###mehr-galerien### Ein Fläschchen mit Seifenblasen, eine Handpuppe und eine Marionette, ein blauer Kinderstuhl, ein Klapptisch samt Tischdecke – im Innenhof der Flüchtlingsunterkunft packt der irische Puppenspieler Shane Connolly seine Utensilien aus. Bis zu 120 Flüchtlinge leben hier in dem grauen, unscheinbaren Kastenbau im Gewerbegebiet von Hainburg. Sie kommen aus Syrien, aus dem Iran, aus Afghanistan, Somalia, Mazedonien, Pakistan, Eritrea. In einem Fenster im Erdgeschoss hängt ein Poster der Band "Strom und Wasser", die an diesem Abend im Nachbarort Seligenstadt im Evangelischen Gemeindezentrum auftritt.
Shane Connolly ist nicht alleine da, die Gruppe um Musiker Heinz Ratz ist mit ihm unterwegs. Die neun Fremden ziehen die Aufmerksamkeit auf sich, drei Kinder trauen sich nach draußen, beobachten, was hier im Innenhof der Flüchtlingsunterkunft passiert. Und dann legt Shane los, mit roter Tröte und Clownsnase. Nach und nach kommen immer mehr Menschen nach draußen, die Kinder bringen ihre Eltern mit, nach kurzer Zeit sind etwa dreißig Bewohner im Hof. "Genau das wollen wir erreichen, dass wir über das Kinderprogramm vor allem in Kontakt mit den Müttern kommen", so Heinz Ratz.
Kein Hausmeister, kein Raum
"Eigentlich hatten wir die Zusage, dass Shane in einem Raum in der Unterkunft auftreten darf", erzählt Heinz Ratz. Doch dann taucht der Hausmeister nicht auf, niemand findet sich, der einen Schlüssel für den Raum hat. Schwierigkeiten dieser Art kennt Heinz Ratz bereits: Es ist das dritte Projekt des Musikers, mit dem er auf die Situation von Flüchtlingen in Deutschland aufmerksam machen möchte. Auf die Zustände in den Flüchtlingsunterkünfte, auf die Gesetzgebung, auf den Umgang mit Asylbewerbern.
###mehr-artikel###Wie Heinz Ratz dazu kam, sich für Flüchtlinge einzusetzen? Durch eine Begegnung mit einem Obdachlosen in Frankfurt: "Ich wollte ihm ein bisschen Geld geben, und er sagte, ich sollte das doch eher für Flüchtlinge spenden, sie hätten es nötiger." Das machte Heinz Ratz stutzig, er beschloss, sich ein eigenes Bild zu machen.
Also fuhr er 2011 bei seiner Tour "1000 Brücken" mit dem Fahrrad quer durch Deutschland, besuchte 80 Flüchtlingsheime und spielte mit seiner Band "Strom & Wasser" Konzerte zugunsten von Flüchtlingen. "Was ich da erlebt und gesehen habe, war erschütternd", sagt Ratz. Heime, in denen Heizung und Fenster kaputt waren. Die außerhalb von Städten lagen, so dass die Bewohner kaum Möglichkeiten hatten, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Unterkünfte, die voller Kakerlaken waren, oder in denen sich dreißig Personen eine Toilette teilen mussten.
Nun geht es um die Frauen
In den Heimen traf er viele Musiker. Obwohl sie in der Regel Arbeits- sowie Reiseverbot haben, beschloss Heinz Ratz ein Jahr später, mit ihnen eine CD aufzunehmen und als Band "The Refugees" auf Tour zu gehen – rund 150 Konzerte haben sie gemeinsam gespielt.
###mehr-links###Nun steht die Situation von geflohenen Frauen im Fokus. "Die Frauen lernen, sich unsichtbar zu machen", erzählt Heinz Ratz. Teilweise habe das kulturelle Hintergründe, teilweise eignen sie sich erst auf der Flucht diese Fähigkeit an, um nicht aufzufallen. Manche seien durch die Fluchterfahrung stark traumatisiert und fassten nur langsam Vertrauen zu Fremden. Daher kam Heinz Ratz auf die Idee, mit einem Theaterprogramm Flüchtlingsheime zu besuchen. Um Kinder zu unterhalten und um über sie den Kontakt zu Frauen herzustellen.
