Samar Yazbek: "Wir haben die Freiheit wiederentdeckt"
Die Schriftstellerin und Journalistin Samar Yazbek engagiert sich seit Jahren aktiv für Bürgerrechte und die Rechte der Frauen in Syrien. Die 1970 in Dschabla geborene Tochter einer angesehenen syrischen Familie hat mehrere Romane veröffentlicht und ist Herausgeberin der Online-Zeitschrift "Woman of Syria". Trotz massiver Einschüchterungen durch den syrischen Geheimdienst berichtete Yazbek von den Aufständen gegen Bashar al-Assad und dem äußerst brutalen Vorgehen des Regimes gegen die Opposition. Als sie erfuhr, dass auch ihr Name auf einer Todesliste stand, floh sie mit ihrer Tochter ins Ausland. Ihr Aufzeichnungen sind soeben auf Deutsch erschienen. Im Interview berichtet sie über ihre Flucht und ihr Leben im Exil.
23.03.2012
Die Fragen stellte Cornelius Wüllenkemper

Nach Ihren Berichten über die Geschehnisse in Syrien und das brutale Vorgehen des Assad-Regimes sind massiv bedroht worden und waren zur Flucht gezwungen. Wie geht es Ihnen im französischen Exil?

Samar Yazbek: Als ich im Juli 2011 aus Syrien geflohen bin, hatte ich angenommen, dass sich mein Zustand im Ausland bessern würde. Allerdings leide ich weiterhin unter der gleichen Schlaflosigkeit und Unruhe. Heute habe ich fast das Gefühl, dass es mir in Syrien besser gehen würde. Jetzt bedrückt mich nicht mehr die Angst um sich selbst, sondern die Angst um die Menschen, die ich in Syrien zurückgelassen habe. Die Tatsache, dass ich jetzt in Sicherheit bin, und in meiner Heimat weiterhin entführt, gefoltert und ermordet wird, bereitet mir ein schlechtes Gewissen.

Die Mehrheit der 14 Millionen Exilsyrer in der ganzen Welt unterstützen die Bevölkerung in der Heimat, materiell aber auch ideell. Welche Rolle spielt die außersyrische Opposition für die Rebellion gegen das Regime von al-Assad?

Yazbek: Die Unterstützung durch die Syrer außerhalb Syriens ist enorm wichtig. Sie sammeln Medikamente und Geld, und helfen nicht nur den Verwundeten, sondern auch vielen Familien, die von einem Tag auf den andern keinen Versorger mehr haben. Und natürlich haben wir auch die Aufgabe, die Syrer moralisch zu unterstützen, ihnen eine Stimme zu geben und den Menschen innerhalb und außerhalb Syriens die Wahrheit zu zeigen.

Gab es einen Schlüsselmoment, in dem Sie beschlossen haben, trotz der massiven Bedrohungen weiter zu berichten, auch unter Todesgefahr?

Yazbek: Ja, den gab es. Eines Tages wurde ich Zeugin davon, wie bei einer Demonstration ein kleiner Junge vor meinen Augen auf offener Straße von den Truppen des Regimes erschossen wurde. Ich war zutiefst schockiert und zugleich überzeugt davon, dass ich das dokumentieren muss, dass die Welt wissen muss, was hier passiert. Dazu kommt, dass das syrische Fernsehen Lügen verbreitet und behauptet, die Ausschreitungen seien von Salafisten und kriminelle Banden provoziert worden. Ich wusste, dass das nicht stimmt. Ich hätte gerne weiter aus Syrien berichtet, aber ich musste fliehen, nicht nur wegen der massiven Drohungen gegen mich, sondern auch, weil ich den Drang hatte, die Wahrheiten über das Land schnellstmöglich nach außen zu tragen und den Lügen des Regimes etwas entgegenzusetzen.

"Die Syrer sind nicht bereit,

den Kampf für Gerechtigkeit

aufzugeben"

 

In Ihrem Bericht beschreiben Sie, wie die Regierung die verschiedenen Religionsgruppen des Landes gegeneinander aufhetzt, um sie anschließend als Verbündete zu gewinnen.

