Versicherung unbezahlbar: Hebammen sterben aus
Die Geburtskomplikationen werden weniger, aber die Haftpflichtversicherung für Hebammen steigt in exorbitante Höhen - und gefährdet einen ganzen Berufsstand.

"Da ist ja mein Püffelchen", sagt Hebamme Andrea Hahnen und schaut sich den leichten Ausschlag am Bauch der acht Wochen alten Jette an. Den Kosenamen, der im Öcher Platt für Berliner Pfannkuchen steht, hat die Kleine ihrer kräftigen Statur und ihrem Gewicht von stolzen fünfeinhalb Kilo zu verdanken. Der zufrieden schauende Säugling ist nicht nur der ganze Stolz seiner Mutter Nadine Hentsche (30), auch die Hebamme hat der süße Zwerg ganz in seinen Bann gezogen. "Der Ausschlag ist in dem Alter völlig normal", sagt Andrea Hahnen und empfiehlt eine Creme.

Die Fachleiterin für evangelische Religion hat sich für eine Hebammenbetreuung vor, während und nach der Geburt entschieden. Gerade bei einer Erstgebärenden kommen bei aller Freude auf den Familienzuwachs Fragen auf - von "Was passiert da eigentlich mit mir?" über "Was ist mit dem Geburtsschmerz?" bis hin zu "Wie ziehe ich mein Kind an?". Hier kommt dann die Hebamme als Fachfrau und Vertrauensperson rund um Schwangerschaft und Geburt ins Spiel, die von der Schwangerschaftsgymnastik über die Beratung zur richtigen Geburtslage bis hin zu Ernährungstipps Hilfe leistet.

Nadine Hentsche wünschte sich eine natürliche Geburt, da sie das Beste für Mutter und Kind sei. Als es soweit war, hat Andrea Hahnen die ersten Vorbereitungen zu Hause getroffen und ist dann mit ihr ins katholische Marienhospital gefahren, wo sie als Beleghebamme im Kreissaal die Geburt begleitet hat.

Besonderes Vertrauensverhältnis

"Die Natur hat alles gut eingerichtet", bilanziert Nadine Hentsche. Im Krankenhaus erlebte sie, wie sie selbst kurz nach der Geburt putzmunter war, während Frauen mit Kaiserschnitt unter Wundschmerzen litten. Schon von daher sehen Mutter wie Hebamme die momentane Tendenz zu immer mehr Wunschkaiserschnitten kritisch. "Heute muss eben alles schnell gehen", sagt die junge Mutter.

Gewiss gebe es Situationen, in denen ein Kaiserschnitt medizinisch notwendig und unabdingbar ist, aber das treffe bei den wenigsten Frauen zu. Schließlich sind Schwangerschaft und Geburt keine Krankheiten, sondern etwas ganz Natürliches, das bei allen Einschränkungen für Frau und Mann auch mit Genuss verbunden ist. Dafür ist die Hebamme die erste Ansprechpartnerin, die auch genau um ihre Grenzen weiß - bei Diabetes, Bluthochdruck oder anderen Krankheiten der Mutter ist der Arzt zuständig. Routine gibt es in der Geburtshilfe nicht: "Jede Geburt und jede Gebärende ist anders", sagt Andrea Hahnen, während sie die kleine Jette in eine bunte Tasche legt und an einer Federwaage hochzieht.

Zwischen Hebamme und Wöchnerin entwickelt sich ein besonderes Vertrauensverhältnis, das letztlich auch einen positiven Einfluss auf den Geburtsverlauf hat. Schließlich ist die Hebamme die Erste, die das Kind anfasst. Sie ist Besucherin und Helferin im intimsten Bereich einer Frau. "Ich bin sehr froh, jederzeit Andrea als Ansprechpartnerin zu haben", sagt die junge Mutter.

Das "Kerngeschäft" ist bedroht

Natürliche Geburten sind heute viel sicherer als früher, und Komplikationen werden immer seltener. Zumal Beleghebammen wie Andrea Hahnen im Kreissaal jederzeit die Möglichkeit haben, einen Arzt hinzuzuziehen. Und selbst bei den in Deutschland seltenen Hausgeburten ist die betreuende Hebamme kompetent genug, frühzeitig Komplikationen zu erkennen und den schnellen Transport in die Klinik zu veranlassen. "Komplikationen kündigen sich früh genug an", sagt Andrea Hahnen.