"Denn genau das ist häufig schwierig - Vertrauen zu den Frauen aufzubauen", erzählt Heinz Ratz. Dabei hilft das Kinderprogramm: Fassen die Kinder Vertrauen, ziehen sie ihre Mütter mit.
Fünf Tage nach dem Stopp in Hainburg, Weseler Werft in Frankfurt: Am Mainufer, direkt unter dem wuchtigen Bau der neuen Europäischen Zentralbank haben zwei Flöße angelegt. Zehn Meter sind die Flöße lang, mit Zeltdächern. Heinz Ratz hat sie gemeinsam mit Kielern Bootsbauern konstruiert. Neben der Reise durch die Unterkünfte ist die Floßfahrt der zweite Teil der Tour von der Gruppe um Heinz Ratz. Eine Art schwimmende Demonstration. Unterstützt werden sie von der Potsdamer Organisation "Women in Exile", die sich für geflohene Frauen einsetzt. In den Städten, in denen sie anlegen, suchen sie den Kontakt zu Flüchtlingshilfegruppen.
Floßtour, Kinderprogramm und Konzerte
Maike Wahl und Christof Neubauer fahren die beiden Flöße, braungebrannt sind sie, seit Mitte Juli sind sie unterwegs auf dem Main. Parallel zu der Gruppe, die in den Flüchtlingsheimen auftritt, wollen sie Ende August in Bremen ankommen - über den Neckar, den Rhein und den Mittellandkanal. Sie nehmen Mitarbeiter von "Women in Exile" mit, aber vor allem Flüchtlingsfrauen, die sie in den Heimen durch das Kinderprogramm kennen lernen und die gerne ein Stückchen mitfahren möchten.
Für Flöße als offenes, verletzliches Fortbewegungsmittel haben sie sich entschieden, weil es, so Heinz Ratz, gut die Situation der Flüchtlinge wiederspiegele. Etwa 28.000 Euro hat er dafür gezahlt. Die Tour "Für und mit Flüchtlingsfrauen - auf Flößen durch Deutschland!" finanziert die Gruppe durch Spenden, die sie vor allem zu den Konzerten einnehmen. Das ist der dritte Part: "Strom & Wasser" tritt in den Orten, in denen die Flöße anlegen, auf.
###mehr-personen###Bevor es losgehen konnte, gab es unzählige Auflagen der Wasserschutzpolizei: Jeweils ein Rettungsboot pro Floß muss mitfahren. Ausreichend Rettungsringe müssen sie anbringen, genügend Schwimmwesten dabei haben, die Flöße mit Funk ausstatten. Und dafür jemanden mitnehmen, der eine Binnenfunklizenz besitzt. "Vor allem die Rettungsboote auf die Schnelle zu organisieren war schwierig – die Auflage kam wirklich erst kurz vor der Abfahrt", erzählt Christof Neubauer.
Die längste Strecke, die sie mit den Flößen zurückgelegt haben, war 73 Kilometer lang. "Zwölf Stunden waren wir unterwegs von Bamberg nach Wipfeld", erzählt Neubauer. Er war schon bei der "1000 Brücken"-Tour vor drei Jahren mit unterwegs. "Mir gefällt, was Heinz Ratz macht und wofür er sich einsetzt. Da ich einen Sportbootsführerschein besitze und in diesem Sommer noch nichts vorhatte, habe ich beschlossen, mit zufahren."
An der Weseler Werft im Osten Frankfurts findet derzeit das Theaterfestival "Sommerwerft" statt. Viele Besucher des Festivals zeigen sich interessiert an den Flößen, sprechen Maike Wahl und Christof Neubauer darauf an. Die beiden bieten Interessierten an, ein Stückchen auf dem Main mitzufahren, "um die Verletzlichkeit der Flöße direkt zu spüren", sagt Christof Neubauer. Und, um diesen Kontrast zu erleben: Denn vorbei geht es an Partybooten, Ausflugsdampfern und Flusskreuzfahrtschiffen, im Hintergrund die Silhouette der Frankfurter Skyline.