Gerangel und Gezerre um Vorratsdatenspeicherung
Deutschland muss die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung nach dem Willen der Europäischen Kommission sofort umsetzen. Die Kommission sieht darin reine Routine und hofft nun auf eine europaweit wegweisende Umsetzung. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hatte zuvor "erhebliche Einschränkungen" in der Strafverfolgung beklagt.
28.03.2012
Von Christiane Schulzki-Haddouti

Offenbar ohne Abstimmung mit dem federführenden Bundesjustizministerium hatte sich Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich zur Umsetzung der europäischen Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung geäußert – und damit wohl die Entwicklung in seinem Sinne vorangetrieben. In seinem von netzpolitik.org veröffentlichten Brief an Innenkommissarin Cecilia Malmström beklagt Friedrich, dass das Aussetzen der Regelung zu "erheblichen Einschränkungen bei der Verfolgung oder Verhütung von Straftaten" geführt habe.

Deutschland könnte eine Geldstrafe drohen

Dabei führt Friedrich eine Erhebung des Bundeskriminalamts an, wonach rund 85 Prozent aller Anfragen nach Verkehrsdaten nicht beantwortet werden können. Nach Auffassung der Behörde habe dies in 80 Prozent der Fälle dazu geführt, dass eine Straftat nicht oder nicht vollständig aufgeklärt werden konnte. Hierzu führt Friedrich 50 beispielhafte Fälle an. Interessant ist, dass er die eben vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg vorgestellte Studie mit keinem Wort erwähnt. Diese zeigte auf Basis einer statistischen Auswertung der Aufklärungsquote keinen messbaren Einfluss insbesondere im Bereich der Computer- und Internetkriminalität. Es war also keine nachweisbare "Schutzlücke" entstanden.

Knapp einen Monat hat Deutschland Zeit, einen Entwurf für die Umsetzung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung samt Fahrplan für seine Umsetzung vorzulegen. Falls der Entwurf jedoch den Vorstellungen Brüssels nicht entspricht, ist eine Klage nach Auffassung der Kommission unvermeidlich – samt einer saftigen Geldstrafe. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2010 Teile der deutschen Umsetzung für verfassungswidrig erklärt.

Die vier Wochen werden als Schonfrist bewertet

Zurzeit ist es unwahrscheinlich, dass die deutsche Bundesjustizministerium Sabine Leutheusser-Schnarrenberger einen für die Kommission akzeptablen Vorschlag vorlegen wird. Sie will nämlich, dass nur Daten von den Personen gespeichert werden dürfen gegen die bereits ermittelt wird. Außerdem soll die Polizei nur auf die Daten zugreifen dürfen, die nach Aufnahme der Ermittlungen angefallen sind. Das entspricht jedoch nicht den Vorgaben der Richtlinie. Diese verlangt nämlich, dass die Daten aller Telefon- und Internetnutzer mindestens sechs Monate lang aufbewahrt werden. Die jetzt eingeräumte Schonfrist von vier Wochen für Deutschland wird von Beobachtern als Zeichen gewertet, dass die Kommission doch noch auf ein Umdenken in Berlin setzt.

Gleichwohl steht die Richtlinie aus dem Jahr 2006 kurz vor einer Revision. Kommissarin Cecilia Malmström will noch im Sommer einen Entwurf vorlegen, der die informationelle Selbstbestimmung der Bürger stärker soll. Außerdem soll genauer definiert werden, was als "schweres" Verbrechen und damit als Voraussetzung für den Datenzugriff gelten soll. Außerdem soll die Mindestspeicherdauer von sechs Monaten verkürzt werden. Ob der Entwurf von einer umfassenden Speicherpflicht abrückt, ist zurzeit jedoch ungewiss.
 

Deutschland könnte eine Vorreiterrolle einnehmen

 
Die Kommission besteht gleichwohl weiterhin auf einer zügigen Umsetzung in den Mitgliedstaaten, da es Jahre dauern könne, bis die revidierte Fassung verabschiedet werden kann. In dieser Zeit könnten die Sicherheitsbehörden aber im Falle einer Nichtumsetzung nicht auf die Verbindungsdaten zurückgreifen. Sie will eine Klärung seitens des Europäischen Gerichtshofs nicht abwarten, inwieweit die aktuelle Richtlinie überhaupt gesetzeskonform ist. Irland hatte hierzu im Januar den Europäischen Gerichtshof angerufen. Außerdem erklärten mehrere Verfassungsgerichte von Mitgliedstaaten, dass die Umsetzung nicht den jeweiligen nationalen Verfassungen nicht vereinbar ist.

Nach Angaben von Paul Nemitz, dem Direktor der Generaldirektion für Justiz der Europäischen Kommission, während einer Anhörung des Unterausschusses Neue Medien im Bundestag hat die Kommission geprüft, ob die Richtlinie in Deutschland verfassungskonform umgesetzt werden kann. Nemitz sieht Deutschland hierbei durchaus in einer Vorreiterrolle für die europaweite Akzeptanz der Richtlinie. Er sagte in der Anhörung: "In der Sache könnte eine Umsetzung in Deutschland, die dem hohen Schutzstandard des Grundgesetztes auch entspricht, durchaus wegweisend für die weiteren Arbeiten der Kommission sein. Aber das muss man dann auch machen." Gleichwohl sei das Vertragsverletzungsverfahren eine reine Routineangelegenheit: "Die Zeit ist abgelaufen und ihr werdet behandelt wie alle anderen auch."

Für den grünen Bundestagsabgeordneten Konstantin Notz betreibt die Kommission mit der jetzt in Gang gebrachten Klage eine "Symbolpolitik mit der Brechstange". Die Kommission habe bislang keinen Nachweis erbracht, dass die Vorratsdatenspeicherung tatsächlich notwendig oder nützlich sei. Auch sei immer noch unklar, ob sie sich überhaupt mit den EU-Grundrechten vereinbaren lasse. Der Vorstoß sei daher offenbar der Versuch, Deutschland zu einer Umsetzung zu bewegen, "um damit auf europäischer Ebene mit Hinweis auf das hohe deutsche Datenschutzniveau und die Vereinbarkeit der Richtlinie mit deutschem Verfassungsrecht auch andere Länder zur Umsetzung der Richtlinie bewegen zu können".


Christiane Schulzki-Haddouti lebt als freie Journalistin in Bonn.