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TV-Tipp des Tages: "Zwei allein" (Arte)
TV-Tipp des Tages: "Zwei allein", 25. Juli, 20.15 Uhr auf Arte
Eine Frau wird am helllichten Tag auf offener Straße erschossen. Ihre Schwester muss das Geschehen hautnah miterleben. Ein klassischer Raubmord, oder steckt etwas ganz anderes dahinter?

In den letzten Jahren hat Stephan Wagner überwiegend Krimis gedreht; zumindest auf den ersten Blick. Tatsächlich aber behandeln seine Filme immer wieder existenzielle Konflikte, und das gilt keineswegs bloß für das Sozialdrama "In Sachen Kaminski" (2005). Gerade die mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten Werke "Der Fall Jakob von Metzler" sowie "Mord in Eberswalde" (2012/2013) drehen sich im Grunde um ganz andere Dinge: Im einen Fall geht es um die Frage, wie weit man moralisch und juristisch gehen darf, um ein Menschenleben zu retten; der andere Film beschreibt mit den Mitteln des Krimis die Hilflosigkeit der DDR-Behörden bei der Suche nach einem pädophilen Mörder. Die Wege Wagners mussten sich fast zwangsläufig irgendwann mit denen Friedrich Anis kreuzen, denn der Kriminalschriftsteller und Schöpfer von Tabor Süden nutzt das Genre gleichfalls gern, um "immer wieder neue Türen zu öffnen", wie er seine Arbeit beschreibt. Kein Wunder, dass "Zwei allein" völlig aus dem Rahmen fällt: Der Film ist eine berührende, stellenweise unerwartet heitere, vor allem aber tieftraurige Tragödie über den Fluch einer vermeintlich guten Tat.

Der düstere Schatten

Wagner und Ani erzählen die Geschichte auf zwei Ebenen. Mit Hilfe einer Vielzahl von Rückblenden, die oft bloß Augenblicke zeigen, erläutern sie das Verhalten der Figuren in der Gegenwart. Schon der Anfang ist Vergangenheit: Busfahrer Benedikt (Elmar Wepper) braust mit einem Linienbus durchs nächtliche München, an seiner Seite seine beschwipste Gattin Henriette (Gundi Ellert); gut gelaunt schlägt Benedikt der Polizei ein Schnippchen. Reizvoll ist auch die optische Auflösung des Filmbeginns: Wagner und sein bevorzugter Kameramann Thomas Benesch, mit dem er mehr als die Hälfte seiner Filme gedreht hat, zeigen die Stadt zunächst aus der vertikalen Vogelperspektive. Anschließend konzentriert sich die Kamera jedoch konsequent auf die zentralen Figuren. Dritte im Bunde ist Henriettes Schwester Gerlinde (Johanna Bittenbinder). Sie ist fortan das emotionale Kraftwerk der Geschichte, denn als auf den heiteren Auftakt ein umso schockierender Gewaltakt folgt, stapft Benedikt fortan zwar raumgreifenden Schritts, aber mimisch fast maskenhaft starr durch die Stadt: Henriette wird am helllichten Tag von einem vermummten Räuber erschossen. Ihr Mann ist untröstlich und entsprechend unfähig, seinerseits Trost zu spenden, dabei hätte Gerlinde Zuspruch bitter nötig: Sie war Zeugin des Mordes.

Mit regelmäßigen Rückblenden enthüllen Wagner und Ani nach und nach die ganze Geschichte. Dank scheinbar beiläufiger Einstellungen ahnt man früh, dass die gute Laune der immer wieder von plötzlichen Schmerzanfällen heimgesuchten Henriette einen düsteren Schatten kaschiert, der über ihrem Leben liegt. Trotzdem sind die Bilder des gemeinsamen Glücks geradezu ansteckend; Gundi Ellert und Elmar Wepper spielen das famos. Gerade Ellert gelingt es großartig, Lebensfreude und Lebensmüdigkeit in Einklang zu bringen.
Natürlich gibt es einen Kommissar (Simon Licht), der den Mord aufklären will, zumal der mutmaßlich gleiche Täter in der selben Gegend eine Reihe ähnlicher Überfälle begangen hat, aber trotzdem ist "Zwei allein" allenfalls vordergründig ein Krimi. Gleichfalls nur eine Randfigur, dramaturgisch dafür deutlich wichtiger ist ein Priester (Rufus Beck), dem sich Henriette anvertraut hat, als sie beim zwar geliebten, aber auch etwas wortkargen Ehemann an gewisse Grenzen stieß. Die Gespräche haben offenbar zu einem Sinneswandel geführt, bei dem sie Benedikt nicht mehr miteinbezogen hat. Der ist immer noch auf dem Stand eines früheren Dialogs, als er Henriettes Klage, Gott habe seine schwarze Hand nach ihr ausgestreckt, mit einem sehr endgültig klingenden "Scheiß auf Gott" beantwortet hatte; und in Gerlinde keimt ein furchtbarer Verdacht.

Die Bildgestaltung ist beinahe betont unauffällig; der Film gehört ganz und gar den drei herausragend guten Hauptdarstellern. Dank Irmin Schmidts sparsamer, mitunter fast zärtlicher Musik entwickeln die Bilder zudem eine ganz eigenwillige Stimmung. Nur gelegentlich erinnern die Klänge mit kurzen Thrillereinschüben daran, dass ein Mord geschehen ist und ein Täter gesucht wird. Welche Wucht sich die ganze Zeit hinter den Bildern verborgen hat, zeigt sich spätestens am Schluss, als die Geschichte in ein ergreifendes Finale mündet: Auf der Suche nach einem Ziel für seine Wut fährt Benedikt zu den Klängen von Johnny Cashs melancholischer Ballade "I See a Darkness" mit geladenem Revolver durch München und findet schließlich doch bloß sich selbst. Allein diese Schlusssequenz belegt nachdrücklich, warum Wagner selbst unter den großen deutschen Regisseuren eine Sonderstellung innehat.