Ehemalige DDR-Heimkinder sollen die gleichen Hilfen erhalten wie frühere Heimkinder aus der Bundesrepublik. Gleich sechs ostdeutsche Länderminister waren am Montag in Berlin erschienen, um den 40-Millionen-Euro-Fonds für Hilfen und Rentennachzahlungen vorzustellen, den der Bund und die neuen Länder je zur Hälfte finanzieren. Bund und Länder präsentierten außerdem den Bericht zur Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR.
Er ist von einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe erstellt worden und um Schilderungen und Forderungen von Heimkinder-Vertretern ergänzt worden. Roland Militz, der als Kind und Jugendlicher acht Jahre in DDR-Heimen eingesperrt war, sagte: "Wir sind stolz, dass wir das erste Mal angehört werden und froh, dass wir sagen können: Wir haben mitgeholfen bei der Wahrheitsfindung." Nun komme es darauf an, dass den früheren Heimkindern geglaubt und geholfen werde, so Militz.
Opfer können ab Juli Antrag stellen
Von Juli an, in einigen Länden später, sollen die Opfer ihre Anträge stellen können. In der Regel werden die Anlaufstellen bei den Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen angesiedelt. Betroffene, die inzwischen woanders wohnen, sollen sich an das Bundesland wenden, auf dessen Territorium sich ihr früheres Heim befand.
[listbox:title=Weitere Infos[Website "Fonds Heimerziehung"##Website des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend##Das Kostenlose Infotelefon für Betroffene ist erreichbar unter 0800 100 49 00.]]
Der Bericht über die DDR-Heimerziehung ist ein erster Schritt zur Aufarbeitung der Schicksale Hunderttausender Kinder und Jugendlicher, die zwischen 1949 und 1990 in Spezialheimen und Jugendwerkhöfen leben mussten. Der Bericht geht über den gesamten Zeitraum von 300.000 bis 400.000 Heimkindern aus. Wie viele sich als Opfer brutaler Erziehungsmethoden melden werden, wisse man nicht, sagte die thüringische Sozialministerin Heike Taubert (SPD).
Dem Bericht zufolge glichen die Zustände in DDR-Heimen "erschreckend" denen in der frühen Bundesrepublik, "auch wenn hier andere gesellschaftliche und moralische Vorstellungen zugrunde lagen". Kinder und Jugendliche seien unter dem Vorwand der Umerziehung zu einer sozialistischen Persönlichkeit emotionaler Kälte, harter Arbeit, der Prügelstrafe, Einzelhaft, Essens- und Trinkverbot sowie schweren Demütigungen und sexuellen Übergriffen ausgesetzt gewesen. Die Schul- und Ausbildung sei so unzureichend gewesen, dass die Opfer im späteren Leben häufig nur schlecht bezahlte Arbeit gefunden hätten.
Prägend: "Die an den Strafvollzug erinnernde Unterbringung"
Wie in der Bundesrepublik sei "die an den Strafvollzug erinnernde Unterbringung" ein prägendes Element der Heimerziehung in der DDR gewesen. Die Heimkinder-Vertreter fordern daher, dass das Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitation so geändert wird, dass es auch auf ihre Fälle zutrifft. Die Länderminister wollen das prüfen. Zu Recht fühlten sich viele Heimkinder genauso behandelt wie politisch Verfolgte.
Der Jugendwerkhof der DDR im sächsischen Torgau, heute Gedenkstätte und Museum. Foto: epd-bild/DIZ Torgau
Den Kindern und Jugendlichen sei "Unrecht zugefügt" worden, sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfamilienministerium, Hermann Kues (CDU). Der Fonds helfe, die Folgen zu mildern: "Es ist aber keine Entschädigung." Ansprüche können, wie beim Fonds für die West-Heimkinder, bis 2016 angemeldet werden.
Der Bericht über die DDR-Heimerziehung kommt nicht zu der Bewertung, "dass es sich bei der Heimerziehung in der DDR insgesamt um ein Unrechtssystem gehandelt haben könnte". Gegen die zahlreichen Rechtsverstöße, die auch nach DDR-Recht hätten geahndet werden müssen, habe es jedoch "keine wirksamen Rechtsmittel oder andere Kontrollmöglichkeiten" gegeben. Die Kinder und Jugendlichen waren dem System vollständig ausgeliefert.
Ostdeutsche Länder bitten um Verzeihung
Das große Aufgebot in Berlin konnte - und sollte wohl auch - nicht kaschieren, dass die DDR-Heimkinder sehr spät ins Blickfeld der Politik kommen. Der Beauftragte für die neuen Länder, Innen-Staatssekretär, Christoph Bergner, bedauerte, dass dies mehr als 20 Jahre gedauert habe.
Mecklenburgs Sozialministerin Manuela Schwesig (SPD) sagte, die ostdeutschen Länder übernähmen die Verantwortung für die menschenrechtswidrige Praxis der DDR-Heimerziehung und bat die Betroffenen um Verzeihung. Den Anfang zur Aufarbeitung hatte Thüringen gemacht, das als erstes Land eine Anlaufstelle eingerichtet hatte, in der sich inzwischen mehr als 500 frühere Heimkinder gemeldet haben.
In den westlichen Bundesländern können frühere Heimkinder seit Beginn dieses Jahres Anträge auf Hilfen und Rentennachzahlungen stellen. Ihnen steht ein 120-Millionen-Euro-Fonds zur Verfügung, der jeweils zu einem Drittel von Bund, Ländern und den Kirchen finanziert wird. In der Bundesrepublik waren die meisten Heime in kirchlicher Trägerschaft.