Yazbek: In Städten, in denen sowohl Alawiten als auch Sunniten wohnen, hat das Militär die verschiedenen Viertel zunächst mit Straßenblockaden voneinander abgeschottet. Dann haben Regierungstruppen Anschläge verübt, um diese Taten anschließend der jeweils anderen Religionsgemeinschaft anzulasten. Es werden Gerüchte in die Welt gesetzt, dass die eine Gruppe sich gegen eine andere verschworen habe. Auch die christliche Religionsgemeinschaft wird da mit reingezogen: der letzte große Anschlag in Damaskus hat ein Viertel getroffen, in dem vorwiegend Christen leben. Später hieß es, das seien demonstrierende Salafisten gewesen. Wir wissen mittlerweile, dass dieses Attentat von Regierungstruppen verübt wurde.

Wie ist heute ihr Gefühl gegenüber dem syrischen Volk? Sind Sie stolz auf die Menschen, die es wagen, sich gegen Assad zu erheben, oder befürchten Sie, dass die Angst letztlich siegen und das Volk sich weiter unterdrücken lassen wird?

Yazbek: Ich habe mein Buch in den ersten vier Monaten der Revolution geschrieben. Damals gab es etwa genauso viele Gegner wie Unterstützer des Regimes. Heute fordern etwa 80 Prozent der Bevölkerung Assads Sturz. Ich bin sehr stolz auf mein Volk, ich hätte nicht damit gerechnet, dass auch ganz einfache Leute auf die Straße gehen, um sich gegen die Unterdrücker zu wehren, dass auch ungebildete und arme Menschen alles geben für die Gerechtigkeit. Das bewundere ich.

Hat die Menschlichkeit gegenüber dem Terror gesiegt? Sie berichten darüber, wie der Geheimdienst durch Bespitzelung und Einschüchterung die Gesellschaft, aber auch Familien spaltet.

Yazbek: Wir haben die Freiheit wiederentdeckt! Allerdings muss man sehen, wie viele Menschenleben das bisher gekostet hat, und dass wir auf dem Weg in einen Bürgerkrieg sind. Die Syrer sind dennoch nicht bereit, den Kampf für Gerechtigkeit aufzugeben. Andererseits gibt es Fälle, in denen sich Familienmitglieder gegenseitig verraten, bedroht oder gar getötet haben. Ich selbst bin mit meiner Tochter als Verräterin aus meiner Familie verstoßen und auch bedroht worden. Ich denke, wenn Menschen so handeln, dann nur, weil sie von einer Diktatur dazu gezwungen werden. Bachar al-Assad tut alles, um an der Macht zu bleiben und treibt damit unser Land in den Ruin.

"Die westliche Welt

hat kein

Interesse in Syrien"

 

Wie geht es jetzt weiter, ein Jahr nach dem Ausbruch der Revolution? Was muss als nächstes passieren, damit das Morden ein Ende hat?

Yazbek: Was auch passiert - ich bin ich fest davon überzeugt, dass Syrien nicht in den Zustand vor den Aufständen zurückfallen wird. Allerdings habe ich große Angst, dass es aufgrund der unglaublichen Brutalität des Regimes und angesichts der Desserteure, die die "Freie Syrischen Armee" gegründet haben, zu einem Bürgerkrieg kommt. Je länger Assad an der Macht bleibt, um so wahrscheinlicher wird das. Und dennoch: trotz der Brutalität des Regimes trägt das unbewaffnete Volk bereits den moralischen Sieg davon.

Halten Sie eine Intervention der Internationalen Gemeinschaft für möglich?

Yazbek: Machen wir uns nichts vor: die westliche Welt hat keine Interessen in Syrien, weder strategisch noch was Rohstoffe angeht. Es wird keine Intervention geben. Allerdings ist eine wirtschaftliche und politische Isolation denkbar, und vielleicht eine Flugverbotszone zum Schutz der Bevölkerung und von humanitären Korridoren. Ich bin grundsätzlich gegen Gewalt, weil man Menschenleben nicht gegeneinander aufwiegen kann. Wobei das angesichts der Menschenverachtung dieses Regimes eine äußerst schwierige Frage ist. Zumindest muss der Internationale Gerichtshof in Den Haag sich mit den Gräueltaten von Assad beschäftigen. Das könnte auf kurz oder lang seinen Sturz herbeiführen.


Samar Yazbek ist die Autorin des Buches "Schrei nach Freiheit. Bericht aus dem Inneren der syrischen Revolution", jüngst erschienen im Hanser-Verlag. Sie schildert darin ihre Erfahrungen aus der Anfangszeit der syrischen Revolte gegen die Regierung von Präsident Assad, die bis heute anhält.

 

Cornelius Wüllenkemper ist freier Journalist in Berlin.