Wie schon im vergangenen Jahr sind auch 2012 in Hessen wieder Proteste gegen ein Tanzverbot am Karfreitag angekündigt worden. Wie beurteilen Sie das?
Nikolaus Schneider: Der Tanz-Flashmob in Frankfurt im vergangenen Jahr ist von vielen Menschen als unangemessen und verletzend empfunden worden. Der Karfreitag ist einer der höchsten Feiertage der Christenheit. Ohne Karfreitag kann es kein Ostern geben. Ohne Kreuz und Auferstehung Jesu Christi gäbe es keine christliche Kirche. Christen glauben: die absolute Macht des Todes ist gebrochen, weil Jesus Christus am Karfreitag für uns gestorben ist.
Karfreitag zeigt: Leiden, Sterben und Tod stehen nicht im Gegensatz zu einem sinnerfüllten Leben. Sie sind nicht Zeichen der Gottesferne und müssen nicht verdrängt werden. Der Tod bedeutet nicht: alles Leben ist vergeblich. Deshalb ist für Christen der Karfreitag ein Tag des stillen und dankbaren Gedenkens. Dass dieser Tag für alle Bürger auch durch gesetzliche Regelungen wie das Tanzverbot geschützt wird, ist Ausdruck der Verwurzelung unseres kulturellen Erbes im Christentum.
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Sind die gesetzlichen Bestimmungen und die Ahndung von Verstößen mit einem Bußgeld denn noch zeitgemäß?
Schneider: Das Tanzverbot ist im hessischen - wie auch in anderen - Feiertagsgesetzen festgeschrieben. Es handelt sich also um eine gesellschaftliche Vereinbarung. Solche Vereinbarungen können im Laufe der Zeit weiterentwickelt oder auch hinterfragt werden. "Zeitgemäß" ist aber für die eine wie für die andere Seite ein ganz schwaches Argument. Es ist inhaltsfrei. Und ich bin davon überzeugt, dass verbindliche Vereinbarungen zum Schutz kulturell bestimmter Festtage dem Zusammenhalt unserer Gesellschaft dienen - gerade in unserer Zeit.
Wie erklären Sie denn einem kirchenfernen Menschen, dass er am Karfreitag nicht tanzen gehen darf?
Schneider: Es tut einer Gesellschaft insgesamt gut, wenn sie Tage zum Innehalten hat. Zum menschlichen Dasein gehören auch Leid, Tod und Schmerzen. Jeder Mensch ist irgendwann damit konfrontiert. Christen setzen sich gerade am Karfreitag mit diesen Themen auseinander. Sie bringen dabei zur Sprache, was Menschen oft sprachlos macht. Sie bieten spirituelle Lebensformen an, wo Starre oder Verdrängen oft das Verhalten bestimmen. Und auch kirchenferne Menschen sind gebeten, diese christliche Glaubenstradition zu respektieren.
Der hessische Kirchenpräsident Jung hat gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" Einlenken bei dem Tanzverbot an normalen Sonntagen signalisiert. Wie beurteilen Sie diesen Vorstoß?
Schneider: Das gemeinsame Anliegen der Kirchen ist es, dass an Sonntagen der Gottesdienst nicht durch laute Parallelveranstaltungen gestört wird. Insofern muss man sich die genauen Regelungen der einzelnen Feiertagsgesetze anschauen.