Mehr als 1.000 Menschen bei Käßmann-Predigt in Hannover
Mehr als 1.000 Menschen haben am Sonntag in Hannover an einem Gottesdienst mit der früheren Landesbischöfin Margot Käßmann teilgenommen. Die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) war erstmals seit fast zwei Jahren als Predigerin wieder an ihre alte Wirkungsstätte in der Marktkirche zurückgekehrt.
18.03.2012
Von Michael Grau

Drei Sekunden dauert es, dann brandet der erste Applaus auf. Denn vor dem Altar der Marktkirche in Hannover hat sich soeben eine prominente Gastpredigerin vorgestellt: Margot Käßmann, ehemalige Landesbischöfin und frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), ist an ihre alte Wirkungsstätte zurückgekehrt. Und wieder ist der Gottesdienst völlig überfüllt: Mehr als 1.000 Menschen sind gekommen. Viele müssen stehen, andere hocken sich auf die Stufen zum Altarraum oder einfach auf den roten Steinfußboden.

Fast zwei Jahre hat es gedauert, bis sie hier wieder spricht - die 53-Jährige wollte nach ihrem Rücktritt vom Amt und ihrem Abschied von der hannoverschen Landeskirche Abstand gewinnen. Und doch wirkt vieles vertraut an diesem Sonntag. Käßmann lächelt, nimmt Platz auf einem Stuhl neben dem Lesepult, lauscht einer Motette von Bach. Dann die Predigt von der Kanzel: eine zierliche Frau, drei Meter hoch über der Gemeinde im Licht der hohen gotischen Backstein-Fenster, die mit jedem Wort an Fahrt gewinnt und ihre lebhaft gestikulierenden Hände gleich mitpredigen lässt.

Pointensichere Rednerin

Diesmal spricht sie über einen Bibeltext von Paulus aus dem Gefängnis und denkt über den Konflikt zwischen Glaube und Macht nach. "Der Gedanke von der Freiheit eines Christenmenschen ist offenbar gefährlich für Diktatoren, weil er die Autorität des Regimes anfragt", betont sie. Käßmann weiß die Pointen zu setzen und erhält immer wieder Beifall, wenn sie sich bei der Auslegung auf Aktuelles bezieht und Seitenhiebe verteilt.

Sie blickt auf die Bundespräsidenten-Wahl in Berlin und wirbt um Vertrauen dafür, "dass Menschen ihr Bestes geben". Unter großem Applaus kritisiert sie die "ätzende Jagd nach verkaufbaren Sensationen auf Kosten der Privatsphäre von Menschen" im Boulevard-Journalismus.

In einer vorderen Ecke des Seitenschiffs hat es sich Ulrike Müller-Luft (57) mit einer Wolldecke auf dem Boden bequem gemacht und hört gespannt zu. Die gelernte Krankenschwester ist keine regelmäßige Kirchgängerin. Aber von Käßmann lässt sie sich faszinieren. "Weil ich sie sehr offen finde und weil sie in sich frei ist", sagt sie. "Sie ist in den zwei Jahren noch freier geworden."

Dank für klare Worte

Käßmann war im Februar 2010 nach einer Autofahrt unter Alkoholeinfluss als EKD-Ratsvorsitzende von allen kirchlichen Leitungsämtern zurückgetreten. Drei Monate später predigte sie vor 1.500 Gottesdienst-Besuchern zum bisher letzten Mal in der damals ebenfalls völlig überfüllten Marktkirche.

Zwei Jahre später bilden sich beim Abendmahl wieder lange Schlangen. Denn möglichst viele wollen ihre Oblate aus den Händen der früheren Bischöfin erhalten. Und auch am Ausgang heißt es Warten und Schlangestehen. Denn viele wollen Käßmann ein paar nette Worte sagen, ihr die Hand schütteln oder sich ein Buch von ihr signieren lassen, bevor sie Ende April als Luther-Botschafterin der EKD eingeführt wird und für das Reformationsjubiläum 2017 wirbt.

"Danke für klare Worte zum schwierigen Text", raunt ihr eine Frau zu. "Eine irre Ermutigung mal wieder", findet eine andere. Und eine dritte blickt schon voraus: "Lassen Sie es nicht noch einmal zwei Jahre dauern."

epd