Wahl in Birma - "Abwarten, ob sie es ernst meinen"
Der 1. April ist weltweit der Tag der hintersinnigen Scherze, der raffinierten Streiche. Jemanden "in den April schicken" nennt man diese Art jahreszeitlich bestimmten Humors. Die Birmanen sollen an diesem April in eine bessere Zukunft geschickt werden und viele Menschen in Birma hoffen, dass es sich dabei nicht nur um eine besonders derbe Form des Aprilscherzes handelt.
30.03.2012
Von Robert Spring

Gleich zwei historische Ereignisse bestimmen diesen 1. April in Birma. An diesem Tag wird offiziell das Ende der diversen Wechselkurse der Landeswährung Kyat eingeläutet. Als der Teil der Öffnung des Landes soll ein einheitlicher Wechselkurs eingeführt werden, der sich nach Angebot und Nachfrage richten wird. Dieser Schritt ist eine wesentliche Grundlage für die internationale Wettbewerbsfähigkeit des an natürlichen Rohstoffen – von landwirtschaftlichen Produkten wie Reis über Edelsteine, Wasser bis zu Öl und Gas - reichen südostasiatischen Landes.

Das zweite historische Ereignis ist eine Nachwahl zum Parlament. Die Regierung von Präsident Thein Sein hat Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi und ihre Partei Nationale Liga für Demokratie (NLD) zu der Wahl zugelassen, einen freien und fairen Ablauf der Wahl versprochen, internationale Wahlbeobachter eingeladen und nationalen wie internationalen Medien Freiheit der Berichterstattung zugesagt. Nach sechs Jahrzehnten brutaler Militärdiktatur präsentiert sich Birma als Musterland der Demokratie. Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi zeichnet ein anderes Bild. Den zurückliegenden Wahlkampf könne man nicht als vollkommen "frei und fair bezeichnen", sagte die Friedensnobelpreisträgerin am Freitag. Aber sie und die NLD seien entschlossen "weiterzumachen", denn ist es, "was das Volk will".

Aung-San-Kyi-Devotionalien auf dem Grabbeltisch

Den vier japanischen Touristen fällt die Entscheidung schwer. Sollen es das knallrote T-Shirt mit dem gelben kämpfenden Pfau sein oder doch lieber das mit dem Porträt von Aung San Suu Kyi? Schön sind auch die Kaffeebecher mit den Konterfeis von Aung San Suu Kyi und Hillary Clinton. Gemeinsam sind die beiden starken und charismatischen Frauen "The Greatest", verkündet ein dicker fetter Schriftzug auf dem Becher.

Die Aung-San-Kyi-Devotionalien auf dem Grabbeltisch im Parterre der schäbig und ärmlich anmutenden Parteizentrale der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) im Herzen Ranguns sind Souvenirs für Touristen, Politbesucher und Journalisten, die seit dem historischen Besuch von Clinton in Birma im vergangenen Dezember en Masse ins lange isolierte, verbotene Goldene Land strömen.

Die Fanartikel sind auch für den Wahlkampf bestimmt. Am 1. April stehen in 48 Wahlkreisen Nachwahlen zum Parlament Birmas an. Allerdings wurde der Urnengang in drei Wahlkreisen in Kachin, wo Birmas Armee seit Sommer 2011 einen Krieg gegen die Kachin Independence Army (KIA) führt, aus "Sicherheitsgründen" abgesagt.

Wie ein buddhistisches Mantra wiederholt Birmas Präsident Thein Sein die Zusicherung: die Wahlen werden frei, fair und transparent sein. Als Beweis dient ihm die Zulassung der NLD und ihrer Vorsitzenden Aung San Suu Kyi zu den Wahlen sowie die Einladung internationaler Wahlbeobachter. Mehr als sechs Millionen Birmanen sind aufgerufen, ihre Stimmen an den Wahlurnen abzugeben. Es wird weithin erwartet, dass die NLD der klare Wahlsieger sein wird. Die Partei hatte die Parlamentswahlen im November 2010 aus Proteste gegen die unfaire und manipulative Wahlgesetzgebung boykottiert.

Die Behörden vor Ort wissen nicht, woran sie sind

Einen erstaunlichen Partner findet Thein Sein, der, als er noch die Generalsuniform trug, Premierminister der ehemaligen Militärjunta war, in Hantha Myint. Der Sekretär der NLD residiert in einem kleinen, dunklen, mit Akten, Plakaten, Bürountensilien vollgestopftem Büro im ersten Stock der NLD-Zentrale. "Wir vertrauen dem Präsidenten", sagt der Vertraute von Aung San Suu Kyi.

