"Hat irgendwer ein schwarzes Top?", ruft Camille (14) aufgeregt in die Runde. Schließlich beginnt gleich der Auftritt von Deutschlands größtem Schülerzirkus Configurani beim Sommerfest einer Kindertagesstätte in Aachen. Franz-Josef Aymans beruhigt die Schülerin und sagt ihr, sie solle erst mal in Ruhe aufessen.
Franz-Josef Aymans – nein "Krenne", denn unter diesem Namen ist der 56-jährige Pädagoge überall bekannt – ist Gründer und Leiter des Zirkus' an der evangelischen Viktoriaschule Aachen, einem Gymnasium der Rheinischen Kirche, und das seit 1989. Der "coolste Lehrer Deutschlands", zu den ihn ein Fernsehmagazin vor zehn Jahren gekürt hat, dürfte auch der einzige Lehrer sein, der mit halber Stelle nur für einen Zirkus da ist. Zur anderen Hälfte ist er Sportlehrer. Aymans lässt sich von den Schülern duzen. "Ich glaube, der will das einfach so", meint eine Schülerin. Aber nichtsdestotrotz: In diesem Zirkus herrscht Disziplin wie bei den Profis.
Die beiden Clowns Edda und Vivien kommen ins Zirkus-Halbzelt, um das sich schon viele Kindergartenkinder und deren Eltern versammelt haben. Sie begrüßen das Publikum und es geht los. Eine Akrobatikgruppe wirbelt mit Bändern über die Bühne und "Don Raphaelo" zeigt seine Kunst am "Diavolo", einer Gummi-Rolle, die er mit einer Schnur an zwei Stöcken führt.
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Doch dann passiert es: Der Zirkusdirektor erscheint – ein Schuss im Hintergrund, und er ist "tot". Denn einfach nur Nummern hintereinander abspulen wäre langweilig. Die Vorstellung braucht ein Thema. Das Thema der "kleinen Configuranis" aus Klasse neun ist Deutschlands Erfolgskrimi "Tatort", und dazu braucht es einen Mord.
Der Zirkus ist aufgeteilt in Nachwuchs, Anfänger, kleine und große Configuranis. Während die Anfänger aus Klasse fünf in dieser Saison den "Räuber Hotzenplotz" als Leitfigur haben, die sechste den "Fluch der Karibik" und die Abiturienten aus den Klassen zehn bis zwölf "Das Ziel ist im Weg" anvisieren, ist es bei den Neuntklässlern der "Tatort". Kaum ist die "Leiche" weggeschafft, wird die Zirkusbühne von der "Polizei" gestürmt. Die Einradgruppe in Uniform braust in die Manege, um den Verbrecher zu verfolgen und nebenbei zu zeigen, dass Seilspringen auch mit dem Einrad möglich ist.
Die erste Show steht am Ende von Klasse fünf
Der Zirkus ist fester Bestandteil des Schullebens am evangelischen Gymnasium und gehört zum Profil der Schule. "Die Schüler lernen, im Team zu arbeiten, entwickeln Selbstvertrauen und können ihre besonderen Gaben entfalten", sagt Schulleiter Axel Schneider und lobt das klare pädagogische Konzept Krennes. Zu diesem Konzept gehört nicht nur selbst machen und auftreten, sondern auch weitergeben.
Das fängt an der eigenen Schule an. Wer neu in die fünfte Klasse kommt und beim Zirkus mitmacht – und das ist die überwiegende Mehrzahl der Anfänger – bekommt Unterricht von den Größeren. Die bringen den Kindern das Einradfahren und Jonglieren bei oder zeigen den Umgang mit dem Diavolo, so dass zum Ende der Klasse fünf eine erste Show steht.
Auch außerhalb der Schule geben die Artisten ihre Kunst weiter. So sind Configuranis an gleich zwei Aachener Grundschulen als Zirkuslehrer an der "Offenen Ganztagsschule" im freiwilligen Nachmittagsprogramm tätig. Wer möchte, kann die Configuranis auch für einen Workshop engagieren. Das tun sowohl Schulen und Kindergärten als auch Firmen, die den Kindern ihrer Mitarbeiter einmal etwas Gutes bieten wollen.
Zu Configurani gehört auch die Hintermannschaft, denn ohne Technik, Bühnenarbeit, Eintrittskartenverkauf und Buchhaltung kann ein Schülerzirkus nicht funktionieren. Es ist ein kleines Wirtschaftsunternehmen, das sich selbst trägt. Krenne ist stolz darauf, dass das Geld für Fahrten und Requisiten aus den eigenen Einnahmen stammt. So lernen die Schüler nicht nur die Arbeit mit dem Körper, sondern auch Organisation, Technik und unternehmerisches Handeln.
Während die beiden Clowns Edda und Vivien ihrem Idol, dem russischen Starclown Andrej Jigalov nacheifern und eine witzige pantomimische Performance hinlegen, sitzt Nicolas Bartolomäus am Pult und sorgt für passende musikalische Untermalung.
Jonglieren lernen - und Vertrauen
Für die Evangelische Kirche im Rheinland (EKiR) ist der Schulzirkus ein wichtiges Markenzeichen von Schularbeit in Trägerschaft der Kirche, ähnlich wie etwa das Schulfach "Sozialwesen und Diakonie" am Paul-Schneider-Gymnasium Meisenheim. "Der Zirkus vermittelt den Schülern wichtige christliche Grundtugenden, wie etwa das Vertrauen in Andere", sagt Otmar Scholl, Dezernent für Schule und Internate der Rheinischen Landeskirche. Denn die Schüler lernen, sich – ähnlich wie Bergsteiger – unbedingt auf den anderen zu verlassen.
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Die Kommissarin und ihre vorwitzige Praktikantin betreten den Tatort und liefern sich ein Wortgefecht. Dann kommt die Spurensicherung – in Schutzkleidung, wie es sich für einen "Tatort" gehört – und zeigt eine professionell anmutende Jongliernummer. Sicher wirbeln die Kegel hin und her. Denn Configuranis gehen mit Ernst an die Sache: Schließlich gehen sie regelmäßig auf Fahrt beispielsweise zu Jonglierconventions in ganz Europa. So war der Zirkus unter anderem in Toulouse, wo sich 5000 Jongleure trafen, um bei Weltgrößen des Fachs wie Jochen Schell oder Luke Burrage neue Tricks zu lernen. Auch bei den euregionalen Schultheatertagen ist der Zirkus Configurani aktiv.
Die Show ist vorbei. Wie im großen Zirkus kommen alle zum Schlussbild auf die Bühne. Die Artisten bedanken sich beim Publikum und natürlich bei ihrem Krenne, ohne den Configurani niemals eine solche Erfolgsgeschichte geworden wäre. Die Kinder sind jedenfalls begeistert vom Schülerzirkus. Simon (6) haben es besonders die Jongleure angetan. Configurani wäre nicht Configurani, wenn die Schüler nicht noch bleiben und den Kindergartenkindern einige Tricks zeigen würden. So schafft es Somaya (5) unter Leitung von Ella (14) nach kurzer Zeit, einen Drehteller sicher auf der Stange zu balancieren.