"Den Karfreitag kann man nicht mit einem Plakat erklären"
Karfreitag 2011: Ein "stiller" Flashmob in Frankfurt, junge Leute gehen öffentlich tanzen - aber ganz leise. Die Tanzenden tragen Kopfhörer. Sie protestieren gegen das Feiertagsgesetz, das öffentliche Tanzveranstaltungen am Karfreitag verbietet. Was darf man am Todestag Jesu tun und was nicht - und vor allem: warum nicht? Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) will mit einer Plakatkampagne eine Diskussion über die Bedeutung des stillen Feiertags anregen.
26.03.2012
Von Anne Kampf

Eine Hand, gen Himmel gestreckt, Zeigefinger und Ringfinger zum Sieges-V geformt. Im Handteller ein Wundmal, aus dem Blut fließt. Über der Hand der Schriftzug "Opfer?" Das Plakatmotiv des Darmstädter Video- und Fotokünstlers Ralf Kopp erklärt sich nicht von selbst. Soll es auch nicht. Die Betrachter, die dieses Motiv bis Karfreitag an rund 200 Kirchen und Litfaßsäulen in Hessen sehen werden, müssen selbst nachdenken.

Der Künstler Ralf Kopp neben seinem Plakat, mit dem er einen Wettbewerb der EKHN gewonnen hat.

Ist es eine Hand von Jesus? Warum zeigt sie ein Victory-"V"? Test-Betrachter haben mit dem Motiv schon die arabische Revolution in Verbindung gebracht und das Wundmal als Einschussloch angesehen. Um die Kreuzigung Jesu in dem Motiv zu erkennen, braucht man zweifellos ein wenig Vorwissen. Das Plakat soll irritieren und Fragen aufwerfen: Wieso Opfer? Wer ist das Opfer? Ich? Jemand anders? Oder doch Jesus selbst?  

Ralf Kopp hat ein Fragezeichen hinter den Begriff "Opfer" geschrieben - er hat damit so seine Schwierigkeiten. Wenn Jesus das Opfer ist, wer ist der Täter? Historisch gesehen: Die Römer. In der Kirche, die Ralf Kopp in seiner Kindheit besuchte, hing ein Kruzifix, bei dessen Betrachtung er sich "schuldig" fühlte, so erinnert er sich heute.

Der Künstler, Jahrgang 1973, ist aus der Kirche ausgetreten. Doch das hindert ihn nicht daran, christliche Motive in seinen Arbeiten aufzunehmen und über theologische Fragen zu diskutieren - nun also mit vielen anderen Christen und Nichtchristen über sein "Opfer"-Plakatmotiv, das bis Ostern in Frankfurt, Darmstadt, Wiesbaden, Mainz und Gießen aushängen wird.

Sühneopfer? Stellvertretung? Loskauf?

Jesus - ein Opfer? Der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Volker Jung, verweigert eine allgemeingültige Erklärung, wie das Karfreitagsgeschehen zu deuten sei. Jesus wurde durch Kreuzigung hingerichtet, und seine Anhänger bezeugten drei Tage später, er sei auferstanden. Mehr weiß man nicht, alles weitere ist Auslegung: "Schon im Neuen Testament finden Sie unterschiedliche Zugänge", erläutert Volker Jung. "Schon da beginnt christliche Theologie." In Auseinandersetzung mit alttestamentlichen Motiven entwickelten Theologen verschiedene bildhafte Deutungen für Christi Tod: War es ein Sühnopfer, ein Loskauf, ein stellvertretender Tod? Ein Akt der Versöhnung, ein "fröhlicher Wechsel" zwischen Jesus und dem Menschen, wie Luther formulierte? 

