Kirchen fordern mehr Tugenden für die Demokratie
Zum Auftakt der Bundesversammlung haben die evangelische und die katholische Kirche gemeinsam ein ökumenisches Morgenlob in der Französischen Friedrichstadtkirche in Berlin gefeiert – und dabei auch um mehr Verständnis für Politiker geworben.

Prälat Dr. Karl Jüsten, Leiter des Katholischen Büros in Berlin, würdigte in seiner Predigt die vielen Menschen, die sich für das Gemeinwesen ehren- oder hauptamtlich engagieren. In seinen Dank schloss er ausdrücklich den soeben aus dem Amt geschiedenen Altbundespräsidenten Wulff ein. Damit Demokratie gelingen könne, müssten immer wieder entsprechend vorbereitete Bürger für den Dienst am Gemeinwesen bereit sein, so Jüsten. Der Wunsch nach mehr Transparenz und Offenlegung privater Angelegenheiten lasse aber viele davor zurückschrecken, öffentliche Ämter zu übernehmen.

Zu Recht erwarte die Bevölkerung von Mandatsträgern, dass sie ehrlich und aufrecht seien. Die Erwartung könne sich aber nicht nur an diese richten. Ein tugendhafteres Verhalten aller Menschen im Lande sei für die Demokratie förderlich. Als Beispiele nannte der Prälat die Steuerehrlichkeit, den respektvollen Umgang miteinander in Schulen, die Bereitschaft zur Integration, die Wertschätzung von Fremden, die Bereitschaft zu helfen sowie nicht zuletzt die Wahrhaftigkeit in den Medien. "Für Christen ist das ein Gebot der gelebten Nächstenliebe", betonte Jüsten.

[linkbox:nid=59721;title=Die beiden Vertreter der Kirche im Gespräch]

Politiker müssten heute oftmals über hoch komplexe Sachverhalte in kürzester Zeit und unter dem enormen Druck starker Lobbygruppen entscheiden. Jüsten: "Bisweilen frage ich mich, ob die Leistungen der Politik von der medialen Öffentlichkeit und von der Bevölkerung angemessen gewürdigt werden."

Mit Blick auf das Amt des Bundespräsidenten äußerte der Prälat einige Bitten: "Die erste richtet sich an uns Bürgerinnen und Bürger: Halten wir Maß! Überfordern wir unseren neuen Bundespräsidenten nicht mit zu hohen Erwartungen. Ebenso habe ich einen Wunsch an die Medien. Haben Sie bei der notwendigen kritischen Begleitung den nötigen Respekt vor dem Amtsinhaber!"

"Sich Gott anzuvertrauen heißt Grenzen überschreiten"

Bernhard Felmberg, der Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, entwickelte seine Einführung ausgehend vom dem Bibelvers "Du stellst meine Füße auf weiten Raum" (Psalm 31, 9). Wer von Gott "auf weiten Raum gestellt" werde, verlasse die Enge des Gewohnten und erlebe die so begehbare Welt als einen einzigen, einzigartigen Raum, für den er oder sie Verantwortung übernehme.

Gleichzeitig gelte: "Egal, wo jemand geht und steht, gibt es von nun an weite Räume, Spielräume, Gestaltungsräume." Dabei betonte Felmberg, dass die Kraft, diese Spielräume zu nutzen und die Energie, auch nach Niederlagen wieder aufzustehen, allein der Gnade Gottes zu verdanken sei.

Es gehe bei der Zusage Gottes um einen Raum, den alle Menschen gestalten dürften und sollten. "Gott verleiht uns Kompetenzen, fordert unsere Potenziale heraus und ermöglicht selbst in aussichtslosen Situationen ein grenzüberschreitendes Handeln in der Welt." Der Bevollmächtigte des Rates der EKD unterstrich: "Sich Gott anzuvertrauen heißt Grenzen überschreiten, Neugier bewahren und sich in den Dienst der Weltgestaltung und Weltverantwortung berufen zu lassen."

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