Wo ist "Wehrmachtssoldat P."? DRK hilft bei der Suche
Fast 70 Jahre nach Kriegsende machen sich noch Menschen auf die Suche nach ihren vermissten Angehörigen. Ihre Hoffnung setzen sie auf den Suchdienst München des Deutschen Roten Kreuzes.
29.03.2012
Von Johannes Roller

Laila hat ihren Großvater nie kennengelernt. Im besetzten Dänemark hatte sich ihre Großmutter in den Wehrmachtssoldaten Rudolf P. verliebt. 1942 wurde die gemeinsame Tochter Christa geboren, Lailas Mutter. Dann verließ der Vater das Land, heiratete, und Christa kam in eine Adoptivfamilie. Die Enkelin will der Ungewissheit nun ein Ende setzen - mit einem Suchantrag: Hat P. das Kriegsende überlebt, wie lautet seine letzte Anschrift und, vor allem, hatte er weitere Kinder?

"Der Wunsch, Halbgeschwister kennenzulernen, ist groß", sagt Elisabeth Fischer. Die Mittfünfzigerin ist eine von 30 Sachbearbeiterinnen beim Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes in der Münchner Chiemgaustraße. Seit 1993 arbeitet sie hier. Zu dieser Zeit begannen sich die sowjetischen Archive zu öffnen und bescherten dem Suchdienst eine Flut wertvoller Informationen.

Nun sitzt sie in ihrem Büro, vor sich zwei Flachbildschirme: Links ist eine Liste mit den aktuellen Fällen geöffnet, rechts eine digitale Karteikarte. 150 gelb hinterlegte Ordner sind es, jeweils akkurat benannt nach Familien-, Vorname und Geburtsdatum. 150 Suchen nach Gewissheit - und täglich kommen neue hinzu.

"Der Mann hat den Krieg überlebt" - so viel steht fest

Noch gibt es sie, die Menschen, die sich auf die Suche nach Angehörigen aus der Kriegszeit begeben. "Jetzt möchte ich es noch mal wissen, bevor ich sterbe" - so denken viele nach Jahrzehnten der Ungewissheit, wie Standortleiter Heinrich Rehberg berichtet. Inzwischen kämen die meisten Suchanträge aber von jüngeren Leuten, die sich für ihre Vorfahren interessierten oder ein Versprechen gegenüber der toten Großmutter einzulösen hätten.

Plakat des DRK-Suchdienstes. Foto: epd-bild/DRK

Persönlich erscheinen nur wenige Angehörige in dem modernen Bürokomplex, den der Suchdienst 1996 bezogen hat. Meist beginnen sie ihre Suche im Internet. So wie Laila. Ihr Suchantrag über das Online-Formular des DRK ging zunächst an die Vorprüfstelle. Dort wird jeder Antrag mit den Unterlagen der Zentralen Namenskartei abgeglichen, dem riesigen, alphaphonetisch geordneten Archiv des Suchdienstes.

Die 1950 in München zusammengeführte Namenskartei umfasst 50 Millionen Karteikarten mit Angaben zu 20 Millionen Suchfällen. Ihren Anfang nahm sie mit den großen Erfassungen vermisster Soldaten und Zivilpersonen in den Jahren 1947 und 1950. Fischer findet für P. ein gescanntes Dokument in der Namenskartei: die Kopie eines Vertriebenenausweises der Bundesrepublik Deutschland, ausgestellt Mitte der 1950er Jahre. "Der Mann hat den Krieg überlebt", so viel weiß Fischer jetzt.

Suche nach der Adresse oder nach dem Sterbeort

Auf P.s Vertriebenenausweis sind Name, Vorname und Geburtsdatum vermerkt, außerdem die Anschrift bei Kriegsbeginn 1939 und seine Adresse Mitte der 50er Jahre. Als Zeitpunkt der Flucht ist der 9. März 1945 genannt. Auch über seinen Familienstand hat P. Auskunft gegeben: Ein dicker Strich prangt unter "verheiratet". Wird Laila schon bald am Grab ihres, wie sie schreibt, "biologischen Großvaters" stehen oder Halbgeschwister ihrer Mutter in die Arme schließen können?

Schnell zeigt sich, dass es bis dahin noch ein langer Weg ist. "Wenn man weiß, dass jemand überlebt hat, dann hat die Suche nach der Adresse beziehungsweise dem Sterbeort Priorität", sagt Fischer. Erste Anlaufstelle sind in diesem Fall Einwohnermelde- oder Standesämter, hinzu kommen der Kirchliche Suchdienst oder die Deutsche Dienststelle in Berlin. "Ich habe natürlich nicht unbegrenzt Suchmöglichkeiten", sagt die Münchnerin, während sie ein Schreiben aufsetzt. Da der Suchdienst im Auftrag des Bundesministeriums des Inneren handelt, sind Behördenauskünfte jedoch kostenlos.

"Im Fachjargon ein Wiedersehensfall"

Bald darauf schickt das Einwohnermeldeamt eine Kopie der Meldekarte von Rudolf P. Darauf stehen einige Adressen - doch ausgerechnet die letzte ist bis zur Unkenntlichkeit verblasst. Eines verrät die Karte aber: Rudolf P. hatte ein weiteres Kind, einen Sohn, geboren im Jahr 1951.

Fischer sucht jetzt nicht nur den Vater, sondern auch den Sohn. Sollte sie seine Adresse ausfindig machen, muss sie ihn fragen, ob er mit der Weitergabe seiner Kontaktdaten einverstanden ist. Erst dann kann sie Laila Gewissheit verschaffen. So wird jede Suche ein Fall von Wochen, wenn nicht Monaten. "Wenn man zwei Menschen zusammengebracht hat, ist es bei uns im Fachjargon ein Wiedersehensfall - oder auch ein Sterbefall", sagt Fischer.

Bevor ihr Arbeitstag zu Ende geht, bereitet sie ein Schreiben an das Berliner Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vor. In dessen Zuständigkeitsbereich soll sich Familie P. zuletzt aufgehalten haben. Ganz gleich, wie die Antwort ausfallen wird - Laila ist der Gewissheit einen großen Schritt näher gekommen. Auch wenn sie noch nichts davon weiß. 

epd