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Einen Deutungsversuch, der im 11. Jahrhundert formuliert wurde, schließt der hessen-nassauische Kirchenpräsident für die Plakat-Aktion definitiv aus: Die so genannte "Satisfaktionstheorie" des Anselm von Canterbury. Demnach ist die Schuld der Menschen so groß, dass Gott in seiner Ehre verletzt wird. Dafür muss Genugtuung geleistet werden - durch eine Satisfaktionsleistung, die nur der Gottmensch Jesus erbringen kann. Ein solches "Opfer" meint die EKHN mit ihrer Aktion nicht, "das ist unbiblisch und führt auf Abwege", sagt Volker Jung.

Pröpstin Gabriele Scherle und Kirchenpräsident Volker Jung bei der Vorstellung der Plakat-Aktion: Sie stellen die Perspektive der "Opfer" in den Mittelpunkt.

Die Initiatoren der Karfreitags-Kampagne wollen mit dem Begriff "Opfer" einen ganz anderen Blickwinkel eröffnen - den Blickwinkel der Opfer dieser Welt, die unter Gewalt und Unfreiheit leiden, denen auf Schulhöfen "du Opfer" nachgerufen wird, die gemobbt werden. Dem Pressesprecher der EKHN, Stephan Krebs, ging ein Licht auf, als er Semiya Simsek sprechen hörte, die Tochter eines Mannes, der von der Zwickauer Terrorzelle ermordet wurde: "Elf Jahre lang durften wir nicht einmal reinen Gewissens Opfer sein", sagte die junge Frau bei der Trauerfeier. Um sie geht es: Um die realen Opfer in unserer Gesellschaft. "Gott entzieht sich nicht der Wirklichkeit, dass es Opfer gibt", so formuliert Pfarrerin Gabriele Scherle, Pröpstin für die Propstei Rhein-Main.

"Die Wurzel der abendländischen Kultur des Erbarmens"

Und dann versucht es Volker Jung doch mit einer Karfreitags-Deutung. Es sei ein Gedenktag, ein Trauertag und ein Tag der Hoffnung. "Gott selbst hat sich im Leiden mit dem Tod verbunden. Gott selbst ist Opfer geworden", erklärt der Kirchenpräsident. Allerdings sähen Christen das Karfreitagsgeschehen immer in Verbindung mit der Auferstehung - und die steht für Überwindung von Leid, Gewalt und Tod. Selbst Nichtchristen, so meint Volker Jung, könnten mit dem stillen Feiertag etwas anfangen: nämlich darüber nachdenken, "wo Menschen einander zu Opfern machen und unschuldiges Leid verursachen." Gabriele Scherle meint sogar, der Karfreitag sei "die Wurzel der abendländischen Kultur des Erbarmens".

Das Plakat von Ralf Kopp wirkt irritierend und gibt viel Raum zur eigenen Interpretation.

So geht es der EKHN - gesellschaftlich betrachtet - um nicht weniger als den Erhalt eines Kulturgutes. "Der Tag ist wichtig", so hat die Kirche ihre Kampagne überschrieben. Kirchenpräsident Volker Jung ist überzeugt: "Wer diesen Tag inhaltlich entkernen will, wird ihn nicht als freien Tag gewinnen, sondern als Feiertag verlieren."

Das Nachdenken gehört dazu, das Diskutieren ebenso. Auf der Facebook-Seite der EKHN gibt es ein moderiertes Forum. In der Karwoche wird außerdem eine kostenlose Info-Hotline zur Karfreitags-Kampagne geschaltet, die Nummer lautet 0800 589 0340.

Zurück zum Tanzverbot. Dass an Karfreitag (dieses Jahr am 6. April) nicht öffentlich getanzt werden soll, findet Volker Jung "völlig angemessen" - auch die Linie der Behörden, auf Beschwerden zu reagieren. Darüber hinaus hat Jung die hessische Regelung genau studiert: Jeden Sonntag gelte von vier bis zwölf Uhr ein Tanzverbot. Das müsse nicht sein, meint Jung. Für die Planung der Osterfeiertage bedeutet das Gesetz nämlich nach seiner Analyse: "Sie dürfen an Ostersonntag von null bis vier Uhr tanzen." 


Anne Kampf ist Redakteurin bei evangelisch.de.