der todkrank ist, die Frau, die zum ersten Mal alleine verreist, weil ihr Mann gestorben ist. "Auf so einem Schiff gibt es viel Erholung. Aber es gibt eben auch die Traurigkeit, die in den Augen der Menschen zu sehen ist", sagt Triebel. Und für die fühlt er sich zuständig.

Es gibt auch Kritik an seinem Job. Seelsorger für Menschen, die zwischen Schlemmen und Sonnenbaden hin- und her pendeln, ist das nötig? Warum setzt du dich nicht mit den schlechten Arbeitsbedingungen der Crew-Mitglieder auseinander, statt dich um die Passagiere zu kümmern? Auch den Vorwurf hat er schon häufiger zuhören bekommen. "Ja, man kann das kritisch sehen", sagt Triebel. "Aber jeder hat das Recht auf Beistand, egal ob auf einem Schiff oder anderswo."

Dieses Jahr stehen für Triebel drei Reisen an, zwei davon sind nur wenige Tage kurz. Die dritte Reise wird von Norwegen nach Russland gehen und 16 Tage dauern. Ja, er freut sich. Auf Land und Leute, vor allem aber auf eine neue Gruppe Menschen, die zu einer Gemeinde werden wird. Er weiß, dass er es gut hat – an diesem Ort, der ein wenig zwischen den Welten liegt und deshalb alles zu bieten scheint. Und trotzdem: "Wenn ich die Gangway hinauf gehe, bin ich im Dienst."

 

Dieser Artikel erschien erstmalig auf evangelisch.de am 18.01.2012; er wurde aktualisiert.