Herta Müller zu Grass: "Das muss er selber verantworten"
Deutschland debattiert das gegen die Politik Israels gerichtete Gedicht von Günter Grass: Während die meisten Reaktionen kritisch ausfallen, sieht sich der 84-jährige Literaturnobelpreisträger einer "Kampagne" ausgesetzt.

Die Kritik an dem "Gedicht" von Günter Grass zum Konflikt zwischen Israel und dem Iran hält an. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verurteilte die Äußerungen des Schriftstellers am Donnerstag als ignorant und verwerflich. Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller sagte in Prag, Grass solle sich lieber zurückhalten, er sei nicht in der Lage, neutral zu urteilen. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, warf dem 84-Jährigen überzogene Israel-Kritik vor. Grass selbst bezeichnete die Vorwürfe gegen ihn in den ARD-Tagesthemen als "Kampagne".

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Was auffalle sei, das "Nicht-Einlassen auf die Fakten", sagte Grass am Donnerstagabend im Interview des Ersten. Sich einzulassen bedeute schließlich, die Fakten widerlegen zu müssen. Das hätten seine Kritiker aber nicht getan. Auffallend sei vor allem die öffentliche Reaktion. Er habe viele Mails erhalten, die ihm Recht gäben. In den Medien erlebe er aber "eine fast gleichgeschaltete Presse", in der Gegenstimmen nicht vorkämen. Der Vorwurf, er sei Antisemit, sei absurd, betonte der Autor.

Gleichzeitig unterstrich Grass seine Kritik an der israelischen Atompolitik. Israel sei seit längerem eine Atommacht außerhalb aller Kontrolle, sagte er. Die Drohung eines Angriffs auf den Iran sei eine Aufkündigung des diplomatischen Verhaltens, das uns über sechs Jahrzehnte Frieden in Europa garantiert habe. Als Schriftsteller sei er verpflichtet, diese Dinge anzusprechen.

Netanjahu: "Der Vergleich sagt viel über Herrn Grass"

Ministerpräsident Netanjahu erklärte: "Der peinliche Vergleich, den Günter Grass zwischen Israel und dem Iran gezogen hat, einem Regime, das die Schoah leugnet und zur Vernichtung Israels aufruft, sagt sehr wenig über Israel und viel über Herrn Grass." Grass habe 60 Jahre lang seine Mitgliedschaft in der nationalsozialistischen Waffen-SS verschwiegen, daher überrasche es nicht, wenn er den einzige jüdischen Staat der Welt als Bedrohung des Weltfriedens ansehe und ihm sein Recht auf Selbstverteidigung abspreche.

Die Schriftstellerin Müller hatte Grass am Rande einer Lesereise nach Tschechien scharf abgegriffen: "Er ist ja nicht ganz neutral. Wenn man mal in der SS-Uniform gekämpft hat, ist man nicht mehr in der Lage, neutral zu urteilen", sagte Müller in Prag über ihren Nobelpreis-Kollegen. Sie halte Grass' Äußerung nicht für ein Gedicht: "Wenn er ehrlicher wäre, hätte er einen Artikel geschrieben. Will er, dass es Literatur ist und damit interpretierbar? Dort steht kein einziger literarischer Satz drin, also ist es ein Artikel."

Mit dieser "Etikettenfälschung" könne man sich auch nicht retten. Dass Grass sein "sogenanntes Gedicht" an drei verschiedene Zeitungen in mehreren Ländern geschickt habe, halte sie für "größenwahnsinnig". Ihre Kritik schloss Herta Müller mit den Worten: "Das muss er selber verantworten."

Schneider: Bedrohung "verharmlost und ignoriert"

Der EKD-Ratsvorsitzende Schneider erklärte in einer Stellungnahme, in der Karwoche und unmittelbar vor dem jüdischen Pessachfest habe Grass in dem umstrittenen Gedicht "Was gesagt werden muss" der Politik Israels den Willen zum "Auslöschen" des iranischen Volkes unterstellt. Dagegen werde in dem Grass-Text die Bedrohung der Existenz des Staates Israel und der vom iranischen Präsidenten ausgesprochener Vernichtungswille "verharmlost und ignoriert", kritisiert Schneider, der auch rheinischer Präses ist.

In dem Gedicht "Was gesagt werden muss" warnt Grass vor einem Angriff Israels auf den Iran und übt dabei scharfe Kritik an der israelischen Politik: Die Atommacht Israel gefährde den ohnehin brüchigen Weltfrieden, indem sie das Recht auf einen atomaren Erstschlag behaupte. Der Text erschien am Mittwoch in der "Süddeutschen Zeitung" und zwei weiteren Blättern.

Grass schreibt darin, ein atomarer Erstschlag könne das iranische Volk auslöschen, nur weil dort der Bau einer Atombombe vermutet werde. Die Existenz einer solchen Bombe sei unbewiesen. Zugleich kritisierte er die Lieferung eines deutschen U-Bootes an Israel. Deutsche könnten so "Zulieferer eines Verbrechens" werden. Israelische und iranische Atomanlagen müssten durch eine internationale Instanz kontrolliert werden.
 

epd