Organspende trotz Patientenverfügung - geht das?
Organspende trotz Patientenverfügung klingt erst einmal paradox. Denn wer eine Patientenverfügung unterschreibt, der zieht Grenzen, lehnt unter bestimmten Umständen lebensverlängernde Maßnahmen ab. Potentielle Organspender hingegen stimmen zu, dass auch nach dem Hirntod Intensivmedizin angewendet werden darf. Und trotzdem widersprechen sich Organspende und Patientenverfügung nicht unbedingt.
03.04.2012
Von Maike Freund

Das intuitive Unwohlsein, das komische Gefühl im Bauch, das im Bauch beim Thema Organspende zurückbleiben kann, hat Michael Coors schon einige Male erlebt. Er ist theologischer Referent beim Zentrum für Gesundheitsethik an der Evangelischen Akademie Loccum. Der Pastor hat es bei seinen Zuhörern beobachtet, auf seinen Vorträgen in Gemeinden zu hören bekommen. Dass das Thema so ungute Gefühle hervorrufen kann, hat laut Coors unterschiedliche Gründe: Beispielsweise die Unlust, sich mit dem Thema Tod und Sterben zu beschäftigen. Vor allem aber ist das Thema kontrovers, es gibt keine einfache Lösung. Für viele bleibt ein allgemeines Unbehagen zurück, wenn man sich vielleicht gegen eine Spende entscheidet - obwohl man gute Gründe dafür hat.

Noch schwieriger wird es, wenn es auch noch um eine Patientenverfügung geht. Die beiden Themen sind zwar verwandt, setzen sie doch die Beschäftigung mit dem Tod voraus. Und trotzdem sind die Fragen, die beantwortet werden wollen, unterschiedlich: "Wer eine Patientenverfügung aufsetzt, fragt sich: Unter welchen Bedingungen will ich eigentlich nicht mehr medizinisch weiter behandelt werden, also sterben?", sagt Coors. Wer sich mit der Organspende beschäftigt, stelle sich die Frage, was er anderen auch nach dem Tod oder im Sterben noch Gutes tun könne.

[listbox:title= Zahlen und Fakten [Rund 12.000 Patienten stehen auf den Wartelisten und hoffen auf ein neues Organ. Menschen, die laut Statistik nicht alle gerettet werden können. Denn als Organspender kommen nur Menschen infrage, bei denen der Hirntod vor dem Herzstillstand eintritt. Von den rund 400.000 Menschen, die jedes Jahr in deutschen Kliniken sterben, ist das nur bei einem Prozent der Fall. 2011 konnte 4.054 Menschen mit einer Transplantation geholfen werden.]]

Und obwohl es paradox klingt, lässt sich dieser Konflikt lösen: Denn beim Thema Patientenverfügung und Organspende entstehe viel Unsicherheit, weil zwei Dinge miteinander vermischt würden, weiß Günter Kirste, Medizinischer Vorstand der DSO, der Deutsche Stiftung Organtransplantation. "Patientenverfügung und Organspende haben unterschiedliche Indikationsgruppen", sagt der Mediziner. "Wer eine Patientenverfügung aufsetzt, befürchtet monatelanges Wachkoma oder desolate Krebserkrankungen." Das seien jedoch Menschen, die für eine Organspende nicht in Frage kommen würden, "denn die einen sind nicht hirntot und die andern sind krank." Für eine Organspende kämen jedoch nur akute Fälle in Frage, beispielsweise Unfallopfer oder Schlaganfälle, bei denen sich der nahe Hirntod abzeichne.

Es gibt keine Regelung, welche Anweisung in vorzuziehen ist

Für Kirste stehen Patientenverfügung und Organspende nur in bestimmten Fällen im Widerspruch und zwar dann, wenn es keine eindeutige Regelung gibt: "Grundsätzlich gilt: Eine Patientenverfügung untersagt Intensivtherapie, eine Organspende macht diese jedoch für Stunden oder wenige Tage nötig." Darin liege ein gewisser Konflikt. Denn wenn in einer Patientenverfügung nicht eindeutig erklärt ist – beispielsweise durch den Zusatz , dass der Patient trotz Patientenverfügung mit dieser kurzfristigen Intensivtherapie einverstanden ist –, "kommt es auf die Entscheidung der Angehörigen an", erklärt Kirste. Der Grund: Es gibt keine rechtliche Regelung, welche Anweisung in vorzuziehen ist.

Coors ergänzt: "Liegt beides vor, überwiegt zunächst die Patientenverfügung, zumindest solange noch kein Hirntod festgestellt wurde." Der Organspendeausweis gelte erst für die Situation des eingetretenen Todes, die Patientenverfügung beziehe sich auf die Situation des Sterbens und sei unbedingt verbindlich. Ein weiterer Faktor, der Unsicherheit stiftet: Eine Patientenverfügung liegt nur dann vor, wenn sie schriftlich ist. In anderen Fällen wird der Entscheidung den Angehörigen überlassen.

[listbox:title= Infos rund um die Organspende[Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zur Organspende ## Deutsche Stiftung Organspende ## Informationen von und über Eurotransplant ## Der Organspendeausweis zum Download ## Informationen gibt es auch per Telefon Montag bis Freitag von 9 bis 18 unter unter 0800/90 40 400]]

Tatsächlich werden immer weniger Organe werden gespendet. Die DSO vermutet, dass einer der Gründe eben jene Patientenverfügung – und die sich daraus ergebenen Therapieabbrüche – sein könnten, so dass es gar nicht erst zur Hirntoddiagnostik und somit zu einer Organspdene kommt. Bisher sind es nur erste Rückmeldungen, die die Stiftung von ihren Koordinatoren aus den Krankenhäusern bekommt. Coors glaubt jedoch nicht, dass die Patientenverfügung für den Rückgang mitverantwortlich ist. Der Anteil derjenigen, die eine Patientenverfügung aufgesetzt hätten, liege nur bei circa 20 Prozent. Organspendeausweise hätten rund 15 Prozent der Bevölkerung. "Die sich daraus ergebene Schnittmenge ist insgesamt schon sehr gering, und aus dieser Schnittmenge werden nur wenige wirklich zu Organspendern."

Die DSO wirbt für eindeutige Formulierung

Um Unsicherheiten und Missverständnissen vorzubeugen, wirbt die die DSO dafür, eine Formulierung in die Patientenverfügung aufzunehmen, die Eindeutigkeit schafft. Vorschläge dazu gibt es beispielsweise vom Bundesjustizministerium. Kirste empfiehlt die Formulierung des Deutschen Ärztetages, in der auch die christliche Patientenverfügung enthalten ist: "Denn das ist einfach und für jeden verständlich formuliert."

"Grundsätzlich bin ich zur Spende meiner Organe und Gewebe bereit. Es ist mir bewusst, dass Organe nur nach Feststellung des Hirntodes bei aufrechterhaltenem Kreislauf entnommen werden können. Deshalb gestatte ich ausnahmsweise für den Fall, dass bei mir eine Organspende medizinisch in Frage kommt, die kurzfristige (Stunden bis höchstens wenige Tage umfassende) Durchführung intensivmedizinischer Maßnahmen zur Bestimmung des Hirntodes nach den Richtlinien der Bundesärztekammer und zur anschließenden Entnahme der Organe."

Natürlich gibt es aber auch die Möglichkeit, in der Verfügung eindeutig zu erklären, dass eine Organspende nicht erwünscht ist.


Maike Freund ist Redakteurin bei evangelisch.de.

Mit Material von dpa