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Mit Klicks die Welt verändern
Online-Petitionen finden immer mehr Zuspruch
Unterschriften werden heute nicht mehr mühsam auf der Straße gesammelt. Die neue Macht der Bürger wächst im Internet. Kostenlos und mit winzigem Aufwand kann heute jeder eine Online-Petition starten. Doch Kritiker warnen vor zu hohen Erwartungen.
16.08.2014
epd
Michaela Hütig

Mit 15 Jahren wurde Laxmi Opfer eines Säureanschlags, ihr Gesicht ist seitdem entstellt. Acht Jahre lang kämpfte die junge Inderin für strengere Kontrollen beim Verkauf von Schwefelsäure. Vergeblich. Erst eine Online-Petition im vergangenen Jahr brachte Erfolg: Nachdem mehr als 27.000 Menschen sie unterschrieben hatten, verfügte das Oberste Gericht in Neu-Delhi, dass die ätzende Flüssigkeit nicht mehr frei verkäuflich sein darf.

###mehr-artikel###Wie Laxmi versuchen immer mehr Aktivisten in aller Welt, ihre Ziele über Petitionen im Internet zu erreichen. Kostenlose Plattformen dafür bieten Portale wie Change.org, Campact oder Avaaz, die rasant wachsen. Besonders großes Aufsehen erregte in Deutschland im vergangenen Jahr eine Protestwelle zur Geburtshilfe. Nach mehr als 130.000 Unterschriften unter einem Appell im Internet landete der Schutz freier Hebammen als Ziel im Koalitionsvertrag.

Auch das Petitions-Portal des Bundestags boomt. Hier sind die Eingaben quasi offiziell: Sie werden von den Abgeordneten in jedem Fall angenommen, geprüft und beantwortet, unabhängig von der Zahl der Unterstützer, wie die Vorsitzende des Petitionsausschusses, Kersten Steinke (Linkspartei) versichert.

"Es gab nie einen besseren Zeitpunkt für Engagement"

Menschen für ein Anliegen zu mobilisieren, fällt leichter als je zuvor. Jede Woche starten allein bei Change.org in Deutschland fast 400 neue Unterschriftenaktionen. "Es gab historisch nie einen besseren Zeitpunkt für Engagement und Beteiligung", sagt die Deutschland-Chefin von Change.org, Paula Hannemann. "Durch das Internet sind wir alle enger vernetzt, Informationen sind transparenter, und Aktivismus ist günstiger geworden. Schieflagen im System werden schneller bekannt."

Und über ein Kampagnen-Portal kann sich jeder mit wenigen Klicks Gehör für sein Anliegen verschaffen. "Ob Frauenrechte in Afrika, wirtschaftliche Gerechtigkeit oder Tierschutz - hier findet jeder etwas, für das er sich engagieren möchte", sagt Hannemann. In aktuellen Petitionen geht es etwa um die Freilassung inhaftierter Journalisten in Ägypten, ein Mahnmal für die ums Leben gekommenen WM-Arbeiter in Brasilien, ein Ende der Diskriminierung Schwuler bei Blutspenden oder um freien Strandzugang in Niedersachsen.

Keine Aufrufe zu Hass und Gewalt

Die Betreiber von Change.org verhalten sich laut Hannemann bei den Inhalten neutral, anders als Anbieter wie Avaaz. Eingegriffen wird allerdings bei Diskriminierung und Aufrufen zu Hass und Gewalt. "Es sind aber nur 0,1 Prozent aller Petitionen, die wir sofort löschen müssen", erklärt die 31-Jährige. Ansonsten stellt das Portal als Social Business lediglich die Technik zur Verfügung - wie etwa YouTube für Videos. Für den Nutzer ist das kostenlos, das Portal finanziert sich über gesponserte Petitionen und Werbung von Organisationen wie Amnesty International. 

Auch technisch wird es den Nutzern leicht gemacht, eine Aktion zu starten. Sie müssen nur drei Fragen beantworten: An wen soll sich die Petition richten? Was soll diese Organisation oder Person tun? Was wollen Sie verändern? Wer eine Kampagne unterstützen möchte, muss nur seinen Namen und seine E-Mail-Adresse eingeben.

Einfach und kostenlos - gerade das stimmt Kritiker skeptisch. Sie sprechen von einem "Sofa-Aktivismus", der im wahren Leben wenig ändern könne. "Das wirft die Frage auf, was eine Haltung wert ist, die so gut wie nichts kostet", sagt der Frankfurter Social-Media-Experte und Blogger Jan Eggers. "Sicher hat Online-Partizipation mit dem Phänomen des 'Klicktivismus' zu kämpfen - weiter als bis zum Unterstützungs-Klick für die Kampagne reicht bei vielen das Engagement dann doch nicht."

Online-Aktivismus kann viel bewegen

Zudem sei es offenbar online leichter, Widerstand gegen etwas zu organisieren als Unterstützung für etwas, erklärt Eggers. Emotional seien die Menschen mit einem "Das können die mit uns nicht machen" am leichtesten zu überzeugen. Trotz ihres revolutionären Selbstverständnisses neigten Online-Petitionen deshalb dazu, strukturkonservativ zu sein. Dennoch könne der Online-Aktivismus viel bewegen, auch ohne Flugblätter und Demonstrationen - vor allem bei abseitigen und regionalen Themen.

Hannemann hält die Trennung zwischen traditionellem und Online-Aktivismus ohnehin für künstlich. "Hinter jeder Online-Petition stehen Menschen, die meistens sehr aktiv sind, auch auf der Straße", sagt die Kampagnen-Direktorin von Change.org. "Nur Online reicht natürlich nicht, oft ist es der erste Schritt." Sie ist überzeugt von einem Wandel der demokratischen Kultur: Die Beteiligung der Bürger an jeder Art von Entscheidungen werde bald zum Alltag gehören wie der morgendliche Gang zum Bäcker.