Schleierverbot in Frankreich: Befreiung oder Stigmatisierung?
Symbol der grausamen Unterdrückung von Frauen und Zeichen eines fundamentalistischen Islams: Mit dieser Argumentation hat Frankreich 2011 als erstes westliches Land Vollschleier verboten. Nach zwölf Monaten fällt die Bilanz durchwachsen aus. Nach Einschätzung von Kritikern hat das Gesetz allenfalls zur weiteren Stigmatisierung der betroffenen Muslime beigetragen. Sie verweisen darauf, dass keine einzige Frau bekannt sei, die wegen des Verbots auf Vollschleier wie Burka oder Nikab verzichte.
10.04.2012
Von Ansgar Haase

Rachid Nekkaz bringt das erste westliche Vollschleierverbot immer noch in Rage. Das Gesetz beschneide die Bewegungsfreiheit im öffentlichen Raum und verletzte damit einen der Grundpfeiler der europäischen Verfassung, kommentiert der Menschenrechtler auf seiner Internetseite zum Jahrestag der Einführung des Schleierverbots. Es raube Menschen die Freiheit, statt ihnen Freiheit zu geben. Aus Protest und zur Unterstützung der Betroffenen hat der 40-Jährige bereits 2010 die Organisation "Touche pas à ma constitution" (Rühr meine Verfassung nicht an) gegründet. Sie bietet allen betroffenen Frauen an, für ihre Bußgelder aufzukommen.

Bislang hat er allerdings seinen mit einer Million Euro ausgestatteten Fonds noch nicht häufig anzapfen müssen. Gerade mal eine Handvoll Bußgeldbescheide sind bislang bekannt geworden. Die meisten Frauen werden - wenn überhaupt - lediglich verwarnt. Dabei scheint die Verfolgung von Schleierträgerinnen nicht gerade zu den Lieblingsaufgaben der Polizisten zu gehören.

Sie riskieren eine Geldstrafe

Vor allem in Pariser Vororten sind immer wieder Nikab-Trägerinnen zu beobachten, die sich völlig unbehelligt von Streifenbeamten auf der Straße bewegen. Eigentlich riskieren sie jedes Mal eine Strafe in Höhe von 150 Euro, wenn sie ihr Gesicht hinter Kleidungsstücken verstecken, die nur schmale Sehschlitze für die Augen offen lassen (Nikab) oder diese sogar noch mit einem Gitterschleier verdecken (Burka). Zudem kann ihnen ein Kurs in Staatsbürgerkunde aufgebrummt werden.

Exemplarisch für das Gesetz gilt auch, dass die ersten verurteilten Frauen gegen das Verbot kämpfende Aktivistinnen waren. "Wir können nicht akzeptieren, dass Frauen verurteilt werden, weil sie ihre Überzeugung ausleben", kritisierte eine von ihnen nach dem Urteilsspruch. Sie kündigten an, notfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ziehen.

Indirekte Unterstützung bekamen sie vom Menschenrechtskommissar des Europarates, Thomas Hammarberg. Als nach Frankreich im vergangenen Sommer auch Belgien ein Burka-Verbot einführte, zeigte er sich höchst besorgt. "Es ist wahrscheinlich, dass diese Gesetze die Frauen zusätzlich stigmatisieren und sie noch mehr vom gesellschaftlichen Leben abschotten", kommentierte er. Die Verbote könnten sogar dazu führen, dass Frauen sich nicht mehr in Krankenhäuser oder Behörden trauten. "Das ist nicht das, was man Befreiung nennen kann", kritisiert der Schwede mit Blick auf die Verbotsbefürworter.

Kampf gegen Islamisten ist Wahlkampfthema

Dass die französische Politik das Gesetz angesichts der umstrittenen Bilanz noch einmal überdenkt, gilt als ausgeschlossen. Bei der Einführung waren sich alle großen Parteien einig gewesen und hatten eine breite Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. Zudem steht die Präsidentenwahl an. Nach den Terroranschlägen von Toulouse und Montauban ist der Kampf gegen radikale Islamisten Top-Wahlkampfthema. Und gerade die Frauen der radikalen Islamisten sind als Nikab-Trägerinnen bekannt.

Frankreichs Präsident hat zudem nie angefochten, dass es ihm vor allem um die Symbolik ging. "Die Burka ist kein religiöses Zeichen, sondern ein Zeichen der Unterwerfung. Sie ist in Frankreich nicht willkommen", sagt Nicolas Sarkozy.

dpa