Stellungnahme zur Haftpflichtproblematik (PDF-Dokument) des Hebammen-Verbandes

Dieses bewährte Konzept ist allerdings in Gefahr. Die Haftpflichtversicherung für Hebammen, die Geburten betreuen, ist derart exorbitant gestiegen, dass viele der Geburtshelferinnen ihr "Kerngeschäft" aufgeben müssen. Ein Unglück geschieht selten - falls aber doch einmal, wird es richtig teuer. Eltern und Krankenkassen nehmen ihr gutes Recht wahr und klagen, und Gerichte sprechen geradezu amerikanisch anmutende Schadenersatzsummen zu.

Einem geschädigten Neugeborenen wird ein lebenslanger Verdienstausfall, Erstattung von Therapiekosten, Schmerzensgeld und Diverses mehr zugesprochen. Angesichts dessen waren zuletzt gerade einmal zwei Assekuranzen überhaupt bereit, die Geburtshelferinnen zu versichern. Diejenige, die den Zuschlag des Deutschen Hebammenverbandes bekam, verlangt für die Police stolze 4242 Euro pro Jahr - eine Steigerung um mehr als das 23-fache seit 1992, als es umgerechnet noch 179 Euro waren. 2009 kostete die Versicherung bereits 2370 Euro, im Jahr darauf stieg sie auf 3689 Euro.

Drei Viertel weniger Hebammen

Eine Folge: Bis 2009 ging die Zahl der freiberuflichen Hebammen, die auch Geburtshilfe anbieten, verglichen mit den Neunzigerjahren um drei Viertel zurück. Besonders auf dem Land ist es nicht einfach, eine Hebamme für Geburtshilfe zu finden. Eine Beleggeburt bringt ihr 237,85 Euro für acht Stunden Betreuung vor und drei Stunden nach der Geburt ein, nachts und am Wochenende 285,42 Euro.

So verwundert es nicht, dass am katholischen Marienhospital in Aachen gerade einmal drei freiberufliche Beleghebammen in der Geburtshilfe tätig sind. Im evangelischen Luisenhospital, dem eine Hebammenschule angegliedert ist, sind es zwölf.

Die meisten Freiberuflerinnen beschränken sich auf Vor- und Nachsorge. Dabei tun Hebammen alles, um zu vermeiden, dass es gar nicht zum Äußersten kommt.

"Ein geschädigtes Kind oder eine geschädigte Mutter ist auch für die Hebamme ein tragischer Fall, der häufig mit der psychischen Berufsunfähigkeit der Hebamme verbunden ist", heißt es in einer Stellungnahme des Berufsverbands. "Wichtig ist, dass wir ganz hohen Respekt vor dem eigenen Tun haben", sagt Hebammenschülerin Lisa Verf vom Luisenhospital. Und ihre Schulleiterin Susanne Peters betont: Wenn eine Hebamme ihre Tätigkeit peinlich genau dokumentiert und so beweisen kann, dass sie keinen Fehler gemacht hat, muss sie auch nicht haften.

"Man muss davon leben können"

Die Hebammenschülerinnen im Luisenhospital machen sich Gedanken um ihre Zukunft. Für Alexandra Dohse (29), Johanna Vesper (23) und Lisa Verf (22) ist die abwechslungsreiche freiberufliche Tätigkeit mit der Möglichkeit, Frauen von der Schwangerschaft bis hin zur Stillzeit zu begleiten und zu betreuen, besonders attraktiv. Die Schülerinnen sehen ihren Beruf als Berufung an. Ihnen ist klar, dass sie damit keine Reichtümer anhäufen können, aber: "Man muss davon leben können", fordert Alexandra Drohse.

Dennoch sehen die jungen Frauen auch andere Arbeitsmöglichkeiten für sich, wenn die Freiberuflichkeit finanziell nicht mehr möglich sein sollte. Sie können als angestellte Hebammen im Krankenhaus arbeiten, sich auf Geburtsvorbereitungskurse spezialisieren oder eventuell als Familienhebammen beim Jugendamt unterkommen. Dennoch, und darin sind sich alle einig, wäre es nicht im Sinn der jungen Familien, wenn die Rundumbetreuung durch eine Hebamme künftig überhaupt nicht mehr stattfinden könnte.


Dr. Klaus Schlupp ist Theologe und freier Journalist in Aachen. Er wurde 2001 mit einer kirchengeschichtlichen Arbeit über das Bistum Mainz promoviert.