Illustration: iStockphoto/Alex Slobodkin
Die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre von 1999 ist eine der Brücken über die Kirchenspaltung nach der Reformation.
Die ausgestreckte Hand der Ökumene
Die evangelische Kirche bleibt auch mit "Rechtfertigung und Freiheit" auf ökumenischem Kurs, schreibt Volker Leppin
Die EKD-Schrift "Rechtfertigung und Freiheit" zum Reformationsjubiläum 2017 hat eine heftige Debatte ausgelöst, auch mit Kritik von katholischer Seite. Theologieprofessor Volker Leppin ist einer der Autoren. Im Gastbeitrag auf evangelisch.de macht er deutlich, dass die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre und "Rechtfertigung und Freiheit" in einer Traditionslinie stehen.

[Anmerkung der Redaktion: Dieser Gastbeitrag ist eine Replik auf Wolfgang Thönissens Text "Antikatholische Grundsätze" auf katholisch.de.]

Man will es kaum glauben: Wolfgang Thönissen, einer der profiliertesten und anerkanntesten Ökumeniker der deutschsprachigen römisch-katholischen Theologie, fordert die katholische Kirche dazu auf, die Einladung zu einem gemeinsamen Christusfest im Jahre 2017 auszuschlagen!

Diese Einladung hat die Evangelische Kirche in Deutschland jüngst in ihrem Papier "Rechtfertigung und Freiheit" ausgesprochen (S. 109) – und genau wegen dieses Papiers hält Thönissen es für notwendig, alle auf dieser Grundlage beruhenden gemeinsamen Feiern zu boykottieren. Eine der souveränsten ökumenischen Gesten der vergangenen Jahre soll so schlicht ignoriert, die ausgestreckte Hand nicht ergriffen werden. 

Woher die Aufregung? Thönissen stört, dass durch das von dem Text ausgedrückte "Allein aus Gnade" in der Rechtfertigungslehre die "Konkretion in guten Werken" ausgeschlossen werde. Ungünstig für ihn: Das EKD-Papier benennt ausdrücklich die Werke als Folge der Gnade, und Thönissen zitiert dies sogar ausschnittweise: "Gute Werke entstehen sozusagen ganz selbstverständlich, quasi automatisch aus dem Glauben" (S. 89).

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Etwas, was selbstverständlich ist, wird ausgeschlossen? Auf diese gedankliche Pirouette muss man erst einmal kommen! Dabei fasst Thönissen durchaus zutreffend die zugrundeliegenden Gedanken des Papiers zusammen: "Allein aus Gnade heißt dann ohne Werke, unverdient, alles hängt von der Gnade Gottes ab. Der Mensch verdankt sich allein der Gnade Gottes." Stört ihn schon dies? Dann muss ihn wohl der Satz "Wir bekennen gemeinsam, daß der Mensch im Blick auf sein Heil völlig auf die rettende Gnade Gottes angewiesen ist" auch stören. Er steht in der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre (GER) von 1999.

Und da fängt es nun doch an, heikel zu werden. Denn ebendort wird auch die Differenz benannt – und ertragen! –, dass Katholiken und Lutheraner die Verdienstlichkeit der Werke unterschiedlich einschätzen. Eine Differenz, die, so die Logik der GER, die Einigkeit in den Grundlagen nicht berührt und die sich nach der GER mit der optimistischen Forderung verbindet: "Unser Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre muß sich im Leben und in der Lehre der Kirchen auswirken und bewähren."

Die "Theologie des Misstrauens" gehört in die Vergangenheit

Diese ökumenische Forderung gilt für Thönissen offenbar nicht mehr. In einer gemeinsamen Christusfeier 2017 jedenfalls soll sich der Konsens nach ihm nicht bewähren. Durch seinen Protest gegen das, was die GER noch anerkennen konnte, demontiert Thönissen das vorsichtige Gleichgewicht, das man 1999 gefunden hat. So wird das ökumenische Rad rückwärts gedreht und an Stelle des gegenseitigen wohlwollenden Anerkennens der Unterschiede eine Theologie des Misstrauens wiederbelebt, die den anderen nicht mehr anders sein lassen kann.

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Man sollte meinen: Grotesker geht es nicht. Aber leider ginge man damit fehl: Im EKD-Text findet sich die schöne, für evangelische Ohren keineswegs immer ganz selbstverständliche Aussage: "Auch wenn die Kirche nach reformatorischer Theologie nicht Heilsvermittlerin ist, bleibt das Christentum ohne Gemeinschaft undenkbar" (S. 38). Kann jemand, der die Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre mit ihrer Rede von Christus "als dem einen Mittler" ernst nimmt, wirklich etwas gegen diesen Satz haben? Und kann, wer diesen Satz gelesen hat, so wie Thönissen behaupten, das EKD-Papier lehre einen Christus "ohne seinen Leib, die Kirche"? "Undenkbar" ist ein Christentum ohne die Gemeinschaft in der Kirche für die EKD!

Diese ökumenische Gemeinsamkeit kann übrigens gründliche Leser von "Rechtfertigung und Freiheit" auch gar nicht überraschen. Der Text betont ausdrücklich den in der Rechtfertigungslehre erreichten Konsens mit der römisch-katholischen Kirche (S. 39) und baut alle folgenden Aussagen hierauf auf.

Wenn Thönissen also den Text zu einer "Absage an die mit der katholischen Kirche geführten ökumenischen Gespräche der letzten Jahrzehnte" erklärt, ist dies in geradezu abenteuerlicher Weise falsch. Die evangelische Seite bleibt bei dem eingeschlagenen Weg der Ökumene. Dies zeigt ja eben die Einladung für 2017, gegen die Thönissen sich so heftig wehrt. Die römisch-katholische Kirche sollte die einmalige Gelegenheit, nach Jahrhunderten der Kontroverse zum Reformationsjubiläum ein gemeinsames Christusfest zu feiern, nicht ungenutzt vorübergehen lassen!