"Die Tribute von Panem": Wer nicht perfekt ist, verliert
Schön, schick und todgeweiht: Eine Mischung aus Gladiatorenspielen, "Germany's Next Top Model" und Ego-Shooter - ist das die Zukunft der Familienunterhaltung? Im Film "Die Tribute von Panem - The Hunger Games" kämpfen Jugendliche ums nackte Leben. "Gut genug" kann dabei nur einer sein: Nämlich der, der am Ende übrig bleibt. Die Botschaft dahinter wird im ersten Film dieser Reihe nur ansatzweise in Frage gestellt.
20.03.2012
Von Sabine Horst

Mehr als drei Jahre lang stand der Jugendfantasyroman "Die Tribute von Panem - The Hunger Games" (dt.: Tödliche Spiele) von Suzanne Collins auf der Bestsellerliste der "New York Times". Die gesamte "Panem"-Trilogie verkaufte sich rund 26 Millionen Mal. Das sind nicht die Zahlen, die die "Potter"- oder "Twilight"-Serien erreicht haben. Aber wenn jetzt die Verfilmung des ersten Buches ins Kino kommt, ist klar: Hollywood hat mal wieder einen Sack Geld aufgehoben, der auf der Straße herumlag - "Panem" ist eine Vorlage mit "eingebautem Publikum", wie es in der Branche so schön heißt.

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Die Frage ist nur: Wie alt genau sollen die Zuschauer sein, die den Film gucken? Man kann an "Die Tribute von Panem - The Hunger Games" studieren, wie sich allmählich die Standards verschieben: Das Gewalttabu, das lange die Präsentation von Kindern und Jugendlichen im Mainstream regelte - bitte keinen Dienst an der Waffe und möglichst keine offensiven Massaker an Minderjährigen - ist im Begriff zu fallen.

Im letzten Jahr haben Produktionen wie das Potter-Finish, "Super 8" und "Transformers 3" ihre Helden mit Leuchtspurgeschossen, Kampfrobotern und Güterwaggons bombardiert. Aber sie wirken niedlich im Vergleich mit diesem Film, der aussieht, als hätte man den zivilisationspessimistischen Klassiker "Herr der Fliegen" auf Ego-Shooter umgerüstet.

Steinzeitliches Gemetzel im Kamerawald

Natürlich nehmen Susan Collins, die auch am Drehbuch mitgearbeitet hat, und der Regisseur Gary Ross ("Seabiscuit") für sich in Anspruch, dass sie Kritik üben an dem unsäglichen Mix aus Gewalt und Entertainment, der unsere medial vermittelte Wirklichkeit ist. Und man will ihnen lautere Motive gar nicht absprechen. Fragt sich nur, ob ihre Mittel der Aufgabe gewachsen sind.

Panem ist eine postapokalyptische Version der USA: Ein Staat, in dem eine steinreiche städtische Oberschicht das arbeitende Volk mit einer Mischung aus Gladiatorenspielen und Castingshow in Schach hält. Alljährlich müssen die zwölf Distrikte von Panem als Strafe für eine frühere Revolte je zwei Teenager, einen Jungen und ein Mädchen, zu einem mehrwöchigen Geländekampf abstellen, bei dem es nur einen Überlebenden geben kann.

Die 16-jährige Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) hat sich "freiwillig", an Stelle ihrer kleinen Schwester, gemeldet. In einer länglichen Exposition werden sie und der zweite "Tribut" aus ihrem Distrikt, der Bäckerssohn Peeta, mit den Konkurrenten in die Hauptstadt gebracht, aufgefüttert, gesalbt, trainiert und potenziellen Sponsoren ans Herz gelegt. Dann machen sich die 24 Jugendlichen in einem Gebiet, das manipuliert und von Fernsehkameras umstellt ist, ans steinzeitliche Metzeln: mit Messern, Lanzen, selbst geschnitzten Bogen und allem, was die Umgebung so hergibt.

Stell dir vor es ist Krieg, und keiner guckt zu

Man kann sich vorstellen, dass dieses schon im Roman provozierende Szenario, in dem Loser und Siegertypen, Gangs und Paare immer neue Muster bilden, auf alptraumhafte Weise die Alltagserfahrung von Teenagern in einem hoch konkurrenten, von Ausgrenzung und Leistungsstress geprägten Erziehungs- und Bildungssystem abbildet. Aber weil es kein Draußen mehr gibt, keine Idee von Widerstand - den hat Suzanne Collins für den dritten Band aufgespart -, kann der Film all seine Spannung, seine Schauwerte nur aus dem beziehen, was er nominell verwirft: faschistische Aufmärsche in der Stadt Panem, gemeine Kampfszenen und lange, voyeuristische Nahaufnahmen vom gequälten Gesicht der Darstellerin Jennifer Lawrence.

Am Ende weiß die Inszenierung - und das scheint kein bewusst herbeigeführter Effekt zu sein, sondern schieres Unvermögen - sich selbst nicht mehr vom Blick der Überwachungskameras im Wald abzugrenzen. Es ist, als wolle man Hitler mit Leni Riefenstahl austreiben.

Und es hilft auch nicht, dass die Geschichte suggeriert, man könne das System schlagen, indem man authentisch und ganz bei sich bleibt: Das ist genau die Lüge, die uns die Castingshows täglich aufs Auge drücken - eine Verlierersituation für alle, die nicht der Norm entsprechen, die nicht wie Katniss "von Natur" schön und fit sind. Einmal hat Panem einen lichten Moment: Was denn wäre, fragt da ein Mädchen, wenn einfach keiner mehr zusehen würde? Dann müssten die Spiele doch aufhören.

USA 2012. R: Gary Ross. B: Suzanne Collins, Billy Ray, Gary Ross (nach dem Roman »Die Tribute von Panem - Tödlliche Spiele" von S. Collins). Da: Jennifer Lawrence, Josh Hutcherson, Liam Hemsworth, Woody Harrelson. L: 142 Min. FSK: 12. (epd)ary Ross. B: Suzanne Collins, Billy Ray, Gary Ross (nach dem Roman "Die Tribute von Panem - Tödlliche Spiele« von S. Collins). Da: Jennifer Lawrence, Josh Hutcherson, Liam Hemsworth, Woody Harrelson. L: 142 Min. FSK: 12.

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