Ein Jahr Bildungspaket: Die unvollkommene Reform
Ein warmes Mittagessen in der Schule, Geld für die Klassenfahrt, Nachhilfe sowie für den Sport- und Musikverein - das alles enthält das Hartz-IV-Bildungspaket. Aber nach einem Jahr läuft es immer noch nicht so rund wie angestrebt.
30.03.2012
Von Karl-Heinz Reith und Günther Voss

Das Gegenteil von gut ist häufig gut gemeint. Auch ein Jahr nach dem Start des Hartz-IV-Bildungspaketes sind die Meinungen über die Bildungshilfen für rund 2,5 Millionen bedürftige Kinder und Jugendliche gespalten. Während Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sich auf richtigem Weg sieht, sprechen Opposition und Sozialverbände von einem "Flop". Zusammen mit den kommunalen Spitzenverbänden will von der Leyen pünktlich zum Jahrestag an diesem Freitag eine erste Bilanz ziehen.

Stichproben in Kommunen und Landkreisen zeigen, dass nach den anfänglichen Problemen inzwischen etwa gut jedes zweite bedürftige Kind die Bildungshilfen in Anspruch nimmt: Ein warmes Mittagessen in der Kita oder Ganztagsschule, 30 Euro Zuschuss pro Schuljahr für eintägige Klassenfahrten oder Wandertage und zehn Euro pro Monat für die Mitgliedschaft in Sport- oder Musikvereinen. Wie schon vor Verabschiedung des Bildungspakets gibt es 100 Euro pro Schuljahr für Bücher, Hefte und Arbeitsmaterialien.

Kompliziertes und aufwendiges Abrechnungsverfahren

Doch vielen Sozialverbänden und Praktikern ist das alles noch viel zu bürokratisch. Deutlich wird dies am Beispiel Nachhilfe, deren Notwendigkeit zunächst die Schule bescheinigen muss. "Die Unbestimmtheit von Rechtsbegriffen" lasse unterschiedliche Auslegungen bei der Bewilligung der Finanzierung zu, hieß es kritisch bei einem Treffen der Kultusminister mit den Spitzenverbänden der Kommunen Mitte März in Berlin. Auch wüssten Kommunen häufig nicht, welche Anbieter überhaupt geeignet seien. Zudem gebe es Anzeichen, dass private Nachhilfeunternehmen hier einen neuen Markt witterten und bedürftige Eltern mit nur schwer haltbaren Versprechungen umwerben. Und das wollen die Kultusminister wie die Kommunen nicht.

[listbox:title=Mehr im Netz[Fragen und Antworten zum Bildungspaket auf der Website des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales##Deutscher Städte- und Gemeindebund##Deutscher Städtetag##Urteil des Bundesverfassungsgerichts]]

Auch bei der Schulsozialarbeit hakt es noch. Einige Kommunen wie Dortmund und Bremen haben mit dem Geld des Bundes zusätzliche Kräfte eingestellt. Andere wiederum würden ihre bisher eigenen Aufwendungen nur umfinanzieren, weil diese speziellen Bundeshilfen ohnehin nur bis 2014 befristet sind, klagen Gewerkschaften wie Sozialverbände. Auch insgesamt sei das ganze Abrechnungsverfahren noch viel zu kompliziert und aufwendig: So sind für 2012 für die tatsächlichen Bildungshilfen 730 Millionen Euro veranschlagt. Hinzu kommen aber 135 Millionen Euro nur für den reinen Verwaltungsaufwand.

Unions-Politiker sprechen "von einer Holschuld"

Nach wie vor ist in keiner anderen vergleichbaren Industrienation der Bildungserfolg so abhängig von der sozialen Herkunft der Schüler wie in Deutschland. Bildungsforscher warnen seit langen vor Hartz-IV-Familienkarrieren über Generationen hinweg und fordern von den Kultusministern mehr Engagement für die "Kellerkinder" des deutschen Bildungssystems. Es gelte, den gefährlichen Kreislauf zu durchbrechen: Die Armut der Eltern - häufig Langzeitarbeitslose mit schlechter Ausbildung - soll nicht länger zur Bildungsarmut der Kinder führen, zu schlechteren Ausbildungschancen und damit zu fehlenden Berufsperspektiven.

Auslöser des nun vor einem Jahr von Bund und Ländern mühsam auf den Weg gebrachten Bildungspaketes war das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von Februar 2010. Das höchste deutsche Gericht sprach darin den Kindern von Hartz-IV-Empfängern ein Teilhaberecht an Bildung zu. Denn ohne Teilhabe an Bildung bestehe für diese Kinder die Gefahr, dass sie in ihren "Möglichkeiten eingeschränkt werden, später ihren Lebensunterhalt nach eigenen Kräften bestreiten zu können", mahnten die Richter.

Verantwortlich für die Erfüllung dieses Teilhaberechtes machte das Gericht den Bund - obwohl nach der Verfassung eigentlich die Länder für die Gestaltung des Bildungswesens zuständig sind. Zusätzliche Organisationskonflikte waren programmiert. Bildungspolitiker der Unionsfraktion mahnen heute Eltern, die angebotenen Leistungen für ihre Kinder auch in Anspruch zu nehmen - und sprechen "von einer Holschuld". Kritiker fordern hingegen, das Geld sinnvoller gleich in den Ausbau von Ganztagsschulen und Schulsozialarbeit zu stecken. Damit würden dann alle Kinder erreicht: ohne Anträge, ohne Bürokratie. 

dpa