"Politik aus christlicher Verantwortung ist zeitlos"
Seit 60 Jahren gibt es den Evangelischen Arbeitskreis (EAK) der CDU/CSU. Sogar die vielbeschäftigte Kanzlerin beehrte den Festakt am Gründungsort Siegen - und wurde grundsätzlich.
17.03.2012
Von K. Rüdiger Durth

60 Jahre Evangelischer Arbeitskreis (EAK) der CDU/CSU sind zugleich sechs Jahrzehnte Engagement aus christlicher Verantwortung für die Bundesrepublik Deutschland. Darin waren sich am Samstag die Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Nikolaus Schneider, und der CDU, Bundeskanzlerin Angela Merkel, einig. Rund 1000 evangelische Mitglieder der CDU - sie stellen aktuell etwa ein Drittel der insgesamt mehr als 500.000 Parteimitglieder - hatten sich in der südwestfälischen Universitätsstadt Siegen zum Festakt eingefunden.

Denn dort war 1952 in Anwesenheit des damaligen (katholischen) CDU-Vorsitzenden, Bundeskanzler Konrad Adenauer, von dem juristischen Oberkirchenrat und Bundestagspräsidenten Hermann Ehlers der EAK ins Leben gerufen worden, der 1954 feststellte: "Christliche Politik bedeutet nicht, dass wir für uns das Primat der richtigen christlichen Politik in Anspruch nehmen. Allerdings werden wir uns auch nicht verwehren lassen, in bestimmten politischen Fragen darauf hinzuweisen, dass unser Verständnis des Wortes Gottes ganz bestimmte Entscheidungen von uns fordert."

In den Gründungsjahren fungierte der EAK auch als ein Gegengewicht zur katholisch geprägten Union, von der kein Geringerer als der hessen-nassauische Kirchenpräsident Martin Niemöller überzeugt war, dass sie "in Rom gezeugt und in Washington geboren worden" sei. Zugleich wollte man die im Protestantismus stark verbreitete Auffassung aufbrechen, Politik sei ein schmutziges Geschäft.

Eingeleitet wurde der Festakt mit einem Gottesdienst, in dem der Bevollmächtigte der EKD in Berlin und ehemalige EAK-Bundesgeschäftsführer, Prälat Bernhard Felmberg, die Predigt hielt: "Die Hoffnung auf Gott", hieß es darin, "bringt uns Christen dazu, den Mund aufzumachen und nicht zu schweigen." Diese Hoffnung bewirke, dass sich die Menschen aus christlicher Verantwortung engagierten.

Überkonfessionelle Partei

Der Ratsvorsitzende der EKD stellte beim Festakt zum 60-jährigen Bestehen seinerseits fest, heute sei der Sachverhalt, wie viele Mitglieder der Unionsparteien in welchen Positionen katholisch oder evangelisch seien, "in der öffentlichen und vermutlich auch in der innerparteilichen Wahrnehmung" in den Hintergrund gerückt. Für Schneider ist der überkonfessionelle Charakter der Unionsparteien "so sinnvoll wie unbestritten". Diese Selbstverständlichkeiten etabliert zu haben, sei eines der Verdienste des EAK.

Wählt auch heute die Mehrheit der Protestanten – mit Ausnahme des evangelikalen Flügels – Umfragen zufolge SPD oder die Grünen, so gehören die alten Gegensätze zu den Kirchenleitungen der Vergangenheit an. Der frühere EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber, der sich einst als Hochschullehrer mit dem Gedanken trug, für die SPD zum Deutschen Bundestag zu kandidieren, ist längst ein gern gesehener Gast und Referent des EAK sowie Träger der Hermann-Ehlers-Plakette, der höchsten Auszeichnung des EAK unter seinem neunten Bundesvorsitzenden Thomas Rachel, der sein seit 2003 innehat.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel nahm sich für den EAK-Festakt Zeit, obwohl sie eigentlich in Berlin am Tag vor der Bundespräsidentenwahl unabkömmlich war. Die Pfarrerstochter und EAK-Bundesvorsitzende 1992/93 steht für eine protestantischer gewordene CDU. Passenderweise vergaß man denn auch den Leiter des Katholischen Büros in der Bundeshauptstadt, Prälat Karl Jüsten, als einzigen anwesenden Repräsentanten der katholischen Kirche zu begrüßen.

Moralischer Kompass für politisches Handeln

Merkel mahnte, die Kirchen sollten nicht der Versuchung erliegen, auf alle Fragen der Politik eine Antwort zu haben. Und die Politik sei nicht allmächtig: "Das letzte Wort hat Gott", sagte die Kanzlerin und Parteivorsitzende. Wichtig sei es, einen "moralischen Kompass" für das politische Handeln zu haben - aus ihrer Sicht das christliche Menschenbild. Der EAK ist für Merkel eine Art "Scharnier" zwischen Partei und Kirchen. Zugleich hob sie die "Einmaligkeit des EAK in der Parteienlandschaft" hervor. "Politik aus christlicher Verantwortung veraltet niemals - sie ist zeitlos."

Der (katholische) nordrhein-westfälische CDU-Landesvorsitzende, Bundesumweltminister Norbert Röttgen, bekundete, er sei "dankbar, dass es den EAK gibt" und unterstrich die Aufgabe der Politik als "Dienst am Menschen". Als Leitmotiv christlichen Handelns in der Politik ist für Röttgen der Einsatz für die Würde des Menschen.

Problemlos zustimmen konnte dem die anwesende Polit-Prominenz, darunter Altbundespräsident Roman Herzog, der ehemalige Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert, die thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Letzterer wusste gewiss, wovon er sprach, als er die Anwesenden beruhigte: "Der christliche Glaube gibt Gelassenheit. Wir müssen uns von den Krisen nicht immer gleich verrückt machen lassen."

Das C: Würde und Bürde

Aus der Sicht des EAK-Vorsitzenden Rachel ist der EAK längst eine "Brücke zur evangelischen Kirche" geworden. Das Verhältnis zu ihr habe sich "gut entwickelt". Für die Kirchen wiederum sei der EAK zu einem "wichtigen Gesprächspartner" vor allem im Blick auf ethische Grundfragen geworden – vom Lebens- bis zum Sonntagsschutz. Das C im Namen der Partei sei, so Rachel, "Würde und Bürde zugleich". Auch in Zukunft werde der EAK seinen Beitrag zur christlichen Freiheit in der Gesellschaft leisten.

Kein Wort wurde auf dem Festakt, der mit Nationalhymne und Empfang endete, zur Idee eines Katholischen Arbeitskreises innerhalb der Unionsparteien verloren. Das Thema ist offenbar gegenwärtig vom Tisch. Wichtigstes Organ des EAK und seiner zahlreichen Landesverbände ist die mehrmals jährlich kostenlos erscheinende Zeitschrift "Evangelische Verantwortung", die sich nicht zuletzt unter protestantischen Pfarrern großen Interesses erfreut. Die Selbstdarstellung des EAK lässt keine Wünsche offen: Zum 60-jährigen Jubiläum erschien nun eine Film-Dokumentation auf DVD sowie eine umfangreiche Festschrift.


K. Rüdiger Durth, Journalist und Theologe in Bonn und Berlin, schreibt regelmäßig für evangelisch.de.