"Die Doppelgängerin", 16. März, 20.15 Uhr im Ersten
Eigentlich ist die Geschichte, die Nikolai Müllerschön mit diesem Film erzählt, kein Märchen; eher schon eine Komödie mit einer gewissen gesellschaftlichen Relevanz. Trotzdem gibt es diverse Aspekte, die völlig unrealistisch sind. Man muss sie stillschweigend akzeptieren, ähnlich wie die Existenz von Feen und Zauberern im Märchen. Eine Hexe gibt es in Müllerschöns Geschichte auch. Sie heißt Hedwig, sie ist selbstredend gierig und skrupellos, und außerdem ist sie neidisch und eifersüchtig auf ihre Nebenbuhlerin. Die heißt Emma, ist die rastlose Hilfsbereitschaft in Person und hat nichts mit der anderen Frau gemeinsam. Bis auf eins: Die beiden (Jutta Speidel in einer Doppelrolle) könnten Zwillinge sein.
Überraschende Pressekonferenz
Jeder vernünftige Mensch würde nun erst mal nachforschen, ob die scheinbaren Schwestern (wie in Kästners "Doppeltem Lottchen") als Kinder getrennt worden sind. Danach fragt in diesem Film aber seltsamerweise niemand, was auch daran liegen könnte, das vor allem Hedwig ganz andere Interessen hat. Gemeinsam mit ihrem Gatten Wolter (Heiner Lauterbach) hat sie ein Bau-Imperium aufgebaut. Mit ihrem größten Coup will sie ein komplettes Münchener Viertel dem Erdboden gleichmachen, um dort einen potthässlichen Luxuskasten zu erreichten. Wer dem Plan im Weg steht, wird einfach eingekauft. Aber Emma, Besitzerin einer gutgehenden Glaserei und dank vieler Bürgerinitiativen kampferprobt, ist natürlich unbestechlich. Eine Laune des Schicksals bietet ihr die einmalige Chance, Hedwigs Plan im Handstreich zu durchkreuzen: Wolter verwechselt sie mit seiner Frau und nötigt sie zu einer Pressekonferenz, auf der Hedwig in blumigen Worten den Fortschritt des Viertels preisen soll. Emma ergreift die Chance beim Schopf, erklärt das Projekt sehr zur Freude der Demonstranten kurzerhand für beendet und schafft sich auf diese Weise eine Todfeindin, die nicht eher ruhen wird, bis ihre Anwälte Emma erledigt haben. Dafür wechselt Wolter die Seiten: Er verliebt sich gewissermaßen noch mal in seine Frau; aber diesmal in die richtige.
Natürlich inszeniert Müllerschön ("Der Rote Baron") die Handlung als Komödie, aber er versieht sie auch mit deutlich mehr Tiefgang als andere Filme auf diesem Sendeplatz. Die Dialoge sind durchaus anspruchsvoll, der Humor ist sympathisch und hintergründig. Aber herausragend sind die Schauspieler: Die beiden Frauen unterscheiden sich nicht bloß durch Kleidung und Sprache; Jutta Speidel verkörpert sowohl buchstäblich wie auch im übertragenen Sinne zwei verschiedene Haltungen. Großartig ist auch Heiner Lauterbach. Nicht minder sehenswert sind die Nebendarsteller, allen voran Michael Fitz als guter Geist der Glaserei, der seiner Chefin in stiller Liebe ergeben ist.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).