Israels Regierung will unbedingt verhindern, dass der Iran eine Atombombe produziert: Sie signalisiert, im Notfall werde sie Atomanlagen bombardieren, bevor das Programm zu weit gediehen sei. US-Präsident Barack Obama will zwar den Sanktionen und der Diplomatie noch eine Chance geben. Aber auch er hat erklärt, man müsse mit allen Mitteln verhindern, dass der Iran Kernwaffen erlangt.
Eine iranische Atombombe würde die Bemühungen um Frieden in der Region und um globale Rüstungskontrolle weiter erschweren. Die Ansicht aber, die Folgeprobleme rechtfertigten einen Präventivkrieg, beruht auf fragwürdigen Annahmen über Atomwaffen und einer einseitigen Sicht der Sicherheitsprobleme im Nahen Osten. Die Bedrohung, die eine iranische Atombombe für Israel darstellt, wird oft übertrieben. Sicher: Teheran erkennt Israel nicht an, stößt Drohungen gegen das "zionistische Gebilde" aus und unterstützt die Hisbollah-Miliz im Libanon und die Hamas im Gaza-Streifen in ihrem Abnutzungskrieg mit Israel. Aber Atombomben werden die Gefahr für Israel kaum vergrößern. Denn sie einzusetzen wäre Selbstmord: Ein Gegenschlag aus Israel, das selbst Atombomben besitzt, oder aus den USA wäre gewiss.
Die Weitergabe von Massenvernichtungswaffen ist tabu
Befürworter eines Präventivschlags halten die iranische Führung für verrückt genug, sich darum nicht zu kümmern. Tatsächlich sieht es eher so aus, als ob sie ihre machtpolitischen Ziele - so problematisch man die finden mag - sehr überlegt verfolgt. Deshalb ist auch unwahrscheinlich, dass der Iran die Bombe an Terrorgruppen weitergibt. Nicht nur würde das ebenfalls Vergeltung nach sich ziehen. Es würde auch ein Monster schaffen, das sich der Kontrolle des Iran entziehen kann. Vor so etwas scheuen alle Staaten zurück. Nicht zufällig haben Regierungen aus West, Ost und Süd immer wieder Rebellen in gegnerischen Ländern - aus deren Sicht Terroristen - unterstützt, aber nie Massenvernichtungswaffen an sie weitergeben. Selbst für Saddam Hussein und für Pakistans Militärgeheimdienst war das tabu.
Größer ist die Gefahr, dass der Iran einen regionalen Rüstungswettlauf auslöst - Teheran ringt mit Saudi-Arabien um die Vormachtstellung am Golf. Atomwaffen könnte Teheran angesichts des Schutzschirms der USA für die Golfstaaten aber auch hier nicht einsetzen. Diese Waffen sind Machtattribute. Sie würden den Status des Iran aufwerten, aber ihr militärischer Nutzen beschränkt sich im Grunde darauf, Angriffe auf den Iran zu erschweren - nicht zuletzt aus Israel und den USA.
Genau das dürfte die wahre Sorge der Strategen in Tel Aviv und Washington sein. Beide verstehen Sicherheit nämlich so, dass sie einseitig gegen alles vorgehen können, was sie als Bedrohung empfinden. Das erfordert Überlegenheit. Aus der historischen Erfahrung Israels ist das verständlich. Aber es schafft ein Sicherheitsdilemma: Es erhöht die Unsicherheit für andere Staaten wie den Iran. Zu dessen Erfahrung gehört, dass er 1980 bis 1988 unter schweren Verlusten einen vom Westen beförderten Angriffskrieg des Irak überstehen musste, in dem Saddam Hussein Chemiewaffen einsetzte. Der Iran liegt nahe an drei der vier inoffiziellen Kernwaffenstaaten Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea. Er gilt in den USA als Schurkenstaat, und sein Regime muss nach den Kriegen in Afghanistan, Irak und Libyen für denkbar halten, selbst Ziel einer Intervention zu werden - es sei denn, dann drohte ein Atomkrieg.
Die USA müssen Iran Garantien geben
Laut den meisten Fachleuten hat Teheran aber noch nicht beschlossen, die Bombe zu bauen. Vorerst erwirbt es die Fähigkeit dazu und lässt ähnlich wie Israel bewusst im Unklaren, ob es Atomsprengköpfe besitzt. Ein Präventivschlag könnte das Atomprogramm jedoch allenfalls verzögern. Und er kann es auch beschleunigen. Denn er würde Teheran zu einer Entscheidung zwingen - wohl für den Bau der Bombe.
Verhandlungen unter dem Druck von Sanktionen bieten vielleicht noch eine Chance, das zu verhindern. Die würde aber größer, wenn die USA endlich dem Iran als Gegenleistung für die Beendigung seines Waffenprogramms eine Nichtangriffsgarantie anbieten würden. Auch im Nahen Osten kann nur ein Übergang zu Sicherheit durch Kooperation statt durch Überlegenheit das Sicherheitsdilemma auflösen. Die Sicherheit aller Staaten hängt auf Dauer davon ab. Für dieses Fernziel sollte Europa werben - auch bei seinen Freunden.
Bernd Ludermann ist Chefredakteur des Magazins "welt-sichten". Seinen dort erschienenen Leitartikel zu Iran drucken wir hier mit freundlicher Genehmigung ab.