Hilferuf der alten Dame: Wie Ai Weiweis Mutter ins Internet ging
Die Mutter von Ai Weiwei war fast 80, als sie ihren ersten Text ins Internet stellte. Der Grund: Ihr Sohn war verschleppt worden. Die Botschaft aus Peking löste einen internationalen Proteststurm aus.
01.04.2012
Von Silke Ballweg

Es waren schwere Wochen. Als die chinesischen Behörden den Künstler und Regierungskritiker Ai Weiwei am 3. April 2011 festsetzen, weiß auch seine Familie nicht, was mit dem damals 53-Jährigen geschehen ist. "Ich bin fast verrückt geworden, ich dachte, er kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben", erinnert sich Ai Weiweis Mutter Gao Ying ein Jahr danach. "Es hieß immer nur, zwei Männer hätten ihn mitgenommen."

Die heute 80 Jahre alte Dame konnte nicht untätig bleiben. Von den Möglichkeiten des Internet hatte sie bereits gehört. Sie wusste, dass über 200 Millionen Chinesen im Internet Nachrichten über sogenannte Mikroblogs verbreiteten, ähnlich dem Twitter-Dienst. Und so ließ auch sie sich ein Konto einrichten und stellte eine Nachricht online.

"Bitte helft mir, meinen Sohn zu finden"

Drei Tage nach Ai Weiweis Festnahme schreibt sie: "Mein Sohn ist am 3. April am Pekinger Flughafen verschleppt worden. Bitte helft mir, ihn zu finden." Dann fügt sie ihre Handynummer an: "Zehn Minuten später klingelte das Telefon. Medien aus der ganzen Welt haben angerufen, um mich zu interviewen." Doch trotz internationaler Proteste bliebt Ai Weiweis Verbleib unklar. Erst im Mai gibt es ein Lebenszeichen von ihm.

[listbox:title=Infobox: Mikroblogs in China[Während der Kurznachrichtendienst Twitter in China blockiert wird, bieten Internetfirmen Mikroblogs an, sogenannte Weibo. Wie bei Twitter kann man auch bei Weibo Nachrichten mit 140 Zeichen verschicken.##Die Regierung versucht, Weibo zu zensieren: Nachrichten, in denen heikle Wörter wie Tibet oder das Massaker am Platz des Himmlischen Friedens vorkommen, werden von einer Software erkannt und nicht online gestellt. Bei aktuellen Ereignissen hinkt die Zensur aber oft hinterher.##Verschärfte Kontrollen: Ab sofort muss jeder Mikroblogger bei der Anmeldung seine wahre Identität preisgeben.]]

Heute sitzt Gao Ying in ihrem Wohnzimmer vor der Büste ihres 1996 gestorbenen Mannes Ai Qing, des Vaters von Ai Weiwei. Die Familie hat schwere Jahrzehnte durchlebt. Ai Qing war zunächst ein Weggefährte Mao Tse-tungs. Doch 1958 wurde er im Zug einer politischen Säuberungsaktion in die Verbannung geschickt, in entlegene Gebiete Chinas.

"Weiwei merkte bald, dass wir als Feinde der Revolution angesehen wurden, das hat ihn natürlich sehr verletzt," sagt die Mutter. Im bitterarmen Norden Chinas musste die Familie unter unvorstellbaren Bedingungen hausen - in einem Erdloch, das nur mit Blättern und Zweigen abgedeckt war. "Weiwei wurde von den anderen Kindern immer wieder diskriminiert."

Gao Ying ist stolz auf ihren Sohn

Der Vater hatte in seiner Jugend in Paris Kunst studiert, im China der 40er und 50er Jahre gehörte er zu den einflussreichen Intellektuellen. In der Verbannung wurde er regelmäßig gedemütigt. "Dass sich Weiwei für die Benachteiligten einsetzt und für Gerechtigkeit kämpft, liegt natürlich daran, dass er die staatliche Willkür am eigenen Leib erfahren hat," sagt seine Mutter Gao Ying. Die Familie musste täglich mit ansehen, wie der Vater die öffentlichen Klos zu putzen hatte. "Das ist ein Grund, weshalb er Gleichheit, Demokratie und Rechtssicherheit fordert," glaubt seine Mutter.

Ingesamt 81 Tage lang war Ai Weiwei im vergangenen Jahr in Haft. Rund um die Uhr bewacht, wurde er immer wieder verhört. Am 22. Juni kam er schließlich unter Auflagen frei. Seitdem durfte er Peking nicht verlassen. Offiziell darf er weder im Internet bloggen noch Interviews geben. Doch er tut es immer wieder. Die Regierung wirft dem Künstler Steuerbetrug vor, was er wiederholt zurückwies. Ai Weiweis Auflagen enden am 22. Juni. Wie es dann weitergeht, ist unklar.

Gao Ying ist stolz auf ihren Sohn. Seit dem vergangenen Jahr weiß sie, dass er auch im Ausland viel Beachtung findet. Die internationale Resonanz ihres Hilferufs hatte ihr Interesse geweckt. Sie lernte, wie man im Internet die "Firewall" der chinesischen Zensur überspringt, und begann, auf ausländischen Webseiten zu surfen. "Plötzlich sah ich: Die ganze Welt kümmert sich und reagiert auf die Verhaftung meines Sohnes", sagt sie bewegt. "Das beruhigte mich sehr."

epd