Günter Grass darf nicht mehr nach Israel reisen
Israel hat ein Einreiseverbot gegen den deutschen Literaturnobelpreisträger Günter Grass verhängt. Das Gedicht des 84-Jährigen sei ein Versuch, "Hass gegen den Staat Israel und das israelische Volk" zu schüren, wird der israelische Innenminister Eli Jischai am Sonntag in der "Jerusalem Post" (Online-Ausgabe) zitiert. Grass sagte, er würde sein Gedicht jetzt anders schreiben. Der frühere EKD-Ratschef Manfred Kock nahm den 84-jährigen Autor in Schutz. Kritiker gehen indes nach wie vor hart mit dem Literaturnobelpreisträger ins Gericht. In Göttingen wurde am Wochenende ein von Grass gestiftetes Denkmal beschmiert. Uneingeschränktes Lob für Grass kommt aus dem Iran.

Jischai erinnerte zudem an den Dienst von Grass in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges in der Waffen-SS. Dies ist nach einem Bericht der israelischen Zeitung "Haaretz" letztlich der Grund dafür, dass Grass jetzt in dem Land zur "unerwünschten Person" erklärt wurde.

Die Reaktion Israels löste ein breites Echo aus. Das Einreiseverbot gegen Grass sei "ein absolut zynischer und alberner Schritt des Innenministeriums", kritisierte der israelische Historiker Tom Segev in einem Interview mit "Spiegel Online". Es rücke Israel "in die Nähe fanatischer Regimes wie Iran", sagte Segev. Die Motivation des Ministers zu diesem Schritt sei der Versuch, "seine politische Zukunft zu sichern". Zuvor hatte Segev erklärt, die Vorwürfe von Grass an Israel seien "substanzlos".

Auch der Grünen-Politiker Volker Beck kritisierte die harte Reaktion der israelischen Regierung auf das umstrittene Gedicht von Grass: "Ein Einreiseverbot für Grass halte ich für überzogen und falsch. Es passt zu der Linie der aktuellen israelischen Regierung und wie sie mit Kritik und Streit auch im eigenen Lande umgeht", sagte Beck dem Handelsblatt Online. Er hoffe, dass man das noch einmal überdenkt." Allerdings könne er die Verärgerung in Israel gut verstehen. Grass zeige sich ignorant gegenüber der tatsächlichen Bedrohung Israels durch den Iran und der Infragestellung seines Existenzrechtes, fügte Beck hinzu.

Lob aus dem Iran

Der Iran lobte Grass unterdessen in höchsten Tonen. "Dieses Gedicht wird zweifellos dazu beitragen, dass auch das schlafende Gewissen des Westens nun aufweckt wird", schrieb der iranische Vizekultusminister Dschawad Schamghadri dem 84-Jährigen in einem Brief, der von der iranischen Nachrichtenagentur Mehr veröffentlicht wurde.

Im Rahmen der diesjährigen Ostermärsche hatte es Zustimmung für den Literaturnobelpreisträger
gegeben. Das "Netzwerk Friedenskooperative" bezeichnete das von der israelischen Regierung
ausgesprochene Einreiseverbot für Grass in Folge seines umstrittenenen Gedichts zur israelischen Atompolitik als "unsouveräne Reaktion". Damit würde auch jede Möglichkeit ausgeschlossen, dass der
84-Jährige sich Streitgesprächen in Israel stellen könnte. Ein Sprecher der Friedensbewegung sagte, Grass habe damit dazu beigetragen, das Bemühen um eine friedliche Lösung im Iran-Konflikt "wieder auf die Tagesordnung zu setzen". In Form eines Gedichtes nahm der Mitbegründer der Ostermärsche, Andreas Buro, für die Dachorganisation Kooperation für den Frieden am Samstag Stellung zu der Diskussion um das Grass-Gedicht.

Der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Manfred Kock, nahm Grass gegen den Vorwurf des Antisemitismus in Schutz. "Er ist kein Feind Israels, er ist auch kein Antisemit", sagte Kock am Samstag im Deutschlandfunk. Die heftigen Reaktionen auf das umstrittene Israel-Gedicht des 84-jährigen Schriftstellers hingen auch damit zusammen, "dass wenn Israel kritisiert wird, in welcher Weise und von wem auch immer, meistens die Keule Antisemitismus geschwungen wird". Andere Kritiker werfen Grass dagegen vor, zu stark zu polarisieren. Kock fügte hinzu, Grass begreife die gegenwärtige Situation nicht und verdecke in seinem Text einen wichtigen Aspekt: "Er weiß nicht oder will nicht wissen, das Iran ein Staat ist, der Israel als einzigem Staat in dieser Welt das Lebensrecht abspricht und ihn vernichten möchte." Das sei der "Urgrund für die Ängste", die in Israel herrschten.

Gedicht "Was gesagt werden muss"

Grass selbst wies die Kritik erneut zurück, beteuerte aber zugleich, er würde den Text jetzt anders schreiben. Der Autor hatte in seinem am Mittwoch veröffentlichten Gedicht "Was gesagt werden muss" dem Staat Israel vorgeworfen, den Weltfrieden zu gefährden, indem die Atomacht den Iran mit einem "Erstschlag" bedrohe. Dieser Schlag könne "das iranische Volk auslöschen". Grass kritisierte auch die Lieferung eines deutschen U-Bootes an Israel und brachte die militärische Kooperation in Zusammenhang mit  Wiedergutmachungsleistungen als Folge des Holocaust.