Die Harmonie zwischen NLD und der seit einem Jahr amtierenden zivilen birmanischen Regierung ist Realität, zugleich aber auch trügerisch. Immer wieder wird der Wahlkampf der NLD behindert. Beispiel Hlegu, einer Stadt 45 Kilometer nördlich von Rangun. Nach dem Meer von knallroten Wahlplakaten zu urteilen ist Hlegu eine NLD-Hochburg. Vielleicht deshalb hatten die örtlichen Behörden im Februar zunächst eine Großveranstaltung mit Aung San Suu Kyi durch die Verweigerung der Benutzung des Sportplatzes sabotierten. "Sie legen uns Steine in den Weg, wo sie nur können. Erst wenn sie Anweisung von ganz oben bekommen, geben sie nach", sagt Maung Maung, ein örtlicher NLD-Funktionär.

Die Probleme in Hlegu und Kachin sind ein Spiegel des Umbruchs, in dem sich Birma befindet. Die Regierung von Thein Sein besteht nicht aus lauter birmanischen Gorbatschows mit ausgeprägtem Reformenthusiasmus. Die Behörden vor Ort wissen nicht, woran sie sind: setzt sich Thein Sein durch? Oder gewinnen die Hardliner im Militär wieder die Oberhand? Also lieber nichts tun oder tun, was man schon immer im Fall oppositioneller Umtriebe getan hat: verhindern, einschüchtern, unterdrücken.

Der Wille zu Reformen ist da, aber das Know-how fehlt

So sehr die Mehrheit der Birmanen den frischen Politwind, die politische Rehabilitierung von NLD und Aung San Suu Kyi, begrüßt, so misstrauisch stehen sie auch den Reformen gegenüber. "Wir müssen abwarten, ob sie es ernst meinen", fasst Nay Zaw Aung, ein dreißig Jahre alter Computerfachmann in Rangun, die Haltung vieler seiner Landsleute zusammen. Birmanische Exilgruppen halten die Nachwahl mit Opposition, ausländischen Wahlbeobachtern, Freiheit für internationale Medien gar für eine "Scharade", um die westlichen Sanktionen gegen Birma loszuwerden.

Diplomaten, Oppositionspolitiker und viele Menschen in Birma sind davon überzeugt, dass es Präsident Thein Sein mit den von ihm initiierten politischen, sozialen und wirtschaftlichen Reformen ernst ist. Aber es gibt Zweifel, ob Thein Sein und seine Mitarbeiter der Aufgabe gewachsen sind. Politische Beobachter in Birma gehen von etwa 20 – 30 Experten im Team von Thein Sein aus, die über das fachliche und intellektuelle Rüstzeug für die Herkulesaufgabe verfügen, Birma eine Zukunft zu geben. Die "mangelnden Kapazitäten" sind für Henning Effner, Birmaexperte der Friedrich Ebert Stiftung in Kuala Lumpur, eines der Hindernisse für den Reformprozess. Effner sagt: "Zwar besteht der politische Wille für sozio-ökonomische Reformen, jedoch fehlt das notwendige Know-how, um diese Reformen auch umzusetzen. Myanmar ist daher dringend auf Hilfe von außen angewiesen.

Offen ist auch die Frage, wie weit die Hardliner in Regierung, Armee und um den zurückgetretenen Ex-Junta-Chef General Than Shwe im Hintergrund die Reformfraktion gehen lassen werden. In Kachin kämpfen birmanische Truppen weiter mit brutaler Gewalt gegen die Miliz der Kachin, obwohl der Präsident ein Ende der Kämpfe befohlen hat. Ein politischer Frieden in Birmas ethnischen Gebieten der Kachin, der Karen, der Shan und anderer, in denen seit mehr als 60 Jahren ein von der Welt vergessener latenter Bürgerkrieg herrscht, ist der Schlüssel für Birmas Zukunft.

Es wird sich in den Wochen nach dem 1. April zeigen, ob die Reformen unumkehrbar sind oder sich als gigantischer Aprilscherz erweisen. Die Japaner haben ihre Wahl schon getroffen: Aung-San-Suu-Kyi-T-Shirts.