Offenbar ohne Abstimmung mit dem federführenden Bundesjustizministerium hatte sich Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich zur Umsetzung der europäischen Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung geäußert – und damit wohl die Entwicklung in seinem Sinne vorangetrieben. In seinem von netzpolitik.org veröffentlichten Brief an Innenkommissarin Cecilia Malmström beklagt Friedrich, dass das Aussetzen der Regelung zu "erheblichen Einschränkungen bei der Verfolgung oder Verhütung von Straftaten" geführt habe.
Deutschland könnte eine Geldstrafe drohen
Dabei führt Friedrich eine Erhebung des Bundeskriminalamts an, wonach rund 85 Prozent aller Anfragen nach Verkehrsdaten nicht beantwortet werden können. Nach Auffassung der Behörde habe dies in 80 Prozent der Fälle dazu geführt, dass eine Straftat nicht oder nicht vollständig aufgeklärt werden konnte. Hierzu führt Friedrich 50 beispielhafte Fälle an. Interessant ist, dass er die eben vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg vorgestellte Studie mit keinem Wort erwähnt. Diese zeigte auf Basis einer statistischen Auswertung der Aufklärungsquote keinen messbaren Einfluss insbesondere im Bereich der Computer- und Internetkriminalität. Es war also keine nachweisbare "Schutzlücke" entstanden.
Knapp einen Monat hat Deutschland Zeit, einen Entwurf für die Umsetzung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung samt Fahrplan für seine Umsetzung vorzulegen. Falls der Entwurf jedoch den Vorstellungen Brüssels nicht entspricht, ist eine Klage nach Auffassung der Kommission unvermeidlich – samt einer saftigen Geldstrafe. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2010 Teile der deutschen Umsetzung für verfassungswidrig erklärt.
Die vier Wochen werden als Schonfrist bewertet
Zurzeit ist es unwahrscheinlich, dass die deutsche Bundesjustizministerium Sabine Leutheusser-Schnarrenberger einen für die Kommission akzeptablen Vorschlag vorlegen wird. Sie will nämlich, dass nur Daten von den Personen gespeichert werden dürfen gegen die bereits ermittelt wird. Außerdem soll die Polizei nur auf die Daten zugreifen dürfen, die nach Aufnahme der Ermittlungen angefallen sind. Das entspricht jedoch nicht den Vorgaben der Richtlinie. Diese verlangt nämlich, dass die Daten aller Telefon- und Internetnutzer mindestens sechs Monate lang aufbewahrt werden. Die jetzt eingeräumte Schonfrist von vier Wochen für Deutschland wird von Beobachtern als Zeichen gewertet, dass die Kommission doch noch auf ein Umdenken in Berlin setzt.
Deutschland könnte eine Vorreiterrolle einnehmen
Nach Angaben von Paul Nemitz, dem Direktor der Generaldirektion für Justiz der Europäischen Kommission, während einer Anhörung des Unterausschusses Neue Medien im Bundestag hat die Kommission geprüft, ob die Richtlinie in Deutschland verfassungskonform umgesetzt werden kann. Nemitz sieht Deutschland hierbei durchaus in einer Vorreiterrolle für die europaweite Akzeptanz der Richtlinie. Er sagte in der Anhörung: "In der Sache könnte eine Umsetzung in Deutschland, die dem hohen Schutzstandard des Grundgesetztes auch entspricht, durchaus wegweisend für die weiteren Arbeiten der Kommission sein. Aber das muss man dann auch machen." Gleichwohl sei das Vertragsverletzungsverfahren eine reine Routineangelegenheit: "Die Zeit ist abgelaufen und ihr werdet behandelt wie alle anderen auch."
Für den grünen Bundestagsabgeordneten Konstantin Notz betreibt die Kommission mit der jetzt in Gang gebrachten Klage eine "Symbolpolitik mit der Brechstange". Die Kommission habe bislang keinen Nachweis erbracht, dass die Vorratsdatenspeicherung tatsächlich notwendig oder nützlich sei. Auch sei immer noch unklar, ob sie sich überhaupt mit den EU-Grundrechten vereinbaren lasse. Der Vorstoß sei daher offenbar der Versuch, Deutschland zu einer Umsetzung zu bewegen, "um damit auf europäischer Ebene mit Hinweis auf das hohe deutsche Datenschutzniveau und die Vereinbarkeit der Richtlinie mit deutschem Verfassungsrecht auch andere Länder zur Umsetzung der Richtlinie bewegen zu können".
Christiane Schulzki-Haddouti lebt als freie Journalistin in Bonn.