Für den belgischen Verkehrs-Staatssekretär Melchior Wathelet ist es wohl der schwärzeste Tag seiner Amtszeit. "Man bleibt sprachlos zurück. Fürchterlich bewegt, fürchterlich betroffen", stammelt er im belgischen Rundfunk. Den übrigen Spitzenpolitikern geht es ähnlich. "Das ist entsetzlich, ein trauriger Tag für ganz Belgien", sagt Ministerpräsident Elio di Rupo, bevor er mit einer Delegation in die Schweiz aufbricht.
Kurz zuvor haben die belgischen Regierungsmitglieder die Details des schweren Unfalls im Alpenstaat erfahren: Ein Reisebus ist in einem Autobahntunnel im Kanton Wallis mit voller Geschwindigkeit in eine Betonwand gerast. 28 Menschen sind tot, unter ihnen 22 Kinder. Sie waren auf dem Heimweg aus den Skiferien im Val d'Anniviers.
Schulleiter: "Wir haben die ganze Nacht lang herumtelefoniert"
Die Kinder waren zwischen zehn und zwölf Jahre alt und kamen aus Flandern, dem nördlichen Teil Belgiens. Sie waren im Konvoi mit zwei anderen Reisebussen unterwegs. Doch anstatt auch die Insassen des dritten Busses begrüßen zu können, versammeln sich am Mittwochmorgen in den flämischen Schulen verzweifelte Eltern. Sie wissen teils noch gar nicht, ob ihr Kind überlebt hat. Psychologen stehen bereit, um ihnen Halt zu geben.
Marc Carels, Direktor der Grundschule Sint-Lambertus in Heverlee, steht die Erschöpfung ins Gesicht geschrieben. "Wir haben die ganze Nacht lang herumtelefoniert", sagt er. Doch zunächst kann er den Eltern nicht viel berichten über das Schicksal ihrer Kinder. Die Informationsknappheit hat auch damit zu tun, dass es keine erwachsenen Überlebenden gibt: Beide Busfahrer und die vier Betreuer sind unter den Opfern. (Foto links: dpa/Sebastien Feval)
Neben der Trauer herrscht in Belgien auch Ratlosigkeit, wie es zu dem Unglück kommen konnte. Kein anderes Fahrzeug war direkt in den Unfall verwickelt. Das Busunternehmen, Toptours, hat laut Staatssekretär Wathelet einen guten Ruf. Der Bus war ihm zufolge fast neu, die Busfahrer waren bei Reisebeginn ausgeruht. "Aber es wird natürlich Untersuchungen geben, es werden Lektionen zu lernen sein", sagt Wathelet.
Website-Besucher: "Dies hier ist eine echte Krise"
Indessen lobt Wathelet den Einsatz der Schweizer Behörden. Diese hatten ein Großaufgebot an Helfern an den Unglücksort geschickt: 60 Feuerwehrleute, 15 Ärzte, 100 andere Nothelfer, zwölf Ambulanzen, acht Hubschrauber. Auch die belgischen Behörden sind im Einsatz: Unter anderem haben die Eltern der Verunglückten die Möglichkeit, mit Militärflugzeugen in die Schweiz zu fliegen.
Der Militärflughafen von Melsbroek ist gegen die Presse hermetisch abgeschirmt. Die belgische Zeitung "Le Soir" spricht mit einem Mann, dessen elfjährige Tochter das Unglück überlebt und mit ihm kurz telefoniert hat. Sie hat sich die Beine und einen Arm gebrochen. "Es war dunkel, ich habe einen heftigen Schlag gehört. Alle Sitze sind durch die Luft geflogen", soll sie gesagt haben. Der Vater ist inzwischen auf eigene Kosten in die Schweiz geflogen.
Auf der Webseite der Sint-Lambertus-Schule können Menschen ihre Anteilnahme ausdrücken. "Das Wort Krise wird in unseren Zeiten inflationär gebraucht", schreibt ein Besucher. "Dies hier ist eine echte Krise. Eine tiefe Krise, die das Wenige betrifft, das im Leben wirklich zählt."