Im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" (Osterausgabe) sagte Grass, er würde nun seine Kritik präziser formulieren. Er hätte deutlicher zum Ausdruck bringen sollen, dass er die Politik der derzeitigen Regierung Israels habe treffen wollen: "Die kritisiere ich: Eine Politik, die gegen jede UN-Resolution den Siedlungsbau fortsetzt. Ich kritisiere eine Politik, die Israel mehr und mehr Feinde schafft und das Land mehr und mehr isoliert." Der Mann, der - so Grass - Israel zur Zeit am meisten schade, sei dessen Premier "Netanjahu - und das hätte ich in das Gedicht noch hineinbringen sollen."

Das von Grass gestiftete Denkmal für die "Göttinger Sieben", einen Kreis von Professoren im 19. Jahrhundert, die sich für freiheitliche Reformen einsetzten, wurde am Wochenende beschmiert. Foto: dpa

Zur massiven Kritik an seiner Person meinte Grass, diese treffe ihn nicht besonders: "Ich war immer gewohnt, dass meine Werke, große und kleine, auf heftige Kritik stoßen." Dennoch sei er enttäuscht darüber, dass "der kränkende und pauschale Vorwurf des Antisemitismus" gegen ihn erhoben worden sei.

Göttinger Denkmal beschmiert

Unbekannte beschmierten am Samstag das von Grass gestifteten Denkmal für die "Göttinger Sieben" in der Universitätsstadt. Auf dem Sockel der Plastik schmierten Unbekannte "SS! Günni Halts Maul". Die Polizei ermittele wegen Sachbeschädigung, sagte eine Sprecherin. Wahrscheinlich steht die Schmiererei im Zusammenhang mit den Diskussionen um das umstrittene Israel-Gedicht des Schriftstellers.

Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki griff Grass scharf an. Der Text "Was gesagt werden muss" sei ein "ekelhaftes Gedicht", das politisch und literarisch wertlos sei, sagte Reich-Ranicki der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (FAS). Der Literaturnobelpreisträger stelle "die Welt auf den Kopf". Der Iran wolle Israel auslöschen, "das kündigt der Präsident immer wieder an, und Günter Grass dichtet das Gegenteil. Das ist eine Gemeinheit, so etwas zu publizieren." Das Gedicht sei ein geplanter Schlag nicht nur gegen Israel, sondern gegen alle Juden. Reich-Ranicki betonte, Grass sei kein Antisemit, aber er spiele gezielt auf antisemitische Neigungen in Teilen der Bevölkerung an. Darum mache ihm das Gedicht auch Angst.

Auch der Schriftsteller Rolf Hochhuth (81) geht mit Grass hart ins Gericht. In einem Beitrag für die in Berlin erscheinende Tageszeitung "Die Welt" schreibt er: "Du bist geblieben, was Du freiwillig geworden bist: der SS-Mann, der das 60 Jahre verschwiegen hat, aber den Bundeskanzler Kohl anpöbelte, weil der Hand in Hand mit einem amerikanischen Präsidenten einen Soldatenfriedhof besuchte, auf dem auch 40 SS-Gefallene liegen - nie gab es einen meisterhafteren Tartuffe als Dich!" Er schäme sich als Deutscher über Grass' "anmaßende Albernheit", den Israelis verbieten zu wollen, ein U-Boot deutscher Produktion zu kaufen, das möglicherweise allein ihrem kleinen Staat die letzte Sicherheit geben kann, nicht von einer Atommacht ausgerottet zu werden.

"Grass hat kein Tabu gebrochen"

Der israelische Historiker Tom Segev kritisierte, die Vorwürfe von Grass an Israel seien "substanzlos". Grass habe keineswegs ein Tabu gebrochen, in dem er das israelische Kernwaffenarsenal thematisiere, heißt es in einem Beitrag von Segev für die "Berliner Zeitung" (Samstagsausgabe): "Seit vielen Monaten tobt in Israel und weltweit eine erhitzte Debatte darüber, ob man Irans Nuklearprogramm mit einem präventiven Militärschlag stoppen sollte." Er wirft Grass zudem vor, sein Vergleich Israels mit dem Iran sei unfair. Israel habe anders als der Iran noch nie damit gedroht, ein "anderes Land von der Landkarte zu fegen".

Der amerikanische Soziologe und Bestsellerautor Daniel Jonah Goldhagen bezeichnete Grass in der "Welt" als einen "Verfälscher seiner eigenen Nazi-Vergangenheit", der "nicht anders als jene am Stammtisch, die kulturellen Klischees und Vorurteile seiner Zeit durchkaut". Der Nobelpreisträger und der Ungebildete redeten "denselben Stuss". Die im Gedicht von Grass enthaltene "aberwitzige Behauptung", Israel drohe mit der präventiven Vernichtung des iranischen Volkes, sei "entweder eine antisemitische Fantasie oder eine groteske zynische Erfindung". In Deutschland und Europa sei die Auffassung weit verbreitet, Israel sei ein Nazi-ähnlicher Staat", so Goldhagen: "Die Perversität dieses Denkens - eine Perversion, die auf vielen Ebenen spielt - ist verblüffend".

Bundesaußenminister Guido Westerwelle hatte in einem Beitrag für die "Bild am Sonntag" zum Grass-Text erklärt, es sei absurd, Israel und Iran auf eine gleiche moralische Stufe zu stellen. Der dänische Schriftsteller Knud Romer stufte das Grass-Gedicht als "Stammtischgerede" ein. Der Kopenhagener Zeitung "Information" sagte Romer, Grass mache den Versuch, "Israel für einen bevorstehenden Holocaust mit ihm selbst, den Deutschen und allen anderen als Opfern verantwortlich zu machen". Er habe in einem "klischeehaften und stereotypen Text" zum möglichen präventiven israelischen Angriff gegen den Iran die Gedichtform als "rhetorischen Trick" gewählt, um "die Wirklichkeit so zu ändern, dass sie ihm in den Kram passt".

epd/dpa