Dem internationalen Publikum sind Sie vor allem als versierte Action-Schauspielerin bekannt. Nun spielen Sie die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Was hat Sie an dieser ganz und gar gewaltfreien Rolle gereizt?
Michelle Yeoh: Einer solch vielschichtigen Figur begegnet man als Schauspielerin nicht jeden Tag. Diese Rolle wollte ich unbedingt spielen. In den Actionfilmen waren Pistolen und Gewehre oder meine Arme und Beine die Waffen, mit denen ich kämpfte. Suu Kyi hingegen kämpft allein mit der Waffe des Glaubens an eine gerechte Sache. Die größte Herausforderung an der Rolle war die Aura dieser Frau zu erfassen, die sich vollkommen unbewaffnet ihren Weg durch eine Reihe von Soldaten mit Gewehr im Anschlag bahnen konnte. Die Ruhe in ihrem Gesicht, zeigte den Soldaten, dass von ihr keine Gefahr ausging - und dass sie ihr nichts anhaben konnten.
Woher speist sich diese, wie Suu Kyi es nennt, "Freiheit von Angst"?
Yeoh: Diese Lebensphilosophie ist vom Buddhismus geprägt. Die Menschen in Birma sind ja sehr spirituell. Suu Kyi hat sich schon als Jugendliche mit gewaltfreiem Widerstand beschäftigt und wurde von den Lehren Gandhis stark beeinflusst. Sie glaubt fest daran, dass eine Gesellschaft nur gewaltfrei heilen kann und tiefgreifende Veränderungen nicht durch ein Blutbad erreicht werden können.
Suu Kyi stand insgesamt fünfzehn Jahre unter Hausarrest und wurde durch ihr politisches Engagement von ihrem britischen Mann und ihren Kindern getrennt, denen die Einreise nach Birma verweigert wurde...
Yeoh: Ja, und sie hätte das Land jederzeit verlassen können. Niemand hätte sie kritisiert, wenn sie zurück zu ihrem schwerkranken Mann und den beiden Söhnen nach England gegangen wäre, um sich von dort als Exilführerin zu engagieren. Aber sie war immer der Überzeugung, dass Politiker bei ihren Leuten sein müssen. Das Erste, was sie sagte, als man sie unter Hausarrest stellte, war: "Steckt mich ins Gefängnis wie die anderen."
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Viele Leute können nicht verstehen, dass sie Mann und Kinder im Stich ließ, um ihre politischen Ziele zu erreichen. Aber für eine Buddhistin gehören zur Familie nicht nur die Blutsverwandten, sondern alle, mit denen man näher zu tun hat. Suu Kyi spricht auch nie von einem Opfer, das sie erbringt, sondern von einer Wahl, die sie getroffen hat. Ein Mann, der sich so wie sie verhielte, würde als Held gefeiert. Aber bei einer Frau tun sich die Leute anscheinend schwerer eine solche Entscheidung zu akzeptieren.
Wieviele Opfer mussten Sie für Ihre filmische Karriere bringen – immerhin haben Sie sich in der Männerdomäne von "Martial Arts" und Actionfilmen ganz weit nach oben geboxt…
Yeoh: Ich bin in die Welt des Actionkinos nicht hineingegangen, weil ich mich in einer Männerdomäne beweisen wollte. Mich hat diese körperliche Form des Filmemachens einfach interessiert. Da ging es mir allein um mich. Ich habe mir ein Ziel gesetzt und es mit Training und Disziplin verfolgt.
Konnten Sie Suu Kyi persönlich treffen?
Yeoh: Ihr Hausarrest wurde erst gegen Ende der Dreharbeiten aufgehoben. Ich wollte sie unbedingt treffen und bin für 24 Stunden nach Birma eingereist. Wir haben nur wenig über den Film gesprochen, aber sie hat uns völlige künstlerische Freiheit eingeräumt. Sie oder ihre Familie haben nie versucht, Einfluss auf das Projekt zu nehmen.
Was können westliche Politiker von Suu Kyi lernen?
Yeoh: Suu Kyi sagt, dass Lernen immer eine gegenseitige Erfahrung ist. Deshalb ist es auch so wichtig, dass jetzt der politische Dialog in Birma wieder aufgenommen wurde. Suu Kyis politisches Wirken ist davon bestimmt, Druck aufzubauen und trotzdem in ständiger Kommunikation mit der Gegenseite zu bleiben.
Mittlerweile scheint der Demokratisierungsprozess in Birma in Gang zu kommen. Ist Ihr Film von der politischen Wirklichkeit überholt worden?
Yeoh: Nein, an dem, was wir mit dem Film vermitteln wollen, ändert die neue politische Lage nichts. Unser Film zeigt einen historischen Ausschnitt - und (lachend) wer weiß, vielleicht drehen wir noch eine Fortsetzung…
Martin Schwickert ist freier Filmjournalist.